Das Haupt der Welt
- Ehrenwirth
- Erschienen: Januar 2013
- 35
- Ehrenwirth, 2013, Titel: 'Das Haupt der Welt', Originalausgabe
Der steinige Weg Ottos, der Grosse zu werden
Beim Sturm auf Brandenburg im Jahr 929 unter König Heinrich I. werden von seinem Sohn Otto auch der slawische Fürstensohn Tugomir und dessen Schwester Dragomira gefangen genommen. Otto findet Gefallen an Dragomira und behandelt sie nicht wie eine Gefangene, und auch Tugomir hat Glück und wird gut behandelt. Gerade als sich bei Otto und auch bei König Heinrich Schmerzen einstellen, zeigt es sich, dass Tugomir heilerische Fähigkeiten besitzt, was ihm eine Art Ausnahmestellung am Hof verschafft. Doch immer wieder wiest er darauf hin, dass sein slawisches Volk der Heveller unterdrückt wird und er nicht bereit ist, gegenüber den Sachsen klein beizugeben.
Als feststeht, dass Otto heiraten soll, wird die unstandesgemässe und zudem schwangere Dragomira in ein Kloster abgeschoben und Otto schließlich mit Editha verheiratet, eine Prinzessin aus Wessex, die zudem ihre lebefreudige Schwester Egvina mitbringt, die sofort Gefallen bei Thankmar findet, Ottos älterem Bruder aus einer früheren Ehe König Heinrichs. Zwar ist Thankmar der ältere Bruder, doch bestimmt König Heinrich Otto als seinen Nachfolger, was Thankmar zunächst auch nichts ausmacht, sieht er doch in Otto mehr Führungsstärken als bei sich selbst.
Doch formieren sich um das fränkische Reich zahlreiche Gegner gegen Otto, und er muss versuchen, an mehreren Fronten gleichzeitig zu kämpfen, und wie sich herausstellt, auch gegen seine eigene Familie. Denn nicht nur Thankmar wendet sich gegen ihn, sondern auch sein jüngerer Bruder Henning, der von seiner Mutter angestachelt wird, die Krone zu erobern. Otto wehrt sich gegen alle Feinde und versucht, auch Tugomir auf seine Seite zu bringen, der inzwischen die Tochter seines grössten Feindes geheiratet hat. Als über Otto alle Fronten zusammenzubrechen drohen, kann ihm nur noch ein Wunder helfen.
Familienfehde
Mit ihrem neuen Roman widmet sich die Erfolgsautorin Rebecca Gablé nicht den englischen Waringhams, sondern bleibet in deutschen Landen. Die Geschichte König Ottos I., der später einmal Otto der Große sein wird, ist das Thema ihres Romans Das Haupt der Welt, in der sie auf gut 850 Seiten ein Panoramabild der deutschen Lande im 10. Jahrhundert malt. Dabei beginnt sie auf der Brandenburg im Jahr 929. Ottos Vater Heinrich I. ist König, Otto soll unangefochten sein Nachfolger werfen, und die Franken und Sachsen kämpfen gegen die Slawen, darunter auch die Heveller, deren Anführer, Prinz Tugomir, bei der Schlacht gefangen genommen wird.
Obwohl man bei all den Völkern, die es in dieser mittelalterlichen Zeit gab, leicht den Überblick verlieren kann, zumal es sie heutzutage unter diesen Namen größtenteils gar nicht mehr gibt oder sie woanders als damals zu finden sind, schafft es die Autorin, immer den Überblick zu behalten und den Leser auch nicht unnötig zu verwirren. Hilfreich hierbei ist auch die Karte, die dem Roman vorangestellt bzw. nachgestellt ist und wohin mal der Orientierung halber immer wieder gerne zurückblättert. Auch dies ist ein Teil der Erzählkunst der Autorin, die den Leser nicht mit unbekannten Begriffen, Namen und Völkern allein lässt.
Zeit
Gablé lässt sich Zeit, die handelnden Figuren einzuführen und tut dies auch anhand der komplizierten Geschichte Drumherum. Wer da warum gegen wen kämpft und eine Allianz mit wem anderen bildet, wer sein Fähnchen nach dem Wind dreht und wer wen mit wem betrügt, das alles wird logisch und nachvollziehbar erzählt und erklärt, zumal es in diesen Zeiten durchaus vorkommen konnte, dass die Machtverhältnisse am folgenden Tag schon wieder ganz anders aussahen. Ein kleiner Schwerthieb hier, eine unerwartete Hochzeit dort, eine Geburt drüben, und schon ist alles verschoben. Ottos Familie bildet da keine Ausnahme, im Gegenteil. Gerade Ottos Mutter Mathildis, die lieber Ottos jüngeren Bruder Henning auf den Thron holen würde, spinnt im Hintergrund eine Intrige nach der anderen.
