Die englische Freundin
- Knaus
- Erschienen: Januar 2013
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- Knaus, 2013, Titel: 'The Last Runaway', Originalausgabe
Gefangen zwischen zwei Welten
Die junge Quäkerin Honor beschließt Mitte des 19. Jahrhunderts aus einer Enttäuschung heraus, ihre Schwester Grace nach Ohio zu begleiten, wo diese einen Auswanderer heiraten möchte. Doch es kommt alles anders, als sich Honor dies vorgestellt hatte: Grace stirbt, noch bevor sie ihren Verlobten erreicht. Und für Honor ist klar, dass sie nicht nach England zurückkehren kann, denn die Überfahrt hat sie ihre ganze Kraft gekostet. Das Leben in Ohio stellt die junge Frau jedoch vor große Herausforderungen: In ihrer religiösen Gemeinschaft wird die Gleichheit unter den Menschen hoch gehalten, doch der Alltag in Ohio sieht anders aus. Honor muss miterleben, wie der Sklavenjäger Donovan ihre Ideale mit Füssen tritt – dennoch fühlt sie sich zu ihm verbotenerweise hingezogen. In Donovans Schwester Belle findet Honor eine treue Freundin, die ihr immer wieder die Möglichkeit bietet, aus der engen Welt auszubrechen.
Konflikt gut dargestellt
Tracy Chevalier stellt den Konflikt zwischen Gesetzestreue und Prinzipientreue ins Zentrum des Romans. Die Quäkergemeinschaft ist dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen verpflichtet. Entsprechend konsequent verurteilt sie auch die Sklaverei, die im Staat Ohio tatsächlich bereits abgeschafft ist. Allerdings verpflichtet ein Gesetz die Bürger Ohios, Hilfe zu leisten, wenn es darum geht, entflohene Sklaven aus anderen Staaten einzufangen und zu ihrem Besitzer zurück zu bringen. Umsichtig geht die Autorin mit diesem heiklen Thema um: Sie baut die verschiedenen Aspekte so geschickt in die Geschichte ein, dass sie zwar ihre Informationen gut platzieren kann, den Leser aber nicht mit zu vielen Fakten vertreibt. Dennoch kann man sich bis zum Schluss ein gutes Bild davon machen, wie ambivalent die Haltung der Obrigkeit in Ohio der Sklaverei gegenüber stand.
Die Welt des Quiltens vorstellen
Zu den Quäkern und ihrer Geschichte gehört letztlich auch das Thema "Quilten". Hier schöpft die Autorin aus dem Vollen und verliert da und dort auch schon einmal das Gespür für die richtige Menge. Obwohl die spezielle Art des Nähens durchaus spannend geschildert ist, wird es da und dort denn doch etwas zu viel des Guten. Besonders für jene Leser, die sich nicht für das Quilten erwärmen können, schießt Tracy Chevalier bei dieser Thematik übers Ziel hinaus. Glücklicherweise geschieht das aber nicht zu häufig, so dass der Lesefluss nur im bescheidenen Masse beeinträchtigt ist. Feinfühliger ist die Einführung in die zahlreichen Bestimmungen, denen sich die Quäker unterzuordnen haben. Ohne Wertung stellt Chevalier die Welt der Quäker dar, erzählt von ihren Grundsätzen und ihren Problem und gestattet einen Blick in die Gemeinschaft, die sich selber so stark eingeschränkt hat.
Thema Frauenfreundschaft
Natürlich kann es Tracy Chevalier nicht lassen. Sie stellt erneut das Thema Frauenfreundschaft als übergeordnetes Thema über den Roman. Zum einen ist es die neue Freundschaft, die Honor mit Belle schließt, zum anderen jene, die Belle mit ihrer langjährigen Jugendfreundin in England unterhält. Gerade letztere gibt der Autorin ein geschicktes, stilistisches Mittel in die Hand. Denn regelmäßig schreibt Honor ihrer Freundin Briefe nach England, in denen sie kurz die Ereignisse der vergangenen Wochen zusammenfasst. Dadurch entsteht eine Art Zeitraffer, in dessen Verlauf der Leser alles Wissenswerte erfährt, ohne dass das Ganze aber in die Tiefe geht. Von der Aussage her ist das ein sehr gelungenes Stilmitteln, von der Umsetzung her eines, das vor allem Lesern, die etwas Mühe mit den Augen bekunden, Schwierigkeiten bereitet. Denn die Textpassagen mit den Briefen sind in blasser Kursivschrift gehalten und dadurch nur begrenzt lesefreundlich.
Möglichkeit zur Fortsetzung
Anders als ihre bisherigen Romane lässt Tracy Chevalier den Schluss von Die englische Freundin weitgehend offen. Sie erhält sich damit die Möglichkeit, eine Fortsetzung zu schreiben, gibt dem Leser aber einen schlüssigen Anhaltspunkt, wie die Geschichte sich weiter entwickeln könnte, auch wenn sie nie einen zweiten Teil präsentieren würde.
Mit ihrem Roman greift Tracy Chevalier ein weitgehend unbekanntes und dennoch wichtiges Kapitel der Geschichte Amerikas auf und wendet sich Themenbereichen wie Besiedelung der USA, Sklaverei und religiöse Gruppierungen auf. Sie hält den Spannungsbogen gut und präsentiert einen letztlich stimmigen und berührenden Roman mit vielen leisen, aber intensiven Tönen.
Tracy Chevalier, Knaus
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