Der Klang der Lüge
- dtv
- Erschienen: Januar 2014
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- dtv, 2014, Titel: 'Der Klang der Lüge', Originalausgabe
Die Katharer leben
1308, viele Jahre nach der offiziellen Vernichtung der Katharer gerät die junge Alissende in ein abgelegenes, französisches Pyrenäendorf. Sie musste zusammen mit ihren früheren Dienstherren, einem jüdischen Ehepaar und deren zwei Söhnen, aus Paris flüchten, obwohl sie selber Christin ist. In Sériol finden die drei entkräfteten Reisenden das Ehepaar überlebte die Flucht nicht lange einen Ort, wo man sie freundlich aufnimmt, ohne viel zu fragen. Während sich Hans und Hugo einzig erholen wollen, um ihren Weg nach Mallorca fortzusetzen, fühlt sich Alissende schnell heimisch in dem Bergdorf und bei den guten Menschen. Bald findet sie heraus, dass es sich hier um eine besondere, religiöse Gemeinschaft handelt, stößt sich aber nicht daran. Doch im Dorf rumort es. Sériols Bewohner wissen, dass sie ihre Religion nicht offen leben dürfen, denn sie stehen unter der Beobachtung des Bischofs Durand, der in Pamiers sitzt und sich viele Gedanken über das Wohl seiner Schäfchen in den Pyrenäen macht. Als ein Verräter aus dem Dorf dem Bischof auch noch erzählt, was in Sériol wirklich geschieht, muss der Geistliche handeln. Er will die Gemeinde zurückführen zum wahren Glauben. Dafür aber muss er wissen, wer zu den Ketzern gehört. Er lässt das Dorf verhaften und zwingt damit Alissende, die mit Kindern zurückgeblieben ist, sich einer neuen Aufgabe zu stellen.
Von Gutmenschen
Liv Winterberg hat ein eingängiges Szenario geschaffen. Das Dorf in den Bergen ist gut skizziert und die Menschen, die darin leben, bilden eine facettenreiche Gemeinschaft. Gut aufgefangen ist auch die Angst, die die Leute vor der Entdeckung und Verfolgung durch die Kirche haben. Etwas gar "lieb" sind die Gutmenschen geraten. Hier mag wohl der eine oder andere Leser den Eindruck bekommen, dass keine gesunde Distanz gewahrt bleibt. Zu klar ist das Dorf in "gut" und "böse" aufgeteilt, wobei das "böse" klar auf die Menschen beschränkt bleibt, die nicht zu den Katharern gehören. Wer sich die Frage stellt, ob sich die Religionszugehörigkeit tatsächlich in dieser Konsequenz bemerkbar gemacht hat, wird wohl nicht darum herum kommen, nachzuforschen. Denn hier fehlt es etwas am Hintergrund, wenn auch Liv Winterberg sehr viele Details zum Alltag der Katharer im Pyrenäendorf in ihren Roman eingebaut hat und auch ein recht aussagekräftiges Nachwort dazu liefert, das jedoch nicht genügend Aufschluss über die komplexe Geschichte der Katharer gibt.
Sehr dicht am Menschen
Alissende hat zunächst nur einen Wunsch: Sich nach vielen Entbehrungen endlich wieder satt essen zu können. Vielen Lesern dürfte dies ein Wesenszug sein, der ihnen fremd ist und deshalb auch ein wenig für ein kritisches Stirnrunzeln sorgen. Jedoch hat Liv Winterberg gerade hier sehr viel Fingerspitzengefühl bewiesen. Sie zeichnet hier nämlich eine ganz typische Verhaltensweise von Menschen auf, die tatsächlich über längere Zeit kaum etwas zu essen hatten und den Hunger in allen möglichen Schattierungen kennen lernten. Da dies in den deutschsprachigen Regionen nur in Einzelfällen vorkommt, fällt es nicht jedem leicht, solche Gefühle nachzuvollziehen. Dennoch sind diese Schilderungen ein wichtiges Indiz dafür, wie nah sich Liv Winterberg mit ihrem Roman an den Menschen bewegt. Gerade dieses Gefüge im Dorf, bei dem jeder zwar darum bemüht ist, seinen Weg möglichst gradlinig zu gehen, aber die menschlichen Aspekte halt dennoch zutage treten, ist wunderbar getroffen. Wer die leisen Töne zu schätzen weiß, wird auch ohne weiteres hinnehmen, dass diese Art der Erzählung das Tempo der Geschichte etwas drosselt.
Unerwartete Wendungen
Auch wenn die Autorin die Liebesgeschichte von Alissende und Simon recht deutlich in den Vordergrund rückt, so überrascht sie ihre Leser doch immer wieder mit Wendungen, die eher unerwartet kommen und die dem Roman eine neue Ausrichtung geben. Zwar mag man vieles, was sich später deutlich vor dem Auge des Lesers abzeichnet, schon früh ahnen, doch gelingt es der Autorin, die Ereignisse immer wieder so zu schildern, dass auch Zweifel an der eigenen Ahnung aufkommen können. Damit hält sie den Spannungsbogen der zugegebenermaßen nicht immer sehr hoch ist recht konstant.
Der Klang der Lüge ist ein solider historischer Roman, der eher mit ruhigen Tönen aufwartet als mit blutigen Schlachten. Auch die über sich hinaus wachsenden Helden sucht man vergebens, man findet jedoch starke Menschen, die einander unterstützen. Wer sich darauf einlässt, findet ein feinfühliges Portrait eines abgelegenen Dorfes Anfang des 14. Jahrhunderts. Liv Winterberg bietet erneut feine Unterhaltung.
Liv Winterberg, dtv
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