Der historische Roman
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- Erschienen: Januar 2013
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- , 2013, Titel: 'Der historische Roman', Originalausgabe
Eine wissenschaftliche Erkundung des Genres Historischer Roman
Zu vielen Themen gibt es neben begleitenden Schriften, Rezensionen und Kommentaren auch des öfteren wissenschaftliche Untersuchungen, die das Ganze intensiver beleuchten und einen Erfolg oder Misserfolg zu ergründen suchen. Auch das Genre des Historischen Romans ist inzwischen einige wenige Male Zielpunkt solcher Untersuchungen geworden. In den "Beiträgen zur Literatur und Literaturwissenschaft des 20. und 21. Jahrhunderts" ist im Jahr 2013 der 23. Band erschienen, der den Titel "Der historische Roman – Erkundung einer populären Gattung" trägt und der von Hans-Edwin Friedrich herausgegeben wurde.
Das fast 340seitige Hardcover aus der Peter Lang Edition ist nach einer Einleitung des Herausgebers in drei Abschnitte unterteilt. Im ersten Teil "Populäre Klassiker" werden "ältere" historische Romane wie Felix Dahns "Ein Kampf um Rom" oder Henryk Sienkiewiczs "Quo vadis?" untersucht, im zweiten Teil "Der postmoderne historische Roman" geht es um neuere Erscheinungen des Genres wie von Gisbert Haefs "Hannibal", Peter Berling "Die Kinder des Gral" oder Thomas Pynchon "Mason & Dixon". Der dritte Teil spezialisiert sich auf "Populäre historische Romane" wie Noah Gordons "Der Medicus", Rebecca Gablés "Das Lächeln der Fortuna" oder "Die Wanderhure" von Iny Lorentz. Eine umfangreiche Bibliographie rundet das Buch ab.
Geschichtliche Einleitung
In seiner Einleitung versucht der Herausgeber einen kurzen historischen Rückblick auf das Genre, mit einem ersten Höhepunkt in den 30er Jahren und das Dritte Reich, begründet im "Wer bin ich? Wo komme ich her?", wo zum einen bis dahin populäre Romane der Gattung als Vorbild dienten, zum anderen weitere aus der Zeit folgten, die allerdings im Nachblick einen nationalsozialistischen Blickwinkel hatten. Das Genre war nach dem Krieg in der Krise und in den 1960ern so gut wie tot. Erst mit Erfolgsromanen wie Umberto Ecos "Der Name des Rose" (Il nome della rosa, 1980) begann der erneute Siegeszug der historischen Romane, der bis heute anhält.
Hingewiesen wird vor allem auf die Mischung aus "fictum und factum", was je nach Roman innerhalb des Genres variiert und auch genreübergreifend mit Horror oder Fantasy einhergehen kann. Nach Ansicht Friedrichs ist das Genre derart populär, dass sich auch Verfilmungen grosser Beliebtheit erfreuen ("Wanderhure", "Der Name der Rose", "Die Tudors"), und auch im Internet gibt es Portale und Communitys und natürlich Autorenseiten, die sich mit dem Thema beschäftigen. Auch die Histo-Couch wird immerhin in einer Fussnote erwähnt: "Leser betreiben Netzseiten, die reichhaltiges Material für rezeptionsästhetische Analysen bereithalten." (zusammen mit anderen Seiten in der Fussnote erwähnt)
Einige Aspekte des Buches
Hier soll nur kurz auf einige erwähnte Aspekte des Buches eingegangen werden, denn dieses ist inhaltlich sehr umfangreich, und, wie es sich für ein wissenschaftliches Werk gehört, voll mit wissenschaftlich-lateinischen Fachbegriffen, mit denen der gemeine Leser historischer Romane meist nicht viel anfangen kann. Im Artikel über "Quo vadis?" aus der Feder des polnischen Autors Lukas Sinkiewicz stellt der Autor des Artikels, Michael Düring, zunächst eine kurze biografische Abhandlung über Sinkiewicz vor und geht dann zu dessen berühmtestem Werk über, das 1896 erschien. Verfasst als Fortsetzungsroman für Zeitungen und Zeitschriften und somit unter einem gewissen redaktionellen Zeitdruck, ist der Roman eine Mischung aus Fakt und Fiktion. Nach einer umfangreichen Inhaltsangabe mit etlichen Zitaten vermutet Düring zunächst, der Roman sei nur für sich selbst als Geschichte aus dem Alten Rom geschrieben, bezieht ihn dann aber auf die Zeit der Entstehung 1800 Jahre später, und folgert: "Hinter dem historischen Gewand des Romans verbergen sich tagesaktuelle politische Anspielungen, die im Sinne einer Allegorie zu entschlüsseln sind." Sinkiewicz hat sich selbst ein wenig in diese Richtung geäußert. Aus heutiger Sicht kann man den Despotismus eines Kaisers Nero bestimmt immer noch in einigen Ländern entdecken – leider. Größenwahn wird auch in den nächsten 2000 Jahren nicht aussterben und somit auch historische Romane, die über vergangenes berichten, im Sinne einer Allegorie immer aktuell sein.
