Im Land der sieben Schwestern
- Blanvalet
- Erschienen: Januar 2014
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- Blanvalet, 2014, Titel: 'Im Land der sieben Schwestern', Originalausgabe
Liebe und Abenteuer vor indischer Kulisse
England 1855: Die junge Amber Callahan, Tochter eines wohlhabenden Spinnereibesitzers, führt ein glückliches Leben, wenngleich zwei Schatten über ihrer Unbeschwertheit liegen: Amber vermisst ihre früh verstorbene, indischstämmige Mutter, der sie sich nach wie vor eng verbunden fühlt. Zudem ist ihr rechtes Bein durch Kinderlähmung geschwächt und Amber hat ein leichtes Hinken zurückbehalten. Zum Bedauern ihres Vaters hat Amber keine Absicht, früh zu heiraten. Viel lieber betreibt sie Studien über fremde Kulturen und sehnt sich danach, die Welt zu bereisen.
Auf einer Ägyptenreise mit ihrer neuen Stiefmutter lernt Amber den Offizier Ashton Cartwright kennen, der ihr anders als die meisten Männer erscheint. Er stört sich nicht an ihrem Hinken und bewundert ihre Intelligenz; überdies teilen sie das Interesse an exotischen Ländern. Als Ashton ihr einen Heiratsantrag macht, nimmt Amber an und freut sich auf ihr neues Leben in Assam.
Doch schon bald erkennt Amber die Schattenseiten ihrer Ehe. Seit einer schweren Kopfverletzung durch indische Kopfjäger leidet Ashton an plötzlichen, aggressiven Ausfällen. Mal ist er liebevoll und aufmerksam, dann wieder zeigt er sich unberechenbar und aufbrausend. Als Ashton stirbt, erfährt Amber von einer Statue, die Ashton aus einem Bergdorf gestohlen hat. Das Relikt wurde mit einem Fluch belegt und muss an seinen Ursprungsort zurückgebracht werden. Amber wird bei dem gefährlichen Unterfangen von dem jungen Mönch Tashi und dem mysteriösen amerikanischen Archäologen Rhys Franklin unterstützt, der etwas vor ihr zu verbergen scheint ...
Eine junge Frau zwischen britischer und indischer Kultur
England und Indien Mitte des 19. Jahrhunderts sind die beiden dominierenden Schauplätze, in die Patricia Mennen ihre Leser entführt. Im Mittelpunkt steht die junge Amber, die für ihre Zeit ungewöhnlich viele Freiheiten genießt. Anders als die meisten anderen Frauen ihres Standes interessiert sie sich nicht für Gesellschaften, Tanz und Flirtereien. Stattdessen versinkt sie lieber in alten Büchern und schwelgt in Träumen von exotischen Kulturen. Angenehmerweise gehört Amber jedoch nicht zu den Protagonistinnen, die zu modern gezeichnet werden und dadurch unrealistisch wirken. Die Autorin findet die richtige Balance, ihrer Hauptfigur eine wissensdurstige und freiheitsliebende, aber nicht unglaubwürdige Attitüde zu verleihen.
Ambers Empfindungen und Reaktionen sind grundsätzlich immer nachvollziehbar gestaltet, egal ob es ihre Gefühle für Ashton oder ihr Verhältnis zu ihrer Stiefmutter betrifft. Reginald hat sich nach langer Trauer neu vermählt und die sechsundzwanzigjährige Maeve ist nur wenig älter als ihre Stiefkinder. Amber reagiert eifersüchtig, hat ihr Vater doch nun weit weniger Zeit und Aufmerksamkeit für sie. Dann allerdings lernen sich die beiden Frauen besser kennen und Amber merkt, dass sie Maeve zu Unrecht so schnell verurteilt hat - sie scheint Reginald wirklich zu lieben und teilt mit Amber sogar mehr Interessen als gedacht. Ein wichtiger Vertrauter für Amber ist der junge Mönch Tashi. Trotz seiner erst sechzehn Jahre erscheint er ausgesprochen weise und hat sich zugleich seinen kindlichen Charme bewahrt. Amber und Tashi verbindet schon bald eine geschwisterliche Freundschaft, die einer Seelenverwandtschaft gleicht.
Interessante Figuren
Ashton ist bei Ambers erster Begegnung mit ihm für den Leser kein Unbekannter mehr - der Leser hat die Auseinandersetzung mit den Kopfjägern miterlebt und weiß somit ein wenig mehr als die junge Frau. Dennoch wird Ashtons unberechenbares Wesen erst nach und nach offenbar und er bleibt auch für den Leser eine zwiespältige, aber nicht uninteressante Figur. Zwiespältig erscheint auch der Amerikaner Rhys, den Amber bereits auf ihrer Ägyptenreise trifft und der ihr zwei Jahre später erneut über den Weg läuft. Rhys erscheint als geheimnisvoller Mann mit düsterer Vergangenheit, der sich Amber gegenüber meist zynisch verhält - doch ab und an blitzen auch emotionale Momente auf und es zeichnet sich ab, dass ihm Amber wichtiger ist, als er es sich eingestehen möchte. Das Schema von anfänglicher Abneigung hin zu Sympathie und Anziehung ist zwar gewiss nicht neu, wird hier aber nicht zu klischeehaft oder kitschig umgesetzt, überhaupt fallen sämtliche Liebesschilderungen angenehm dezent aus.
