Feuermal und Flammenmeer
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2014
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- Gmeiner, 2014, Titel: 'Feuermal und Flammenmeer', Originalausgabe
Machen Sie lieber einen schönen Spaziergang
Stuttgart im 19. Jahrhundert. Vermutlich hat die Nachricht, dass es sich bei den lang erwarteten Stammhaltern in einer Familie um Kuckuckskinder handelt, noch nie Begeisterungsstürme ausgelöst. In diesem Fall trifft es Rüdiger von Hayden besonders hart, hatte er doch den Nachwuchs herbeigesehnt und seiner Ehefrau mit Schuldzuweisungen ohnehin schon das Leben zur Hölle gemacht. Dennoch wäre es in diesem Fall empfehlenswert gewesen, sich die Erklärung der Ehegattin anzuhören, war diese zum einen an den besonderen Umständen der Empfängnis vollkommen schuldlos und zum anderen wäre der Gehörnte nicht an den folgenden tragischen Verstrickungen verstorben. Rüdiger von Hayden stellt indes keinen besonders charmanten oder liebenswerten Charakter im Roman Harald Görlichs dar, der sich mit dem Leben der Ehefrau - der Agnes von Hayden - befasst. Ihr Weg durch eine anfangs hoffnungsvolle, dann aber trostlose Ehe und die Entwicklung nach dem durch sie verursachten Tod ihres Mannes, wird in diesem Buch erzählt.
Was nicht passt, wird passend gemacht
Die Geschichte von Frauen, die ohne ihr Verschulden jeweils in die Mühlen der Justiz geraten oder wegen ihres Geschlechtes Diskriminierungen und Elend zu erdulden hatten, bilden seit jeher ein interessantes Feld für Romanautoren. Harald Görlich zeichnet auch für den Anfang des 19. Jahrhunderts kein optimistischeres Bild. Die Heldin gerät in die Mühlen des gesellschaftlichen Drucks und um diesen zu entgehen, tritt sie ungewollt erst die tragische Entwicklung los.
Der Ausgangspunkt dieser Verkettung spielt der ehemalige Scharfrichter Emanuel Bodelschwingh, der - beruflich gescheitert - in einer heruntergekommenen Hütte haust und sich sein mageres Tagewerk mit Scharlatanerien oder bestenfalls medizinischem Halbwissen verdient. Hier tritt auch das besondere Manko auf, das sich durch Görlichs Buch wie ein roter Faden zieht. Zugunsten der Entwicklung, die für die Heldin Agnes vorgesehen ist, werden Personen und deren Handlungen so zurechtgebogen, dass sich ihre Handlungen zwangsläufig in die Entwicklung einfügen müssen. Hier wäre zum Beispiel der Sohn Bodelschwinghs zu nennen, bei dem es erstaunlich ist, dass er überhaupt das Erwachsenenalter erreichte, wurde er doch von seinem Vater nicht nur massiv vernachlässigt und misshandelt, sondern sogar so herabwürdigend behandelt, dass er anstelle eine Taufnamens lediglich auf die Bezeichnung Balg hört. Ein Einfall, auf den der Autor im übrigen offensichtlich so stolz war, dass immer und immer wieder auf den Sohn Balg hingewiesen werden muss. Leser sind ja manchmal vergesslich. Obwohl vom Vater auf diese Art und Weise behandelt, wächst der Junge zu einem starken und offensichtlich nicht unattraktiven Mann heran, was grundsätzlich verwundert, aber seinen Sinn darin hat, dass er sich im Zuge der Handlung an der bewusstlosen Agnes vergehen musste, die sich wegen ihres Kinderwunsches in die Behandlung des als Heiler gerühmten Vaters begeben hatte. Aus welchem Grund der Sohn diesen Gewaltakt vollzog, kann er sich doch laut vorheriger Beschreibung nicht vor interessierten Frauen retten bzw. ob diese Praktik generell zur Kinderwunschbehandlung Bodelschwinghs gehörte, bleibt nebulös.
Hämisch grinsende Bösewichte und hilflose Frauen
Dieser Begriff beschreibt dann auch am besten die weitere Entwicklung. Agnes, die in ihrer Ehe mit Rüdiger von Hayden kinderlos blieb, empfängt bei dieser Vergewaltigung Zwillinge, die aber ein besonderes Kennzeichen ihres Erzeugers - ein Feuermal - davontragen. Anhand dieses Mals erwächst dann in Rüdiger von Hayden der erste Verdacht auf die tatsächliche Vaterschaft, als der vornehme Stellvertreter des Geheimen Ratspräsidenten die trostlose, verwahrloste Hütte Bodelschwinghs aufsucht, um sich dort persönlich ein Bild von einer Pockenerkrankung zu machen, an der Balg offensichtlich als einziger im gesamten Landkreis erkrankte. Dass bei diesem Besuch anhand des Feuermals sofort Zweifel an der tatsächlichen Vaterschaft aufkeimen müssen, gehört zur selbstredenden Logik des Romans. Allein diese Punkte dürften schon genügen, damit sich der Leser fragt, ob er denn jetzt eine Fortsetzung von Grimms Märchen oder zumindest den relativ ernstgemeinten Versuch eines Erwachsenenromans mit ernsthaften Charakteren vor sich hat. Diese Frage beantwortet sich dann aber alsbald, als von Hayden im Zuge eines wüsten Rachefeldzuges nicht nur die beiden Kinder, die er am Morgen des Tages noch als seine eigenen betrachtete, in ein Waisenhaus abschiebt, im Zuge der Auseinandersetzung die langjährige Vertraute seiner Ehefrau ermordet und Agnes selbst bis auf weiteres zu einem Dasein zu Wasser und Brot im Keller verdammt. Natürlich ist es bei dieser Schwarz-Weiß-Charakterisierung nicht erstaunlich, dass es sich der Hausherr nicht verkneifen kann, sämtliche Untaten mit einem schadenfrohen Grinsen zu begleiten. Nicht erstaunlich ist auch, dass die so gequälte Agnes in Notwehr ihren tobenden Gatten ermordet.
Nach diesem mehr als furiosen Auftakt galoppiert der Roman durch das weitere Leben der Heldin, die sich fortan der Suche nach ihren Kindern widmet und dabei diverse halsbrecherische Abenteuer erleben muss und dabei nach der bereits bewährten Schwarz-Weiß-Malerei auf Bösewichte oder Heilige trifft. Natürlich wäre es hier ein Bruch in der Dramaturgie, wenn diese Suche mit einer einfachen aber gerührten Familienzusammenführung gipfelte. Nein, auch hier muss die gesamte Familie den großen Brand von Hamburg durchstehen, ehe dann doch endlich Ruhe einkehrt.
Warum lesen?
Zum Abschluss stellt sich die Frage, warum man dieses Buch lesen sollte. Vielleicht darum, weil es sonst langweiliger ist, auf einer langen Bahnfahrt Löcher in die Luft zu starren oder sich im Wartezimmer durch veraltete Journale zu lesen. Vielleicht auch darum, weil man nach dem Einstieg dann doch erfahren möchte, wie die Geschichte ausgeht. Dennoch, wer ein ernstgemeintes Sittengemälde des 19. Jahrhunderts erleben und von glaubhaften Charakteren lesen möchte, der sollte dieses Buch doch lieber zugunsten eines langen Spazierganges zur Seite legen.
Harald Görlich, Gmeiner
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