Die Unsichtbaren
- Osburg
- Erschienen: Januar 2014
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- Osburg, 2013, Titel: 'De Usynlige', Originalausgabe
Vom stillen Leben auf einer kleinen unwichtigen Insel
Hoch oben im Norden Skandinaviens liegt vor der Küste Norwegens die kleine Insel Barrøy, einen Kilometer lang und einen halben Kilometer breit. Hier leben Hans Barrøy und seine Frau Maria, zusammen mit Hans Vater Martin, der seit zehn Jahren Witwer ist, und Hans Schwester Barbro, die geistig etwas zurückgeblieben ist. Zudem haben sie eine dreijährige Tochter, Ingrid, der Sonnenschein der kleinen Insel.
Man lebt vom Fischfang und von dem, was die Insel hergibt, einen kleinen, fruchtbaren Garten, ein bisschen Vieh. Hans fährt jeden Winter mit seinem Bruder auf Fischfang zu den Lofoten und verdient so das meiste Geld zum Unterhalt der Familie. Überhaupt gibt es wenig Kontakt zu anderen Menschen, gelegentlich zu anderen Inseln, selten fährt man aufs Festland, wie beispielsweise zur Taufe von Ingrid.
Das Leben geht vor sich hin, und auch von aussen dringt nur wenig nach Barrøy. Ein grosser Krieg soll ausgebrochen sein, kaum von Interesse im Nordmeer. Hier modernisiert man, indem man einen Kai baut, an dem auch mal ein richtig grosses Schiff anlegen kann. Irgendwann verschwindet Barbro, und nachdem man sich lange Sorgen gemacht hat und sie schon tot vermutet, kommt sie wieder nach Barroy gefahren, sie war auf dem Festland in Stellung gegangen und hat bei einer Familie gearbeitet, ist jetzt schwanger und kehrt daher auf die Insel zurück.
Das Leben mit und von der Natur
Roy Jacobsen verschafft seinen Lesern mit seinem Roman Die Unsichtbaren einen beeindruckenden Einblick in die Seele und das Leben der Menschen auf den norwegischen Inseln zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Alles außer der Familie und der Insel ist im Grunde völlig uninteressant, doch Hans hat Ideen, was er auf Barrøy verändern oder bauen möchte, und so gibt er viel Geld in den Handelskontors am Festland für Baumaterial aus und baut mit seinem Vater den Kai. Tatsächlich legen nun öfter Boote an, und irgendwann ist man auch an die Milchroute angebunden, deren Boot alle Inseln abfährt und die gemolkene Milch zweimal die Woche einsammelt und aufkauft. Die Milchroute erweist sich zudem als eine Art Zeitung, denn noch nie hat man aktueller Nachrichten von anderen Inseln oder vom Festland bekommen.
Als Tochter Ingrid alt genug ist, zur Schule zu gehen, wird sie ans Festland gebracht, wo ein Lehrer ihnen direkt am ersten Tag das Schwimmen beibringt, was man als Inselbewohner können sollte. Der Unterricht dauert zwei Wochen, dann fährt der Lehrer in den nächsten Ort, wo er wieder zwei Wochen Kinder aus dem Umfeld unterrichtet und kehrt dann wieder zurück. Das Leben verläuft eben anders, ruhiger, aber nicht minder organisiert, und Roy Jacobsen stellt dies alles als für uns nichts besonderes dar, sondern erzählt einfach, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Da ist auch gelegentlich etwas Humor mit dabei, aber im Grunde verläuft das Leben und die gesamte Erzählung sehr ruhig.
Ruhige, aber unterhaltsame Erzählung
Natürlich gibt es Stürme und Unwetter, und eindrucksvoll wird geschildert, wie man auf der Insel damit umgeht: Ruhig natürlich, denn ändern kann man es sowieso nicht, man kann sich nur für das nächste Mal besser darauf vorbereiten. Gelegentlich werden auch Schiffsteile oder Fracht von anderen Schiffen angeschwemmt, und man nutzt, was man brauchen kann. Selbst ist der Mann oder die Frau, hier lernt man nicht aus Büchern, sondern direkt aus der Erfahrung, der Tradition und der Natur. Eine Lektion, die sich durch das ganze Buch zieht und ob der Kreativität das eine ums andere Mal staunen lässt.
Historisch gesehen gibt es nur wenige, vage Hinweise. Warum auch, niemanden interessiert die kleine Insel Barrøy, und auf Barrøy interessiert sich auch eigentlich niemand für den Rest der Welt. Natürlich geht man zur Schule und will vielleicht mal eine Ausbildung machen. Aber es gibt ja auch so Zuwachs. Barbro bringt Sohn Lars zur Welt, es bleibt ungesagt, wer der Vater ist, das ist ja auch nicht wichtig. Als Ingrid älter ist und auf dem Festland eine Stellung bei einer Familie hat verschwindet dort irgendwann der Vater, man sagt, er habe spekuliert und alles Geld verloren, ein kleiner Hinweis, dass man sich nun in den 20er Jahren befindet. Auch die Mutter verschwindet, und macht Ingrid das einzige, was ihr einfällt: Sie packt die beiden Kinder Felix und Susanne, ein und nimmt sie mit nach Barrøy.
Hervorragend
Im Grunde passiert in dem Roman nicht sehr viel, und doch will man immer wissen, wie es weitergeht. Roy Jacobsen pflegt einen unterhaltsamen, aber dennoch stillen Stil, der es jedem Leser leicht macht, in seine Welt und in die von Barrøy einzutauchen. In der deutschen Übersetzung von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann fällt vor allem in den Dialogen auf, dass die gesprochene Sprache nicht wirklich korrekt und etwas schlampig ist, was darauf schliessen lässt, dass dies auch im Norwegischen Original so ist und zeigt, dass die Familie durch den geringen Einfluß von aussen in dieser Hinsicht ein wenig zurückliegt und verlodert. Aber man versteht sich, und das ist ja die Hauptsache.
Die Unsichtbaren ist insofern ein zutreffender Titel für den Roman, als man auf dem Festland Norwegens und auf den anderen Inseln und im Rest der Welt eigentlich nichts von Barrøy weiß, was aber auch niemandem etwas ausmacht und was auch gar nicht wichtig und gewollt ist. Sie kochen ihr eigenes Süppchen, was durchaus positiv gemeint ist, und niemand stört den anderen. Jacobsen erweist sich als perfekter und genauer Beobachter von Mensch, Technik und Natur und lässt den Insel einen weiteren Bewohner der Insel werden.
Der Roman von Roy Jacobsen ist still, ruhig und voller kleiner Geschichten und Anekdoten, und jede Seite versteht es, seinem Leser aufs neue wieder kleine Freuden zu bereiten. Erzählt wird die Familiengeschichte derer von Barrøy, mit Hochs und Tiefs und Aufs und Abs, ohne Wehklagen, sondern einfach mit Aktion. Ein beeindruckendes Stück Literatur, das zurecht Platz 1 der norwegischen Bestsellerliste belegt hat. Möge ihm in deutscher Sprache ein ähnlicher Erfolg beschieden sein. Hervorragend.
Roy Jacobsen, Osburg
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