Tage der Nemesis

  • Ars Vivendi
  • Erschienen: Januar 2014
  • 0
  • Ars Vivendi, 2014, Titel: 'Tage der Nemesis', Originalausgabe
Tage der Nemesis
Tage der Nemesis
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Jörg Kijanski
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Histo-Couch Rezension vonAug 2014

Der Völkermord an den Armeniern und die 1920er Jahre

Berlin 1921: Auf der belebten Hardenbergstraße wird der türkische Obsthändler Ali Sai Bey durch einen Genickschuss aus unmittelbarer Nähe getötet. Der Mörder, ein junger Mann mit persischem Pass namens Soghomon Tehlerian, wird umgehend von aufgebrachten Passanten gestellt. Der mit den Ermittlungen beauftragte Kriminaloberkommissar Andreas Eckart kommt die Angelegenheit von Beginn an seltsam vor und nur wenig später erahnt er das wahre Ausmaß des hochbrisanten Falles.

 

"Unser Täter erwischt genau die richtige Höhe und drückt ab. Und all das macht er nebenbei, ungeschult? Sie haben das nicht hinbekommen, Rosenberg. Auch ich könnte das nicht."

Der Assistent stutzte: "Sie meinen wirklich!?"

"Dass da eine Organisation dahintersteckt, was sonst?! Es gab Leute, die Talat aufspürten. Und dann haben sie einen Profi geholt, der den Rest erledigte. Wahrscheinlich gibt es da in Tiflis oder in Saloniki ein Ausbildungslager für diese Leute."

"Aber dann würden unsere Ermittlungen ja erst anfangen, wir müssen die Hintermänner ausfindig machen."

 

Der Ermordete ist keineswegs ein einfacher Händler, sondern Mehmet Talat, der ehemalige Innenminister und Großwesir des Osmanischen Reiches. 1908 wurde der damalige Sultan Abdülhamid gestürzt und Mitglieder der Bewegung Ittihat, dem Komitee für Einheit und Fortschritt, übernahmen die Regierung. Diesem Komitee gehörte auch Talat an, doch statt die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zu einen, kam es 1915 und 1916 zu einem Völkermord an den Armenien, die sich zuvor noch für Ittihat stark gemacht hatten. 

 

"Spontan? Ein spontaner Völkermord? Glauben Sie, dass es so etwas gibt, Herr Kommissar? Schon bei den Massakern unter Abdülhamid in den 1890er-Jahren hat man behauptet, sie seien spontan gewesen. Es sind immer dieselben Lügen."

 

Eckart und sein Mitarbeiter Ephraim Rosenberg fürchten, dass es sich um einen späten Racheakt handeln könnte, zumal sie herausfinden, dass der Armenier ein Mitglied eines militanten Kommandos mit dem Codenamen Nemesis ist. In Tehlerians Wohnung findet Eckart die Passfotos von sechs führenden Köpfen von Ittihat, so dass weitere Attentate zu befürchten sind. Eckart ermittelt in alle Richtungen und so führen ihn seine Ermittlungen in seine Mutterstadt Rom, wo er die aufstrebenden Faschisten unter Mussolini erlebt. Aber auch zuhause wird die Luft für Eckart immer dünner, denn die Diplomaten im Auswärtigen Amt spielen ihr eigenes Spiel...

Spannender Politthriller, der einen nicht loslässt

Hintergrund dieses ausgezeichneten Romans Tage der Nemesis ist der Völkermord an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916, welcher durch Massaker und Todesmärsche möglich wurde. Die Schätzungen gehen von bis zu eineinhalb Millionen Toten aus, wenngleich es eine abschließende Aufarbeitung der Ereignisse nicht gab, zumal es in der Türkei noch immer Kreise gibt, die den Völkermord bis heute leugnen. Martin von Arndt vermischt in geschickter und beklemmender Weise die historisch belegten Fakten mit einigen fiktiven Zutaten, die den Roman umso eindringlicher gestalten und zu einem politischen Thriller machen, der aus der breiten Masse der historischen Romane unübersehbar hervorragt.

Die Beschreibungen der Verbrechen lässt in ihrer Brutalität manchmal beim Lesen innehalten, insbesondere, wenn an einer Stelle von einem der Ermittler angemerkt wird, so etwas sei ja bei uns undenkbar. Was sich rund zwanzig Jahre später ereignete ist hinreichend bekannt. Eckarts Mitarbeiter Gerhard Wagner, der noch vom alten Kaiserreich träumt, steht stellvertretend für die Denkweise vieler Menschen, die ihren neuen Platz in der jungen Demokratie noch nicht gefunden haben. Eckart, ein aufrechter Demokrat, der einst Medizin studierte und nach seinen folgenschweren Kriegserlebnissen, die ihn unter anderem abhängig vom Morphium machten, nun nicht mehr als Arzt arbeiten kann, hat sich ganz der Polizeiarbeit verschrieben. Da kommt ein Minifaschist wie Wagner denkbar ungelegen. Der undurchschaubare Irrgarten aus Lügen, Intrigen und Machtspielen von allen Seiten erfordert zusätzlichen Tribut.

 

"...so viele Züge auf dem Schachbrett, so viele Figuren, die darauf achten, sich selbst nicht die Finger schmutzig zu machen."

 

Der neue türkische Machthaber Mustafa Kemal sucht nach Verbesserungen des Friedenvertrages und kann die ehemaligen Kriegsverbrecher der Ittihat, die zurück in die Türkei und gleichzeitig an die Macht drängen, nicht gebrauchen. Und als wären die Aktionen des türkischen Geheimdienstes, des Sonderkommandos der Ittihat sowie der armenischen Nemesis, die sich die Ausschaltung der ehemaligen türkischen Kriegsverbrecher verschworen haben, nicht genug, mischt auch noch das Auswärtige Amt mit und spielt mit reichlich gezinkten Karten.

 

"Ihr deckt also jemanden, der unter Verdacht steht, ein Doppelmörder zu sein?"

"Wir haben schon ganz andere gedeckt."

"Stimmt. Eins Komma fünf Millionen. Plus zwei. Darauf kommt es nicht mehr an."

 

Wer sich für Politik und Geschichte interessiert, findet mit dem vorliegenden Werk eine herausragende, wenngleich nicht immer einfach zu lesende, da höchst anspruchsvolle Lektüre. Wohltuend auch, dass Martin von Arndt nicht mit erhobenem Zeigefinger oder gar marktschreierisch verallgemeinert, sondern klar macht, dass nur eine kleine türkische Gruppe und eben keineswegs das türkische Volk den Genozid zu verantworten hat.

Tage der Nemesis

Martin von Arndt, Ars Vivendi

Tage der Nemesis

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