Das dunkle Geheimnis Jesu
- Spreeside
- Erschienen: Januar 2014
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- Spreeside, 2014, Titel: 'Das dunkle Geheimnis Jesu', Originalausgabe
Das Auferstehungs–Komplott
Man schreibt das Jahr 79 nach Christi Geburt. Nahe Pompeji hat wieder die Erde gebebt – Vorbote des drohenden Unheils, das über die Stadt hereinbrechen wird. Erinnerungen werden wach, Erinnerungen an ein anderes Beben, viele Jahre zuvor. Damals brachte man einen schwer verletzten Wanderer auf das Weingut, einen Mann, der keineswegs ein willkommener Gast war. Shaul war sein Name, Shaul aus Tarsos, und der alte Weinhändler Faustus kannte ihn aus seinem früheren Leben. Ein Leben, welches er einst als Yeshua, Sohn des Tektons Yossef aus Násherat, begann.
Mit jenem Shaul hatte sich Faustus tagelang im Zimmer eingeschlossen. Sie sprachen über ihre Erinnerungen, über ihr Erleben viele Jahre zuvor, in Galil und Judäa, in Yerushalayim. Faustus, weil er verstehen will. Shaul, weil er triumphierend berichten will. Denn Faustus muß erkennen, daß er keine Macht mehr über seine eigene Geschichte hat. Schon seit vielen Jahren nicht mehr. Shaul hat sich dieser Geschichte bemächtigt, hat sie in die Welt getragen, hat sie bearbeitet und verziert, ausgeschmückt, verschwiegen und verdreht. Nun aber liegt er vor Faustus und verkündet, warum er gekommen ist: "Um dir zu berichten, daß du gestorben und ein Gott geworden bist."
Jetzt, Jahre später, bebt die Erde wieder und Faustus erkennt, daß der große Vulkan bald ausbrechen und Pompeji zerstören wird. Diesmal wird sein Leben tatsächlich zu Ende gehen. Darum beschließt er, alles das aufzuschreiben, was Shaul ihm erzählte. Und auch das, was er selbst über sich berichtet hat. Ein letzter Versuch, der Welt die wahre Geschichte des Yeshua ish Násherat zu erzählen. Aber Faustus weiß, daß er gegen die Macht des Glaubens nicht ankommt, daß er auf verlorenem Posten steht gegen jene Legenden, die Shaul einst über Jesus von Nazareth verbreitete.
"Vae, puto deus fio!"
Mit diesen Worten auf den Lippen starb Vespasian und mit diesen Worten auf den Lippen lässt Wolfgang Walk auch den Weinhändler Faustus sterben. Es gab sie übrigens wirklich, die berühmten Weingüter des Faustus an den Hängen des Vesuv. Über ihren Besitzer sind allerdings keine Fakten überliefert – eine Steilvorlage für den Romanschreiber, das gibt er selbst in seinen Anmerkungen zu. Und er lässt in seinem Roman einen Mann mit Vorgeschichte in die Rolle des Weinhändlers schlüpfen, einen, der zuerst ein ganz anderes Leben führte, bevor es ihn nach Rom und schließlich auf das Weingut verschlug.
Das dunkle Geheimnis Jesu ist nicht der erste Roman, der den Wahrheitsgehalt der Evangelien in Frage stellt. Allerdings entwirft Walk hier ein Szenario, das dem Leser in dieser Form wohl neu sein dürfte. Dabei entspricht es vermutlich den Fakten, daß vor allem Shaul/ Saulus/ Paulus derjenige war, der für die Verbreitung des Christentums eintrat und dabei auch Nichtjuden mit einbezog. Der Leser jedoch wird auf der Suche nach der historischen Realität in diesem Roman in ein bizarres Spiel aus Wahrheit und Wirklichkeit hineingezogen, eine Unterscheidung, die der Autor in diesem Roman ausgiebig interpretiert. Dabei wird Wahrheit als das definiert, was Yeshua wirklich erlebt hat und was er in diesem Roman über sich erzählt. Wirklichkeit ist, was Shaul über jenen Yeshua erdachte und was die Menschen nun über den Gottessohn Jesus glauben.
