Monsieur weilt nicht mehr unter uns
- Pendo
- Erschienen: Januar 2014
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- Pendo, 2004, Titel: 'Le secret des Enfants-Rouges', Originalausgabe
Mordserie um einen unwichtigen Kelch
Paris, 1892. Während terroristische Anschläge die Stadt erschüttern, wird in Kenji Moris Wohnung eingebrochen. Er wohnt über dem Buchladen, den er zusammen mit Victor Legris führt, und dieser macht sich sogleich an die Nachforschungen. Gestohlen wurde scheinbar nur ein Kelch, der eigentlich ein wertloses Erinnerungsstück war.
Durch Zufall entdecken Victor und sein junger buchschreibender Mitarbeiter Joseph, dass doch noch mehr hinter der Geschichte stecken muss, denn es stellt sich heraus, dass einige Vorbesitzer des Kelchs ermordet wurden. Auch aktuelle Mordfälle, die Joseph in der Zeitung entdeckt, scheinen mit dem Kelch in Verbindung zu stehen. Und hat der Mann mit der Melone etwas damit zu tun, der sich kurz vorher nach Moris Adresse erkundigt hatte?
Während Victor sich, entgegen seinem Versprechen der Polizei gegenüber, auf die Suche nach dem Mörder macht, unterstützt von Joseph und Kenji, gibt es weitere Tote, und zudem gerät aller Privatleben gehörig durcheinander. Joseph bändelt mit Kenjis Tochter Iris an, Victors Eifersucht auf seine Freundin und Geliebte Tasha, die sich scheinbar mit einem fremden Mann trifft, wächst ins unermessliche, und Kenjis Liebesleben bleibt undurchschaubar asiatisch-unterkühlt. Schließlich kommt es zum dramatischen Showdown, bei dem nicht alle ohne Blessuren davonkommen.
Auf der Jagd nach dem Kelch durch Paris
Victor Legris vierter Fall, der zum Ende des 19. Jahrhunderts in Paris spielt, beschert dem ermittelnden Buchhändler dieses Mal eine Schnitzeljagd, bei der nicht klar ist, wer überhaupt gejagt werden soll und ob es nicht noch mehr Opfer des Mörders gibt. Victor und seine Mitarbeiter ermitteln und kommen das eine ums andere Mal zu spät, da der vermeintliche Kelchbesitzer diesen bereits wieder weiter gegeben hat. Das passiert einige Male, und nicht immer überleben die Besitzer die Situation.
Die beiden französischen Autorinnen, die unter dem Namen Claude Izner die Reihe um Victor Legris schreiben, haben mit Monsieur weilt nicht mehr unter uns wieder einen Kriminalfall geschrieben, der dem Leser das Paris des Fin de Siècle darbringt und sogar einige Berühmtheiten der damaligen Zeit auftreten lässt. Dabei erschaffen sie vor dem Auge des Lesers eine beeindruckende Kulisse und verstehen es, den Leser in die Zeit zu holen. Wie die Menschen miteinander umgehen und miteinander sprechen, welche Bücher sie lesen, welcher Mode sie folgen, all das bereitet eine Bühne für einen spannenden Fall, der den Leser mitreisst und temporeich durch Paris führt.
Ein etwas zielloser Roman
Leider jedoch ist der Fall weder spannend, noch mitreissend oder gar temporeich. Beginnt der Roman noch einigermassen temporeich, als Kenji von einer Reise nach Hause kommt und seine Wohnung durchwühlt vorfindet, wobei nur ein eigentlich wertloser Kelch entwendet wurde, läuft der Großteil des weiteren Romans immer nach demselben Schema ab: Man findet heraus, wer zuletzt den Kelch hatte, doch diese Person hat den Kelch nicht mehr, sondern verschenkt, verkauft, weitergegeben, jedenfalls laufen Victor und Joseph ein ums andere Mal dem Kelch hinterher. Zwar teilen sie sich auf und tragen später ihre Erkenntnisse zusammen, so dass es zumindest verschiedene Handlungsorte gibt, doch ist dies letztlich nicht sehr originell.
Zwischendurch wird der Leser in den Kopf des Täters versetzt, der dem Kelch hinterherjagt und der die Ermittlungen von Victor und Joseph von seinem Veloziped aus (einem fahrradähnlichen Gefährt) von den Nachforschungen profitiert. Das ist immerhin auch eine andere Perspektive auf die Ermittlungen, aber eigentlich auch nicht wirklich spannend.
Weniger Privatleben wäre mehr
Während der Leser also bei der Lektüre darauf wartet, dass etwas spannendes passiert und endlich mal ein Knoten platzt, verwirrt sich derweil das Privatleben der bekannten Personen ins Unermessliche. Joseph liebt Kenjis Tochter Iris, Victor ist eine Art Vater von Victor und Iris somit Victors Halbschwester, und das ist erst der Anfang. All das ist sehr verwirrend und bringt den Fall überhaupt nicht voran, auch nicht durch eine Seitentür oder durch Zufall, und leider nimmt das Privatleben gefühlt mehr Raum im Roman ein als der Kriminalfall. Hier wäre eine Umgewichtung zielführender gewesen.
Immerhin kommt es zum grossen Showdown am Ende, das hier nicht verraten werden soll, und so ist das Ende doch wenigstens ein bisschen versöhnlich für den Leser. Jedoch bleibt ein leicher schaler Beigeschmack, denn man wird das Gefühl nicht los, dass irgend etwas fehlt.
Der Roman hat zwei ausufernd lange Anhänge, zum einen ein 13seitiges Nachwort, das den Roman in das Jahr und seine Geschehnisse einordnet, ohne jedoch Zusammenhänge zwischen der realen Geschichte und den Ereignissen im Roman herzustellen, worauf man die ganze Zeit wartet. Es folgt ein 11seitiges Literaturverzeichnis der im Roman erwähnten Bücher aus der Buchhandlung, die vielen deutschsprachigen Lesern wohl überhaupt nichts sagen werden, die einem aber das Gefühl vermitteln, dass die Damen Autorinnen Claude Izner wissen, wovon sie schreiben und wie sie das Leben und die Literatur zum Ende des 19. Jahrhunderts miteinander in Einklang bringen können. Wenn sie das auch mit der Handlung ihres Romans getan hätten, hätte es den Leser bestimmt mehr erfreut. So ist der vierte Romane der Reihe leider auch der bislang schwächste. Der Verlag muss sich zudem fragen lassen, was denn der vielversprechende Titel überhaupt mit dem Roman zu tun hat und warum im Klappentext Schottland erwähnt wird, was überhaupt keine Rolle spielt. Bleibt zu hoffen, dass der nächste Roman wieder spannender wird.
Claude Izner, Pendo
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