Nachdem König Heinrich gestorben ist und Otto sein Nachfolger geworden ist, scheinen sich die Machtverhältnisse zunächst zu klären, da alle Fürsten zu ihm kommen müssen, um ihm den Treueeid zu leisten. Doch mancher Eid hält nicht länger als bis zum Rückweg zur Tür, und so hat Otto es nicht leicht, sein Reich zusammenzuhalten. Wer Freund ist und wer Feind, das ist nicht immer leicht zu ergründen.
Buntes Spektrum an Charakteren
Neben Otto hat Gablé mit Tugomir, dem Prinzen der Slawen, eine zweite Hauptfigur installiert und deren Weg der Leser mit Spannung verfolgt. Der Bezwinger der Slawen ist Gero, Graf der Ostmark, ein brutaler Fürst, nicht nur gegen seine Feinde, sondern auch gegen seine eigene Familie, und so hat er von Beginn an Tugomir zum Feind, und beide können sich nicht ausstehen, nicht einmal, als Gero gezwungen ist, Tugomir als Heiler wegen der schweren Krankheit seiner Tochter aufzusuchen. Dass sich Tugomir dabei in seine Tochter Alveradis verliebt und umgekehrt, ist so mit das schlimmste was passieren, aber gottseidank erfährt Gero erst sehr spät davon.
Überhaupt hat Gablé ein buntes Spektrum an Charakteren aufzubieten. Neben Otto und Tugomir, die beide versuchen, Freund und Feind zugleich zu sein und ihre Stellung als Herrscher und Gefangener klar zu behalten, stechen vor allem Thankmar und Egvina hervor, die Schwägerin von Otto. Thankmar ist zunächst Sympathieträger, doch entwickelt er sich auch langsam zum Gegner Ottos und macht damit die grösste Wandlung im Roman durch. Egvina ist eine lebenslustige, lebefreudige Dame, die amourösen Abenteuern nicht abgeneigt ist und für ordentlich Schwung in der Familie sorgt.
Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Charakter ist Henning, Ottos jüngerer Bruder und nervig wie ein Floh im Pelz. Immer wieder versucht er, Otto zu stürzen und durch Intrigen zu beseitigen, und immer wieder scheitert er und wird von Otto mehr oder weniger begnadigt. Das ist bisweilen sogar nervig, aber da es sich ja nicht um fiktive Figuren, sondern um reale Geschehnisse handelt, kann man ja die Geschichte nicht umschreiben, nur damit man diese lästige Laus los wird. Allerdings findet Rebecca Gablé auch keine überzeugende Begründung dafür, warum Otto Henning nicht einfach wie auch immer endgültig aus dem Weg räumt, was sein gutes Recht wäre.
Über grosse Strecken spannend und packend
Insgesamt ist Das Haupt der Welt ein spannender, bisweilen packender Roman, den man streckenweise nicht aus der Hand legen kann. Das zahlreiche Personal wird nach und nach eingeführt und logisch aufgebaut, die Handlungsstränge werden sinnvoll miteinander verwoben, wenngleich man das Gefühl nicht los wird, dass ein ganz grosser, den kompletten Roman umspannender Bogen eigentlich fehlt und man nicht weiß, wohin der Roman am Ende hinführen will. Dennoch schafft die Autorin ein sinnvolles Ende, wobei durchaus Raum wäre für eine Fortsetzung, denn Otto fehlt noch der Titel "der Grosse", den er ja schon zu Lebzeiten bekam, und die historische Schlacht vom Lechfeld will auch noch irgendwann geschlagen werden.
Gablé schafft für den Leser ein saftiges Mittelalter und malt eine authentische Kulisse, in die man sich von der ersten Seite an leicht hineindenken kann. Kleinere Handlungsschwächen werden schnell und leicht überbrückt, und unterm Strich kann man froh sein, wenn die eigene Familie nicht so zerfahren und machtbesessen ist wie die hier beschriebenen. Gablé beschreibt intensiv und mit einer feinen Prise Humor, besonders dann, wenn es um die Nordgötter und den Christengott, wegen seiner hauptsächlichen Existenz in der Bibel auch "Buchgott" genannt, geht.
Empfehlenswert sind vor allem auch die historischen Anmerkungen der Autorin im Anhang, die so einiges aus dem Roman ins rechte Licht rücken, vor allem was die Quellenlage um die Ottonen angeht. Der Anhang sollte aber tatsächlich erst nach der Lektüre des Romane gelesen werden, da sonst zu viel aus der Handlung verraten werden könnte. Warum allerdings der Verlag den Titel Das Haupt der Welt gewählt hat, wird wohl ein Geheimnis bleiben, denn er erschliesst sich nicht wirklich aus der Handlung.
Es geht also viel hin und her in dem Roman, aber die Autorin behält den Überblick und beschert dem geneigten Leser intensive Lesestunden, einen aufregenden Blick in das 10. Jahrhundert und im schlimmsten Fall eine Sehnenscheidenentzündung in der Hand vom Festhalten des aufwändig aufgemachten Buches. Ein Genuss für Histo-Fans, bei dem man bedenkenlos zugreifen kann.
Rebecca Gablé, Ehrenwirth
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