Die Normannin
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2014
- 3
- Rowohlt, 2013, Titel: 'Shadow on the Crown', Originalausgabe
Achtung einfordern
Am Weihnachtstag des Jahres 1001 stirbt König Æthelreds Gemahlin. Sie hat dem König viele Kinder geschenkt, Söhne und Töchter. So sieht Æthelred II. keine Notwendigkeit, sich wieder zu vermählen. Seine Berater jedoch drängen ihn, wieder zu heiraten. Die schöne Elgiva von Northampton macht sich Hoffnung, die nächste Königin von England zu werden. Æthelred jedoch entscheidet sich für Emma, die erst fünfzehnjährige Schwester Herzog Richards von der Normandie. Der König erhofft sich, dass Richard ihm hilft, die Wikinger von Englands Küsten fern zu halten.
Emma ist schön und völlig unerfahren. Sie leidet unter der Kälte, mit der Aethelred ihr begegnet. Der König von England ist ein Mann, der unter einem bösen Geist leidet, - ein misstrauischer und charakterschwacher Mensch. Die junge Frau lebt wie eine Gefangene an seinem Hof. Auch Æthelreds drei älteste Söhne betrachten die neue Gemahlin ihres Vaters mit Abneigung, denn Emma ist eine gekrönte Königin. Die Mutter der Æthelinge wurde dagegen nie gekrönt. Und deshalb wird jedes Kind, das Emma Æthelred schenken könnte, einen stärkeren Thronanspruch haben als die jungen Männer selbst.
Emma kämpft einen schier aussichtslosen Kampf. Sie weiß, dass sie nicht auf Liebe hoffen darf. Und sie kann niemandem vertrauen. Eines aber hat ihr Bruder ihr mit auf den Weg gegeben: Du musst die Achtung des Königs einfordern!. Die junge Königin setzt alles daran, diesem Rat zu folgen.
Unbekannte Königin
Emma von der Normandie ist wohl eine der interessantesten Damen, die das englische Mittelalter zu bieten hat. Über ihr Leben ist vermutlich nicht genug bekannt, um einen biographischen Roman zu schreiben. Aber das, was bekannt ist, eignet sich wunderbar, um mit Phantasie und Einfühlungsvermögen die Lücken zwischen den Fakten zu füllen und einen Roman über diese Königin zu schreiben. Genau das hat Patricia Bracewell getan und diese Steilvorlage für jeden Romanautor genutzt. Dabei zeichnet sich Die Normannin durch eine sehr genaue Darstellung der politischen Situation in England aus. Die Autorin hat offenbar umfangreich recherchiert und bietet verlässliche Fakten. Selbst das Personal für diesen Roman lässt sich zu einem großen Teil historisch nachweisen. Und so macht Patricia Bracewell aus der weitgehend unbekannten Königin Emma eine fassbare Persönlichkeit, mit der man leiden und lieben kann. Dabei wird die junge Königin als eine zwar sympathische, aber nicht unproblematische Dame geschildert, sozusagen ein Königinnenlehrling, der unter widrigsten Bedingungen lernen muss, die einer Königin gebührende Achtung einzufordern.
Viele der Protagonisten werden von der Autorin genau gezeichnet, so dass man als Leser eine deutliche Vorstellung von dem Charakter dieser Menschen bekommt. Besonders Æthelred tritt einem beim Lesen deutlich vor Augen. Ein Mann, der Mitleid erregen könnte in seiner seelischen Schwäche, wenn er denn nicht als Herrscher über ein Volk gestellt worden wäre und mit seinem Handeln über Wohl und Wehe ebendieses Volkes entscheiden würde. Die Autorin bleibt ganz und gar in der Welt des Mittelalters und erlaubt ihren Protagonisten keine modernistischen Ausrutscher in ihren Rollen. Allenfalls Elgiva, das kleine Luder, entspricht nicht immer dem damals üblichen Frauenbild.
Unruhige Zeiten
Patricia Bracewell schildert in Die Normannin jedoch nicht nur das Schicksal Emmas. Sie beschreibt sehr genau die schwierige Lage, in der sich England vor tausend Jahren befand. Ein König, der meist nicht auf seine Berater hört, der sich von einem Geist bedroht sieht, und der zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, um sein Volk vor den ständigen Übergriffen durch die Wikinger schützen zu können. Dazu kommen die innenpolitischen Machtkämpfe der englischen Adligen. Als Leser sieht man diese Schwierigkeiten sehr schnell, denn die Autorin versteht es, die Fakten ohne Fußnoten und verwickelte Erklärungen im Roman darzustellen. Auch das Umfeld ist stimmig dargestellt und man spürt deutlich die beklemmende Atmosphäre, in der Emma leben muss. Wer Bernard Cornwells Uhtred-Saga gelesen hat, findet hier sozusagen die Fortsetzung, denn Emma lebt etwa hundert Jahre nach Uhtred. Auch wird ihre Geschichte weniger aus der Sicht eines Kriegers erzählt und lässt diejenigen zu Wort kommen, die bei Uhtred immer nur eine Nebenrolle spielten: Die Frauen.
Ausschnitte aus der Angelsächsischen Chronik sind den einzelnen Kapiteln voran gestellt. Damit bekommt der Leser eine Orientierung, was ihn im nächsten Kapitel erwartet. So wird hier interessant und eindrucksvoll erzählt. Sehr schnell nimmt die Geschichte ihre Leser gefangen und behält die Spannung auch bis zum Schluss des Romans. Und auch am Ende des Buches bleibt man neugierig und ist gespannt zu erfahren, wie Emmas Geschichte weiter geht.
Sehr lesenswert
Die Normannin ist ein atmosphärisch dichter und spannender Roman, der tiefe Einblicke in die englische Geschichte bietet. Der Rowohlt Taschenbuch Verlag hat dem Buch leider nur eines der zurzeit einfach zu oft üblichen Cover zugestanden: Frau von hinten vor Gebäude. Damit hebt sich das Buch nur wenig von der Masse ab. Dafür jedoch hat es - abgesehen von dem eigentlichen Roman - jede Menge innere Werte. Dazu gehören ein Namensverzeichnis, ein Glossar und eine Karte, die dem Leser die Orientierung erleichtern. Das Nachwort der Autorin sollte man nicht überblättern, es ist hochinteressant.
Ein Roman, den man gerne weiter empfiehlt, zum Verschenken und vor allem zum Selbstbehalten.
Patricia Bracewell, Rowohlt
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