Die letzte Jüdin von Würzburg
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2014
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- Rowohlt, 2014, Titel: 'Die letzte Jüdin von Würzburg', Originalausgabe
Alle sind tot...
Jaelle ist möglicherweise die Einzige, die das Massaker an den Juden von Straßburg überlebte. Geh nach Würzburg, hatte der Vater ihr noch geraten. Dort muß noch ein Onkel leben, einer, der dich aufnehmen und dir helfen kann. Und so macht sich Jaelle auf den Weg, in Männerkleidung. Niemand darf ihr ansehen, dass sie Jüdin ist, denn man schreibt das Jahr 1349. Die Pest zieht durch Europa, von Westen nach Osten, und überall werden die Juden als Brunnenvergifter angesehen, gibt man ihnen die Schuld an der tödlichen Krankheit.
Auf dem Weg trifft Jaelle auf einen mächtigen Mann: Michael de Leone. Er ist Berater des Bischofs von Würzburg. In seinem Wagen fährt Jaelle in die Stadt und de Leone interessiert sich sehr für den gebildeten jungen Mann, den er in Mainz aufgegabelt hat und der nun in Würzburg nach einem Verwandten suchen will. Er bietet Jaelle eine Stelle als Schreiber an, nicht ahnend, dass er dieses Angebot einem Mädchen, einer Jüdin noch dazu, macht.
Jaelle lehnt ab, sucht und findet die jüdische Gemeinde von Würzburg, aber dort scheint es keinen Verwandten zu geben, der sich um sie kümmern könnte. Aufnahme findet sie im Haus des Rabbiners Moshe. Als Moshe jedoch hört, welches Angebot de Leone dem jungen Mann machte, bittet er Jaelle, ihre Rolle weiter zu spielen und als Schreiber in Michael de Leones Dienste zu treten. Zwar stehen die Würzburger Juden seit Jahren unter dem persönlichen Schutz des Bischofs, trotzdem fürchtet der Rabbiner um die Sicherheit der Gemeinde. Denn auch in Würzburg mehren sich die Stimmen, die den Juden vorwerfen, Brunnen zu vergiften und Schuld am Tod vieler Christen zu sein. Rabbi Moshe hofft, dass Jaelle die Gemeinde rechtzeitig warnen kann, falls sich Unheil zusammen braut.
Für Jaelle ist es nicht leicht, diese Rolle zu spielen, hat sie sich doch auch in den jungen Arzt David verliebt. Dennoch tritt sie in de Leones Dienste. Aber immer noch sucht sie nach ihrem Verwandten, jenem Onkel, der hier in Würzburg leben soll und der bisher auf keiner der Ahnentafeln der Gemeinde auftauchte.
Der erste literarische Salon
Roman Rausch lässt in Die letzte Jüdin von Würzburg den in Rauch und Flammen untergegangenen Glanz der Würzburger jüdischen Gemeinde auferstehen. Dabei widmet er seine Aufmerksamkeit besonders intensiv der illustren und historisch belegten Gestalt des Michael de Leone. Rausch stellt mit dem Roman eine Theorie auf, die vielleicht wahr sein könnte, obwohl sie sich bisher nicht durch Dokumente beweisen lässt. Trotzdem ist diese Theorie reizvoll und in seinem Nachwort bringt der Autor gute Argumente für seine Ideen vor. Dazu kommt, dass de Leone eine Persönlichkeit war, die heute zwar jedem Germanistikstudenten und jedem Literaturwissenschaftler ein Begriff sein sollte, die dem breiten Publikum jedoch eher nicht bekannt ist. Von daher bietet der vorliegende Roman neben der Geschichte der Pestpogrome eben auch den spannenden Blick auf jenen Mann, der wohl als erster Mensch auf deutschem Boden eine Art literarischen Salon schuf, der andere Literaten um sich scharte und sie zu neuen Arbeiten ermunterte.