Wolfgang Walk macht daraus jedoch kein schwieriges Verwirrspiel. Hier wird gradlinig erzählt, auch in einfachen Worten. Keine wilden Gedankenspiele oder Traumphantasien, einfach die Geschichte zweier Männer, die sie sich gegenseitig berichten. So lässt sich der Roman gut und flüssig lesen, fordert keine Atempausen zum eventuellen Überdenken schwer verständlicher Passagen. Hier ist nichts schwer verständlich. Eine eher einfache und nachvollziehbare Geschichte mit lebensvollen Protagonisten.
"Wenn aber die Wahrheit Gottes durch meine Lüge herrlicher wird..." (Römer 3,7)
Im Roman finden sich jedoch zahlreiche philosophische Tendenzen, aber das liegt wohl in der Natur der Sache. Schließlich ist Religion auch eine Form der Philosophie. Das sind dann doch jene Stellen im Roman, die innehalten lassen.
"Braucht es für dieses Gesetz einen Gott? Oder ist es nicht so, daß dieser Gott den gleichen Ursprung hat wie das Gesetz? Daß der Gott nur als Personifizierung und zusätzliche Legitimation des Gesetzes erschaffen wurde?"
Immerhin hat der Autor genug religiösen Zündstoff eingebaut um damit Christen und Juden gleichermaßen auf den Füßen rumzutrampeln.
"Eindrucksvolle Taten sind dabei. Und ich meine nicht die Totenerweckungen, Brotvermehrungen und das Wandeln über Wasser. Derlei Unfug kann man schließlich von einem durchschnittlichen Gott verlangen. Nein, ich meine die Berichte, die offensichtlich wahr sind: jene, in denen du Verzweifelten ihren Lebensmut wiedergegeben hast..."
"Aber ich habe genug erlebt, um zu wissen, daß Gott, wenn er existiert, kein Volk vor den anderen auserwählt. Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob er den Menschen vor dem Tier auserwählt hat. Ich weiß aber, daß das römische Gesetz viel Gutes bewirkt hat. Es ist nicht perfekt, das wird kein von Menschen geschaffenes Gesetz jemals sein. Aber wenn das jüdische Gesetz von Gott wäre, dann wäre der Herr als Gesetzgeber keinen Deut besser als der römische Senat."
Immerhin werden in Das dunkle Geheimnis Jesu auch die Mechanismen deutlich, die zur Entstehung einer neuartigen Sekte innerhalb des Judentums führten und schließlich zur Verbreitung dieses neuen Glaubens unter anderen Völkern. Auch die vielen kleinen Details, aus denen die Geschichte Jesu praktisch zusammengebastelt wurde, bleiben nicht unerwähnt. So mancher Leser wird wohl erstaunt sein, wenn er erfährt, daß der Gott Mithras um die Zeit der Wintersonnenwende von einer Jungfrau geboren wurde. Insofern ist der Roman hoch informativ, interessant und dazu spannend erzählt. Erst im letzten Drittel verirrt sich der Autor offenbar ein wenig in der Subura, dem Elendsviertel Roms. Hier fällt die Spannung streckenweise deutlich ab, allerdings gibt es genug Anreize weiter zu lesen bis zum heißen Ende.
Frohe Botschaft
Der Titel des Romans Das dunkle Geheimnis Jesu ist irgendwie irritierend, scheint er doch eher auf den ZDF – Histokanal mit seinen mehr oder gelegentlich auch weniger seriösen Dokumentationen zu verweisen als auf einen historischen Roman. Man sollte sich von diesem Titel nicht abschrecken lassen, denn der Roman ist spannend, phantasievoll und religionswissenschaftlich gut recherchiert. Der Spreeside Verlag hat den Hardcover – Band mit einer dezenten Umschlag - Illustration versehen lassen, der Autor hat ein hoch interessantes Glossar beigefügt. Alles in allem kann man mit diesem Roman nicht viel falsch machen. Allerdings sollte man schon ein wenig schauen, wen man damit vielleicht ausgerechnet zum Osterfest beglücken möchte. Nicht jeder wird Gefallen an der Überlegung finden, daß Jesus nie auferstanden ist. Trotzdem ein Roman, der einen guten Platz im Bücherregal verdient hat.
Wolfgang Walk, Spreeside
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