Im Artikel über Noah Gordons "Der Medicus" beschreibt der Autor Albert Meier zunächst den Werdegang des Autors und des Romans, der zunächst in den USA kein Erfolg war, später aber über den Umweg vor allem in Deutschland auch wieder in Amerika beliebt wurde. Ausführlich werden historische Aspekte des Romans besprochen und festgestellt, dass all die medizinischen, politischen und religiösen Ansichten den Protagonisten aus heutiger Sicht in den Mund und ins Hirn gelegt wurden, immer aber angepasst an die damalige Situation. "´Geschichte´ kann ohnehin nie Anderes sein als eine Erfindung im Nachhinein", meint Meier und konstatiert auch, dass "sachliche Verstösse … gegen die historische Korrektheit" nicht weiter ins Gewicht fallen. Meier untersucht den Roman unter dem Aspekt, ob ein Welterfolg inhaltlich korrekt sein muss und ob es dem Erfolg etwas ausmacht, kommt aber zu keiner zielgerichteten Endaussage. Aber es ist ein interessanter Aspekt, über den man durchaus nachdenken kann.
Im vorletzten Kapitel des Buches beschreibt Maike Schmidt den "historischen Regionalkrimi". Mit Jacques Berndorf und seinen Eifelkrimis etablierte sich 1989 der Regionalkrimi, und als einen der ersten historischen Regionalkrimis bezeichnet sie Frank Schätzings "Tod und Teufel". Seitdem spriessen Regionalkrimis, historische wie zeitgenössische, wie Pilze aus dem Boden, einzeln oder in Reihen. Schmidt beschreibt, wie regionalspezifisch die Verbrechensursachen sein können, sei es politisch, persönlich oder sonstwie bedingt und auch aus der Geschichte und vor allem auch der Tradition bedingt. Es geht ihr vor allem um regionale Identitäten, die bei den Ermittlungen eine Rolle spielen, was allerdings nicht nur bei historischen Krimis der Fall ist. Hier kommt aber noch der Aspekt hinzu, dass der Leser um regionalgeschichtliches Wissen angereichert wird. Meist kürzer als "normale" historische Romane, verklären sie nicht ihre Zeit als Kitsch, sondern zeigen auch die negativen Aspekte der Zeit auf und protokollieren so mehr als nur eine Verbrechensaufklärung.
Sinn oder Unsinn einer Bibliographie
Ob es einer über 70 Seiten langen Bibliographie bedurft hätte, in denen einfach nur alphabetisch nach Autoren sortierte Romane deutschsprachiger Autoren aus den letzten 25 Jahren aufgelistet werden, bleibt dahingestellt. Wären sie zumindest nach Epochen sortiert worden, könnten potenzielle Leser des Buches bestimmt mehr damit anfangen, abgesehen davon, dass sie bestimmt andere Quellen haben, sollten sie einen Roman suchen.
Hans-Edwin Friedrichs Untersuchung "Der historische Roman", beruhend auf einer universitären Vorlesungsreihe, wirft einige interessante Ideen zum Thema des historischen Romans auf, wobei immer die Frage im Raum steht, ob sich die Autoren der Romane genau die selben Gedanken gemacht haben wie die Autoren der Artikel darüber. Bei wissenschaftlichen Abhandlungen besteht immer die Gefahr, Bücher zu zerreden, die auch einfach nur für sich stehen könnten, wobei sie auf der anderen Seite auch Aspekte aufzeigen, die die Lektüre eines Romans bereichern können. Jeder Leser mag seine eigenen Schlüsse daraus ziehen und sich seine eigenen Gedanken machen.
Was einem allerdings fehlt, ist zum einen eine historische Entwicklung des Romans insgesamt, wenn man davon ausgeht, dass die ersten historischen Romane aus der Feder von Walter Scott stammen (sollen). Auch bleibt das Buch nicht konsequent bei deutschsprachiger oder internationaler Literatur, was die Bibliographie am Ende weiter in Frage stellt, fehlen doch dort genrebedeutende Romane wie "Der Medicus", Ken Folletts "Die Säulen der Erde", Umberto Ecos "Der Name der Rose" usw. Was vor allem auch fehlt, ist eine Zusammenfassung der Aspekte, die das gesamte Buch "erkunden" wollte. Die Frage, warum historische Romane populär sind, konnte nur in Teilaspekten geklärt werden.
Wer sich für die Aspekte rund um den historischen Roman interessiert, der bekommt mit dieser Sammlung von Aufsätzen ein paar interessante Hinweise geliefert, unter denen man sich dem Genre einmal anders als durch die tatsächliche Lektüre nähern kann. Fachspezifisch bleiben aber doch einige Fragen offen, die vielleicht in einer weiteren Abhandlung angegangen werden könnten. Hierbei könnte man einen Leserstamm von historischen Romanen nach ihren Interessen und Vorlieben befragen und sich so dem Thema auch von der Leserseite her nähern. Auch könnte man Autoren fragen, warum sie historische Romane schreiben. Wer sich nur für die Romane an sich interessiert und kein Faible für theoretische Literatur hat, der sollte die Finger von diesem Buch lassen.
Bleibt abschliessend nur, sich einen historischen Roman zu greifen und selber zu überlegen, warum man das macht. Oder man liest ihn einfach nur so. Aber Vorsicht, man könnte neben der Handlung auch etwas dazulernen…
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