Die Stadtärztin

  • Droemer-Knaur
  • Erschienen: Januar 2014
  • 1
  • Droemer-Knaur, 2014, Titel: 'Die Stadtärztin', Originalausgabe
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Yvonne Schulze
641001

Histo-Couch Rezension vonNov 2014

Du kannst nicht Arzt werden, du bist ein Mädchen!

Als Agathe Streicher 1520 in Ulm zur Welt kommt, ahnt noch niemand, dass sie 41 Jahre später den Eid auf die Ärzteordnung der Stadt Ulm ablegen und fortan als erste Frau in Deutschland offiziell den Arztberuf ausüben wird. Doch bis es soweit ist, liegt noch ein weiter Weg vor dem elfjährigen Mädchen, das uns zu Beginn des Buches begegnet. Während des Bildersturms im Ulmer Münster wird Agathes Schwester Hella schwer verletzt und stirbt nur wenig später. Fasziniert vom Wirken des herbeigerufenen Arztes reift in Agathe der Wunsch, selbst das Medizinieren zu lernen, was zur damaligen Zeit ein Ding der Unmöglichkeit war, denn das Frauenbild der Renaissance war das der gehorsamen Ehefrau und Mutter. Bildung war eher zweitrangig und sie beschränkte sich überwiegend auf Haushaltsführung und Handarbeiten. Während ihr Bruder Augustin ein Medizinstudium beginnt, wird von Agathe erwartet, sich in das Los einer sittsamen Ehefrau zu fügen.

Als das Schicksal Agathe in das städtische Siechenhaus führt, beginnt sie heimlich, die Beginen bei der Krankenpflege zu unterstützen. Unerhört für eine Tochter aus gutem Hause, galt es doch für diese damals als Schande, Arme zu pflegen. Da Agathe als Frau ein Universitätsstudium versagt bleibt, findet sie Mittel und Wege, sich medizinisches Wissen anzueignen und sie wird bald eine gefragte Ärztin, deren Dienste selbst höhergestellte Persönlichkeiten in Anspruch nehmen. Dass Erfolg auch Neid nach sich zieht, liegt auf der Hand und Agathe ist ihren männlichen Berufskollegen und selbst ihrem eigenen Bruder bald ein Dorn im Auge. 

Einblicke in die Geschichte der Medizin

Woher Agathe Streicher letztendlich ihr umfangreiches medizinisches Wissen bezogen hat, kann man heute nur noch mutmaßen. Die Lösung, die die Autorin für ihren Roman findet, ist nachvollziehbar und es könnte sich tatsächlich so abgespielt haben. Der damalige medizinische Wissensstand, die eingeschränkten Möglichkeiten der Diagnostik und die teilweise brachialen Behandlungsmethoden, die strikte Trennung der Aufgaben von Wundärzten, Badern, Apothekern und studierten Ärzten, aber auch das heute zum Großteil leider verlorengegangene natürliche Heilwissen werden von der Autorin immer wieder in die Handlung mit eingebunden und geben so einen guten Einblick in das Medizinwesen der damaligen Zeit. 

Wichtige historische Ereignisse tauchen dagegen nur als Randnotizen auf und während die Lebensbedingungen in der Stadt ganz gut beschrieben sind, erfährt der Leser über die Ulmer Stadtgeschichte herzlich wenig, meist bleibt es bei hier und da eingestreuten Fakten. Lediglich der Brauch des Fischstechens wird sehr detailreich beschrieben.

Wenig Innovatives, viel Althergebrachtes

Handlungsaufbau und Charakterzeichnung sind wenig innovativ und folgen altbewährten Mustern. Während auf der einen Seite Nebensächlichkeiten zugunsten der Dramaturgie künstlich aufgebauscht und ausgeschmückt werden, werden auf der anderen Seite tiefgreifende Änderungen in Agathes Leben in Nebensätzen abgehandelt, lösen sich etwaige Schwierigkeiten und Schicksalsschläge innerhalb weniger Absätze in Wohlgefallen auf. Eine Frau, der es gelungen war, im 16. Jahrhundert als Ärztin offiziell anerkannt zu werden, war mit Sicherheit eine starke Persönlichkeit, die neben Durchsetzungsvermögen auch über die notwendigen Beziehungen verfügt haben wird. Unwahrscheinlich ist dagegen, dass ihr Leben so reibungslos abgelaufen ist, wie die Autorin hier glauben machen will 

Warum das Leben der Agathe Streicher nicht konsequent bis zu deren Lebensende erzählt wird und der Roman stattdessen mit Agathes Eid auf die Ärzteordnung endet, ist nicht ganz nachvollziehbar. Dass hier viel Potential verschenkt wurde wird besonders deutlich, wenn man das Nachwort liest, denn dort erfährt der Leser, dass die reale Agathe Streicher eine facettenreiche und interessante Person war und man fragt sich, warum die Autorin ihr akribisch recherchiertes Wissen nicht in ihren Roman hat einfließen lassen. Es hätte eine in sich stimmige Romanbiographie über eine interessante historische Frauenfigur werden können, wenn man sie nicht wieder auf die abgegriffene Rolle der starken Frau vor historischer Kulisse reduziert hätte.

Konturlos bleiben auch die Nebencharaktere und die Klischeekiste wurde mehr als einmal aufgeklappt, denn die Schwarz-Weiß-Malerei ist gerade bei den Nebenfiguren sehr prägnant. Dabei hätten der Autorin mit den Reformatoren Kaspar Schwenckfeld und Stephan Franck und deren Gegenspieler Martin Frecht interessante Figuren zur Verfügung gestanden, deren Auftritte aber letztendlich über Statistenstatus nicht hinausgehen. Viel Raum bekommt dagegen die angebliche Liebesgeschichte zwischen Kaspar und Agathe. Wenn man allerdings bedenkt, dass Kaspar Schwenckfeld 30 Jahre älter als Agathe war und die Menschen zu dieser Zeit wesentlich schneller alterten, hinterlässt es eher einen faden Beigeschmack, wenn Schwenckfeld hier den jugendlichen Liebhaber spielen muss. Aber kein historischer Roman ohne Liebesgeschichte, so unglaubwürdig sie letztendlich auch sein mag.

Solider Unterhaltungsroman

Die Stadtärztin ist ein handwerklich solider und Dank der flüssigen Sprache flott zu lesender, unterhaltsamer historischer Roman für das Mainstream-Publikum, in den man sich entspannt für ein paar Stunden fallen lassen kann. Einen bleibenden Eindruck hinterlässt er allerdings nicht. 

Die Stadtärztin

Ursula Niehaus, Droemer-Knaur

Die Stadtärztin

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