Eine große Zeit

  • Berlin
  • Erschienen: Januar 2012
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  • Berlin, 2012, Titel: 'Waiting for Sunrise', Originalausgabe
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Jörg Kijanski
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Histo-Couch Rezension vonJan 2015

Die historischen Ereignisse zu Beginn des Weltkrieges kommen zu kurz

1913: Lysander Rief arbeitet als aufstrebender Schauspieler in London und hat sich mit der Schauspielerin Blanche Blondel verlobt. Doch bevor er Blanche heiraten kann, begibt er sich in die Stadt Sigmund Freuds, denn ein delikates sexuelles Problem will zunächst gelöst werden. In der Wiener Praxis des Psychoanalytikers Dr. Bensimon trifft Lysander auf die junge Hettie Bull, der er augenblicklich verfällt. Es kommt zu einer ebenso kurzen wie verhängnisvollen Affäre, die aber zumindest sein Problem zu überwinden hilft. Dafür gibt es jedoch überraschend neue Schwierigkeiten, denn quasi über Nacht wird Lysander verhaftet. Nur mit Hilfe der britischen Militärattaché Alwyn Munro und Jack Fyfe-Miller gelingt ihm zu Beginn des Jahres 1914 über Umwegen die Flucht nach England. Dort arbeitet er zunächst wieder als Schauspieler, bevor ihn seine Vergangenheit einholt.

 

Man hat mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich die Befehle befolgen muss.

Jeder Idiot kann Befehle befolgen. Es kommt darauf an, wie man sie interpretiert.

 

Der Einsatz von Munro und Fyfe-Miller kostete viel Geld, und so ist Lysander gegenüber dem Außenministerium aussichtslos verschuldet. Lysander erhält - wenngleich nicht ganz freiwillig - die Möglichkeit, seine Schulden abzuarbeiten, denn offenbar gibt es in hohen Militärkreisen einen Verräter, der den Deutschen wichtige Kriegsinformationen zukommen lässt &

Viel (un)glückliche Leidenschaft, viel Psychoanalyse, wenig Spannung

Eine große Zeit spielt zwischen 1913 und 1915 und führt den Protagonisten von London über Wien zurück nach London und von dort nach Frankreich, Genf und - zum Finale - erneut zurück nach London. Die Buchrückseite enthält Vorschusslorbeeren des ZDF, wonach der Autor ein Zauberer sei und für die FAZ drängen sich gar Vergleiche zu John Le Carré auf. Nun ja. Hört sich spannend an, dürfte aber vor allem Freunde historischer Romane eher enttäuschen. Sicher, es war eine große Zeit, über die man aber gerade deswegen auch durchaus mehr hätte erfahren dürfen; außer dass es einen Dr. Freud und die Psychoanalyse gab sowie welche Künstler gerade welche Bücher schrieben oder welche Theaterstücke aufführten.

Stattdessen bewegt sich die Handlung im ersten Drittel, welches einem wesentlich länger vorkommt, im (sexuellen) Mikrokosmos der Hauptfigur, die seit Jahren ein delikates Problem hat, welches vor der geplanten Hochzeit gelöst werden will. Stattdessen kommt ihm die undurchsichtige Hettie dazwischen, welche ihm letztlich zahlreiche Probleme - einschließlich seiner Verhaftung - bereitet. Dazu gesellen sich aus gegebenen Anlass langwierige Sitzungen bei Dr. Bensimon, der Lysanders Problem mit Hilfe des Parallelismus beheben möchte; einem Verfahren, von dem sein Kollege Sigmund Freud rein gar nichts hält.

Im letzten Drittel wirds plötzlich ein richtig spannender Spionageplot

Im zweiten Drittel gerät Lysander durch einen geheimen Auftrag an die Front (ganz so nah nun auch wieder nicht) in Frankreich und später nach Genf. Die ihm dort zugewiesene Aufgabe kann er recht problemlos erfüllen, da es ihm an einem Gegenspieler, der diesen Namen verdient, mangelt. So wirkt der Roman mitunter als Stückwerk. Weder die Zeit vor Kriegsausbruch, noch die (sehr kurzen) Erlebnisse in Frankreich können das Gefühl beim Leser erwecken, dass der Erste Weltkrieg Europa in seinen Klauen hält. Man muss sich schon stark für Psychologie oder - noch besser - für die Psychoanalyse interessieren, um hier durchzuhalten; und ein überdurchschnittliches Interesse für Theater und Literatur ist ebenfalls von großem Vorteil. Historisches Interesse stört hier eher, denn lediglich im letzten (spannenden) Drittel zeigt sich zumindest das gigantische Ausmaß der britischen Kriegsmaschenerie. Hier gilt es den gesuchten Verräter zur Strecke zu bringen und endlich kommt das verschachtelte Vergnügen, welches ein guter Spionageroman gemeinhin bietet, an die Oberfläche.

Insgesamt eignet sich Eine große Zeit aber nicht als historischer Roman und so könnte das Werk eher für Freunde gehobener Literatur geeignet sein, denen sogleich auch die zahlreichen Verweise auf Shakespeare, angefangen beim Vornamen Lysander, auffallen werden. Diesbezüglich darf auf die ausführliche Rezension auf belletristik-couch.de verweisen werden, die aber ebenfalls nur zu einer durchschnittlichen Wertung kommt. Vor allem, weil die Parallelen zu Boyds Roman Eines Menschen Herz allzu offensichtlich sind. So urteilte Wolfgang Franßen: Manchmal bestellen wir uns einen Kaffee und schon beim ersten Schluck werden wir das Gefühl nicht los, dass es sich nur um einen Aufguss handelt, der erste Kaffee aus diesem Filter wesentlich besser geschmeckt haben muss.

Eine große Zeit

William Boyd, Berlin

Eine große Zeit

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