Faustinas Vollendung
- Aufbau
- Erschienen: Januar 2014
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- Aufbau, 2013, Titel: 'Secrecy', Originalausgabe
Ein Roman voller morbider Faszination
So muss eine Liebesgeschichte erzählt werden, die sich vom gängigen Muster abheben soll und doch voller Zauber steckt. Rupert Thomson wählt für seinen Roman "Faustina Vollendung" ein spezielles Setting. Angesiedelt ist die Geschichte in den letzten Jahren des 17. Jahrhunderts. Der Sizilianer Gaetano Zummo verlässt nach einem Zusammenstoß mit seinem Bruder die Heimat und kommt an den Hof in Florenz. Denn er beherrscht ein Kunsthandwerk, das den Großherzog fasziniert: Er schafft aus Wachs Bildnisse, die von einer morbiden Ausdruckskraft sind. Seine künstlerische Profession, den Zerfall darzustellen, ist jedoch dem Dominikaner Stufa ein Dorn im Auge. Er beobachtet den jungen Mann argwöhnisch, was besonders kritisch wird, als Zummo vom Großherzog einen höchst geheimen Auftrag erhält. Noch mehr aber als seiner Kunst ist Zummo der geheimnisvollen Apothekerin Faustina zugeneigt. Je mehr er sich aber in diese Liebe hinein gibt, desto stärker arbeitet Stufa daran, das Glück zu zerstören. Und Stufa hält alle Trümpfe in der Hand.
Das Spiel mit der Sprache
Obwohl es sich bei diesem Roman um eine Übersetzung aus dem Amerikanischen handelt, lebt er von einer eigenwilligen Sprachmelodie, die der Geschichte ihren Stempel aufdrückt – und zwar im positiven Sinne. Rupert Thomson – übersetzt von Nadine Püschel und Max Stadler – erzählt mit einer Nonchalance, die ausgezeichnet zum Stoff passt. Zummo, die Hauptfigur, tritt mit der Äbtissin Marguerite-Louise von Orléans in Verbindung. Er konfrontiert sie mit einem Detail aus ihrer Vergangenheit, das sie sorgsam verborgen glaubte. Von ihm auf diese Weise entblößt, hört sich die Äbtissin Zummos Geschichte an. Damit schafft der Autor den Sprung von einer Ich-Erzählerin zu einem zweiten Ich-Erzähler, ohne dass es dadurch Verwirrung geben könnte. Vielmehr lässt Rupert Thomson sein Publikum schon nach wenigen Sätzen ganz in die Geschichte eintauchen, aus der es sich erst wieder lösen kann, wenn die letzten Worte verklungen sind.
Düster und Hell
Rupert Thomson arbeitet mit Gegensätzen. Zummos Geschichte ist – wie auch seine Kunst – von einer faszinierenden Morbidität. Doch wird sie so erzählt, dass die düsteren Farben, die dem Stoff an sich zugeordnet sind, von einem hellen Schimmer überlagert werden. Der Erzähler schafft es, seine Geschichte so zu präsentieren, dass dabei eine gehörige Portion Eigenironie mitschwingt. Möglich ist das vor allem deshalb, weil Zummo zu diesem Zeitpunkt bereits mit dem Leben abgeschlossen hat. Er kann vor der Äbtissin nicht verbergen, dass ihm gesundheitliche Schwierigkeiten die Energie rauben. Dennoch will er los werden, was ihn bewegt. Mag sich der Leser zu Beginn noch fragen, was denn genau Zummo nun der Äbtissin vermitteln will, so ist er von der Geschichte des Künstlers bald so gefangen genommen, dass diese Frage erst einmal in den Hintergrund tritt. Rupert Thomson zeigt seine Stärke in der Art, wie er die Liebesgeschichte des Künstlers mit Faustina aufarbeitet. Er bleibt stets authentisch und verfolgt eine gerade Linie: Nirgends gleitet er zu sehr ins Seichte ab, nirgends wird seine Geschichte unerträglich düster.
Überzeugende Charaktere
Rupert Thomson präsentiert einen ganzen Reigen überzeugender Charaktere. Einige davon sind zwar klar strukturiert und können ohne weiteres "Gut" und "Böse" zugeordnet werden – doch bleiben selbst sie facettenreich und spannend. Die tragenden Figuren aber sind so gut ausgearbeitet, dass man sie nicht aus den Augen lassen möchte. Sie bewegen sich eloquent auf verschiedenen Ebenen und bereichern den Romanstoff, der an sich schon viel Potenzial aufweist. Dass die beiden Übersetzer den Stoff durch einen virtuosen Einsatz der deutschen Sprache zu einem genussvollen Erlebnis machen, kommt dem Leser entgegen. Wer also einen außergewöhnlichen historischen Roman sucht, der sowohl Poesie als auch Spannung bietet, wird hier bestens bedient. Er kann sich auf eine gut gelungene Unterhaltung freuen, die mehr als einmal überrascht und tiefer geht, als zunächst angenommen.
Rupert Thomson, Aufbau
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