Leben und Alltag in England Mitte des 19. Jahrhunderts werden detailreich eingefangen. Der Roman schenkt nicht nur Einblicke in die Welt der wohlhabenden Schichten, sondern auch die Probleme von Arbeitern und Dienstboten werden angeschnitten. Die Szenen in der Spinnerei sind nicht nur Blendwerk, sondern veranschaulichen auch für den unwissenden Leser die Produktionsabläufe. Die Schilderungen des indischen Settings laden zum Träumen ein, ohne zu kitschig zu geraten. Historische Hintergründe werden zwar nicht ins Zentrum gerückt, aber dennoch ausreichend gestreift, um sich ein Bild von der damaligen Zeit zu machen.
Interessante Nebenstränge
Neben der Haupthandlung um Amber hält das Werk noch zwei weitere, kleine Nebenstränge bereit, die gleichfalls den Leser fesseln: Die eine Nebenhandlung dreht sich um Ambers älteren Bruder Camden. Camden ist ein liebenswerter junger Mann, der allerdings zum Kummer seines Vaters sehr unstet ist. Alkohol, Wetten und Glücksspiel sind seine Schwächen, schließlich wird er auch noch von der Universität ausgeschlossen. Reginald Callahan zwingt ihn dazu, sich der väterlichen Fabrik zu widmen und endlich Verantwortungsbewusstsein zu lernen - und wider Erwarten zeigt Camden tatsächlich schon bald Interesse. Er freundet sich mit dem Arbeiter Malcolm an und unterstützt dessen technische Erfindung, die die Arbeit deutlich effizienter macht. Malcolm allerdings, der sich seit jeher zu Männern hingezogen fühlt, sieht in Camden bald mehr als einen Freund und weiß zugleich um die ungeheure Brisanz dieser Neigung. Sowohl Camdens als auch Malcolms Schicksal bewegen den Leser und man verfolgt gebannt die Entwicklung der Freundschaft, die schon bald eine dramatische Wendung nimmt.
Die zweite Nebenhandlung, die mit dieser verwoben ist, dreht sich um Malcolms Schwester Lexie. Die kecke Lexie ist Dienstmädchens im Haus von Camdens Freund Stanley, muss es jedoch aufgrund eines Skandals von heute auf morgen verlassen. Lexies Weg führt sie nach Kalkutta, wo sie völlig mittellos in Gefangenschaft eines Nawab gerät. Malcolm wie Lexie sind reizvolle Charaktere und auch wenn sich die Handlung über weite Strecken hauptsächlich Ambers Leben widmet, geraten die beiden nie in Vergessenheit und man ist gespannt auf den weiteren Verlauf ihres Schicksals.
Kleine Schwächen
Etwas störend fällt auf, dass ein wichtiger Handlungsteil übersprungen wird: Nur kurz in einer zusammenfassenden Rückblende wird die Zeit zwischen Ashtons Heiratsantrag bis zu ihrem Leben in Indien erzählt. Nur knapp resümiert oder gar nicht erwähnt werden folglich die Hochzeit, die Reaktionen von Ambers Familie auf Ashton und Ambers Eingewöhnung im fremden Land, dabei wären gerade diese Ereignisse spannend zu verfolgen gewesen. Ambers Vater, Maeve und Camden verschwinden dementsprechend auch ein bisschen zu plötzlich aus dem Blickfeld des Lesers.
Zu abrupt kommt auch der Umschwung im Verhältnis zwischen dem jungen Ehepaar: Wenige Seiten nach dem Antrag wird unvermittelt erklärt, dass Amber mit Ashton nicht glücklich ist, da sie seine Schattenseiten erfahren hat und die Eheleute mehr trennt als verbindet. Statt hier eine gemächliche Entwicklung zu präsentieren, wird der Leser vor vollendete Tatsachen gestellt, dabei hätte es seinen Reiz gehabt, diese erste Ehezeit mitzuerleben. Grundsätzlich wirkt das Ende ein bisschen zu gedrängt, wie unter großem Zeitdruck geschrieben. Auch eine bestimmte Handlungsweise Lexies kurz vor Schluss ist zwar an sich stimmig, wird aber zu gerafft dargestellt.
Unterm Strich ist Das Land der sieben Schwestern ein unterhaltsamer Indien- und Englandroman, der sich trotz kleiner Schwächen gut als kurzweilige Sommerlektüre eignet.
Patricia Mennen, Blanvalet
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