Kornblumenjahre
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2015
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- Gmeiner, 2015, Titel: 'Kornblumenjahre', Originalausgabe
Dramatischer Fortsetzungsband in der Weimarer Republik
Frühjahr 1923: Das Ruhrgebiet wird von den Franzosen besetzt, der Hass der Bevölkerung gegen den französischen Feind wächst zusehends. Das spürt auch Sophie, die sich zusammen mit ihrer kaum jüngeren Nichte Johanna und ihrem siebenjährigen Sohn Raphael am Bodensee aufhält.
Als sich herumspricht, dass Raphaels Vater ein Franzose ist, wird ein Anschlag auf Sophie verübt, Raphael in der Schule drangsaliert. Sophie sieht keine andere Wahl, als.den Bodensee zu verlassen und zu ihrem Bruder Siegfried zu gehen, der mit seiner Frau Luise im Ruhrgebiet lebt. Sie hofft, dass sie hier ihren einstigen Verlobten, Raphaels Vater Pierre, wiederfindet.
Doch Siegfried hat sich in den Kriegsjahren verändert, sein Hass gegenüber den Franzosen übersteigt seine Geschwisterliebe. Unterdessen gibt es zwar ein Wiedersehen zwischen Sophie und Pierre, doch es verläuft anders als erwartet. Neunzig Jahre später berichtet Johannas jüngere Schwester Franziska auf dem Sterbebett düstere Familiengeheimnisse aus jener Zeit, die ihre Angehörigen vor Rätsel stellen ...
Vielschichtige Familiengeschichte in den Zwanziger Jahren
Drehte sich der erste Teil Mondjahre um den Ersten Weltkrieg, steht der Folgeband der Bodensee-Trilogie im Zeichen der Weimarer Republik und des aufkeimenden Nationalsozialismus. Im Mittelpunkt stehen vor allem die miteinander verwobenen Schicksale von Johanna, Sophie und Luise, drei starke Frauen, die in schwierigen Zeiten um ihr Glück und ihre Liebe kämpfen müssen.
Die Autorin resümiert in einem Vorwort ausgiebig die Ereignisse des ersten Bandes, um Neueinsteigern die nötigen Hintergrundinformationen zu vermitteln. Trotz dieser Informationen ist es aber dringend anzuraten, den ersten Teil zuvor zu lesen, da es sonst sehr schwierig wird, der Handlung angemessen zu folgen - auch für Leser des ersten Bandes ist die Fülle an Handlungssträngen mit den häufigen Schauplatzwechseln eine gewisse Herausforderung. Mal fokussiert die Handlung das von Franzosen besetzte Essen mit Luise und ihrem traumatisierten Mann Siegfried, mal das Schicksal von Johanna und Sophie am Bodensee, mal das Leben von Johannas Schwester Marlene in München, die sich mit einem verheirateten NSDAP-Anhänger einlässt und den Hitlerputsch aus nächster Nähe miterlebt.
Dann wiederum gibt es Ausflüge zu Pierre in Deauville, wo er in einer unglücklichen Ehe lebt und sich nach Sophie sehnt. Des Weiteren wird immer wieder nach Russland zu Irina geblendet. Die junge Krankenschwester hatte sich im Krieg mit Luise und Johanna angefreundet und möchte nun in Deutschland ein neues Leben beginnen - nicht ahnend, dass ihr Verlobter Karl schon längst gefallen ist. Nicht zuletzt gibt es dann auch noch die einrahmende Gegenwartshandlung, in der die Nachkommen versuchen, Franziskas rätselhafte Äußerungen zu entschlüsseln.
Einerseits sorgen diese zahlreichen Handlungsstränge dafür, dass der Leser multiperspektivische Einblicke in die Entwicklungen der Zwanziger Jahre gewinnt. So verkörpert Siegfried den Hass auf die Franzosen, während Pierre einem umgekehrt den "Feind" näherbringt; Irina erlebt die Ablösung Lenins durch Stalin in Russland mit, während Johanna unter der Inflation leidet und die naive Marlene anhand ihres Geliebten erfährt, was die Bayern in diesen Tagen an Hitler und seinen Getreuen fasziniert.
Bewegend trotz gewisser Schwächen
Es sind vor allem die Ereignisse um Sophie, Johanna und Luise, die den Leser anrühren. Sophie vermisst ihren früheren Verlobten Pierre auch noch nach neun Jahren der Trennung, ihr Sohn wusste bislang nicht, dass kein deutscher Soldat, sondern ein Franzose sein Vater ist. Das Wiedersehen bringt jedoch zweischneidige Gefühle mit sich: Sophie erfährt erst jetzt, dass Pierre unter Druck eine Vernunftehe mit einer Französin einging und mit ihr zwei kleine Kinder hat; sie fühlt sich verraten und betrogen, und es ist ungewiss, ob sie in Zukunft einen Neuanfang mit Pierre wagen möchte. Johanna und ihr Mann Sebastian entfremden sich unterdessen zusehends. Verärgert registriert sie, dass er sich als Pastor verpflichtet fühlt, trotz der Inflation und der Lebensmittelknappheit das Wenige, das seine Familie besitzt, noch wegzugeben, sodass vor allem ihre Kinder hungern müssen. Zudem kann Johanna es ihm nicht verzeihen, dass Sebastian sie trotz ihrer Schwangerschaft bei Maserkranken helfen lässt, statt sie davon abzuhalten. Da liegt es nah, dass sie sich zu einem anderen Mann hingezogen fühlt, der ihr die Stärke vermittelt, die sie bei ihrem Mann vermisst. Und dann ist da noch Luise, deren Ehemann Siegfried nie den Verlust seines Beines verwunden hat und dessen Hass auf die Franzosen alles überschattet. Als er dadurch für ihre Schwägerin und den kleinen Raphael zur Gefahr wird, sieht sie sich zu einer fatalen Entscheidung gezwungen, die über neunzig Jahre später noch Wellen schlägt. Alle drei Protagonistinnen sind sympathische Frauenfiguren, die authentisch gezeichnet sind und deren Gedanken grundsätzlich immer nachvollziehbar sind. Allen dreien wünscht man ein glückliches Leben, obgleich man nur zu gut weiß, dass es angesichts dieser bedrohlichen Zeiten nicht ohne Verlust und Schmerz gehen kann.
Die Geschichten der Charaktere sind interessant, der historische Hintergrund wird gut verständlich aufbereitet. Aufgrund der Vielzahl der Schauplätze sind die Kapitel jeweils sehr kurz gehalten, oft nur eineinhalb oder zwei Seiten lang. So fällt es zunächst nicht leicht, sich in die Handlungen einzufühlen, da die einzelnen Stränge immer nur sehr kurz angerissen werden. Überhaupt geschehen manche Entwicklungen etwas zu überhastet. Marlenes wandelnde Gefühle in ihrer Affäre und umgekehrt Johannas entstehende Empfindungen zu Matthias lesen sich eher wie eine Zusammenfassung. Zudem bleibt die Gegenwartshandlung um die Nachkommen von Sophie, Johanna und Luise recht blass im Vergleich.
Unterm Strich bleibt somit eine solide Fortsetzung, die trotz einer gewissen Überladenheit durchaus neugierig auf den dritten und abschließenden Band macht.
Eva-Maria Bast, Gmeiner
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