Rausch schildert de Leone als selbstbewussten, ja auch machtbewussten Mann, ebenso wie als Literaturmäzen und als verletzlichen, angreifbaren Menschen. Dabei ist de Leone ein Paragraphenreiter, Recht und Gesetz sind für ihn das wohl Wichtigste überhaupt. Dabei spielt es dann keine Rolle, ob das Gesetz vielleicht schlecht ist: Man muß sich daran halten. Sein Credo lautet:
Man kann nicht einfach die Juden töten und den König damit bestehlen!
Nun, man kann sehr wohl. Vorausgesetzt, der König ist damit einverstanden. Tragischerweise begreift de Leone zu spät, dass kein Gesetz gegen Dummheit, Habgier und blinden Hass schützt.
Der Untergang der Menschlichkeit
Der Leser erfährt hier sehr viel über jene Regelungen, die im Mittelalter dafür sorgen sollten, dass Juden in den deutschen Städten geschützt leben konnten. Dazu gehört das sogenannte Judenregal, welches die Juden zum Eigentum des Königs erklärte. Oft genug versagten diese Schutzmechanismen jedoch, so auch in den Jahren 1349/50, als deutschlandweit tausende Juden umgebracht und ganze jüdische Gemeinden ausgerottet wurden. Ungewöhnlich für einen Roman, aber sehr informativ und interessant, sind dabei die eingestreuten DokuSeiten zur Geschichte der jüdischen Gemeinde von Würzburg und zu den Massakern in den jüdischen Gemeinden anderer deutscher Städte.
Dabei gelingt es Rausch ganz wunderbar, das fragile Geflecht der Beziehungen zwischen Christen und Juden zu schildern. Als Leser erlebt man mit, wie sich die Stimmung mehr und mehr gegen die Juden wendet. Und man erlebt, welche politischen Winkelzüge letztendlich dazu beitragen, dass die Würzburger Juden ebenso auf dem Altar der Unmenschlichkeit geopfert werden wie die Juden anderswo. Roman Rausch ist auch nicht bereit, ein gnädiges Mäntelchen über diese Untaten zu decken. Er schildert sie sehr deutlich und mit aller Brutalität.
Der Autor hat für seine Geschichte interessante Protagonisten geschaffen, viele von ihnen Charaktere mit Tiefe und vielfältigem Gefühlsleben. Dabei wird eher geradlinig erzählt, jedoch in den unterschiedlichen Kapiteln auch aus verschiedenen Perspektiven. So werden vor allem Jaelle und Michael de Leone fokussiert. Nur eines ist wirklich schade: Leider wurde die arme Jaelle mal wieder in eine Hosenrolle gesteckt. Eigentlich ist es verwunderlich, wie viele Mädels in den letzten Jahren (zumindest in historischen Romanen) damit durchgekommen sind. Wohl die Mehrheit aller Leserinnen jedoch ist sich sicher, dass sie selbst sofort enttarnt worden wären. Aber vielleicht stimmt ja auch, was Mirjam, die Frau des Rabbiners Moshe, sagt: Männer sehen nur, was sie sehen wollen.
Unbedingt eine Empfehlung wert!
Die letzte Jüdin von Würzburg ist ein spannender und gut recherchierter Roman, lebendig und informativ. Das ausführliche Nachwort des Autors sei hier ebenso zur Lektüre empfohlen. Auch die eingestreuten DokuSeiten sollte man nicht überblättern, sie tragen viel Erhellendes zur Romanhandlung bei. Der Rowohlt Taschenbuch Verlag hat mit der themenbezogenen Covergestaltung einen wirklich guten Griff getan. Das Buch hebt sich damit angenehm aus der Masse heraus.
Dies ist ein Roman, in dem es um tragische und grausame Ereignisse geht, ganz sicher nicht jedermanns Sache. Und doch ist es auch ein Roman für alle Fälle und unbedingt eine Empfehlung wert! Denn so traurig vieles in der erzählten Geschichte auch sein mag: Es wird Zeit, das diese Ereignisse Eingang finden in die Literatur und in das kollektive Gedächtnis.
Roman Rausch, Rowohlt
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