Endstation Reichskanzlei

  • Gmeiner
  • Erschienen: Januar 2015
  • 1
  • Gmeiner, 2015, Titel: 'Endstation Reichskanzlei', Originalausgabe
Endstation Reichskanzlei
Endstation Reichskanzlei
Wertung wird geladen
Carsten Jaehner
701001

Histo-Couch Rezension vonFeb 2015

Die letzten Tage des Dritten Reichs

Berlin, Mitte April 1945. Die Stadt liegt darnieder, von allen Seiten nähert sich der Feind, das Deutsche Reich ist am Ende. Die Hauptstadt liegt in den letzten Zügen, und die noch lebenden und vor Ort gebliebenen Berliner machen das Beste daraus. Greta Jenski, eine ehemalige Tänzerin und nun Doppelagentin, arbeitet als Bardame und erlebt die letzten Tage der Nazizeit als Gestapo-Agentin.

Immer die Gefahr im Auge, entdeckt und sofort hingerichtet zu werden, kann sie sich nur ihrer Kollegin Marlene anvertrauen und ihrem Freund und Geliebten Michel Gretz, mit dem sie aus Berlin fliehen und ihn heiraten will. Doch genau am betreffenden Tag erhält sie die Nachricht, dass er verhaftet und getötet worden sei, dazu eine Zyankali-Kapsel für den Fall der Fälle. Greta ist gewillt, sie zu nehmen, zumal sie mit Michel auch den gemeinsamen Suizid geplant hatte. Doch will sie ihn noch einmal sehen, und so geht sie zum Gefängnis, wo sie jedoch schroff abgewiesen wird.

Sie entdeckt einige Männer aus ihrer Spionagetätigkeit wieder und kann nicht mehr nach Hause. Unterkunft findet sie bei ihrer Schwester, die im Keller der Reichkanzlei als Krankenschwester im Lazarett arbeitet. Auch Greta will helfen, doch ihre Vergangenheit holt sie ein und sie muss um ihr Leben bangen. Da wird ein Anschlag auf sie verübt, und plötzlich erscheint alles in neuem Licht.

Intensive Einblicke

Bernward Schneider schildert in seinem Roman die letzten Tage des Dritten Reichs, in denen vor allem die Russen gefürchtet sind und jeden Tag näher kommen. Die Frauen haben Angst, vergewaltigt zu werden, die Männer, hingerichtet zu werden. Nirgendwo gibt es ein sicheres Versteck, der einzige halbwegs sichere Ort scheint die Neue Reichskanzlei in der Voßstrasse zu sein, in der sich auch der Führer aufhalten soll und in deren Keller ein Lazarett eingerichtet wurde.

Greta Jenski ist die Protagonistin, die der Autor in diese Szenerie schickt und die er so manche brenzlige Situation erleben lässt. Letztlich nicht wissend, wer Freund und wer Feind ist, hetzt sie durch die Stadt, kann sich aufgrund ihrer Tätigkeit als Doppelagentin eigentlich nirgendwo mehr blicken lassen, und wird, als sie einige Sachen von zu Hause holen will, von einem SS-Trupp aufgegriffen und soll am nächsten Laternenmast aufgehängt werden, direkt neben einer Laterne, an der ein Junge hängt. Wie durch ein Wunder kann sie gerettet werden und kehrt zurück in das Lazarett in der Reichskanzlei.

In solchen Situationen schafft es der Autor, beklemmende Situationen zu schaffen, die dem Leser das Blut in den Adern gefrieren lässt. Die Situation an sich ist schon aussichtslos, Berlin steht kurz vor dem Fall, und die (rest-)Bevölkerung ahnt, dass es bald zu Ende ist, hat aber Angst und Panik davor, was danach kommt. Wiederholt greift Schneider diesen Aspekt auf, in verschiedenen Nuancen, und als Leser gerät man ins Grübeln, was man vielleicht selber in dieser Situation für eine Wahl getroffen hätte ohne das Wissen, wie es weiterging.

Wenig Verbindungshandlung

Die vielen kleinen Situationen, in die Greta gerät, sei es im Lazarett, sei es eine versehentliche Kurzbegegnung mit dem Führer, sei es auf der Strasse, sucht der Autor zu verbinden, allein man fragt sich als Leser auf Dauer, was denn das Buch eigentlich für eine Handlung haben sollte. So ziellos wie Greta durch Berlin irrt, wenngleich verfolgt und sich des Lebens und der eigenen Zukunft nicht sicher, so ziellos kommt es einem als Leser vor, dass man nicht weiß, wohin das am Ende führen soll.

Um das Ende und die Auflösung der einen oder anderen (letztlich doch vorhersehbaren) Verwicklung herbeizuführen, braucht es einen kleinen Showdown und vor allem lange Dialoge, die die Zeit für einen Moment stehen lassen und die die Stadt erobernden und überall eindringenden Russen vergessen lässt. Wie durch Zauberhand findet Great immer wieder Helfer, die ihr am Ende den Weg aus der Stadt weisen hier sind die Herren Glück und Zufall ordentlich am Werk.

Kein Kriminalroman

Warum der Verlag dem Roman das Prädikat Kriminalroman verpasst hat, bleibt schleierhaft. Hier handelt es sich weder um einen klassischen Whodunit, noch geht es um einen speziellen Mord (die Millionen mal nicht eingerechnet), geschweige denn um dessen Aufklärung. Es gibt nichts aufzuklären, und die Verfolgung einer Doppelagentin macht noch lange keinen Kriminalroman.

Zudem lässt der Autor auch einige Möglichkeiten liegen, die sich ihm eigentlich auf dem Präsentierteller dargeboten haben. So werden Bekanntschaften mit Hermann Fegelein, Verbindungsoffizier der Waffen-SS beim Führer und zudem Ehemann der Schwester von Eva Braun, gemacht, und gerade seine Fahnenflucht und seine Hinrichtung hätten in Gretas Handlung gepasst, doch nutzt der Autor die Gelegenheit nicht. Auch Begegnungen mit Hitler und Bormann werden nicht ausgeschöpft. Zwar werden die Morde an den Mussolinis erwähnt, so dass man eine zeitliche Dimension bekommt, aber die Möglichkeiten vor Ort werden ausgelassen.

Am Ende hat der Leser einen Roman in den Händen, der zwar einen intensiven Einblick in die Zeit in Berlin gibt, mit alle dem Leid der Menschen und dem Warten auf das Ende, und tatsächlich schafft der Autor die eine oder andere eindringliche und eindrückliche Situation, die den Leser zum Nachdenken bringt. Doch auf der anderen Seite ist die Handlung, die die Situationen miteinander verbindet, in den ersten zwei Dritteln schwer zu finden, lässt man den Aspekt Flucht vor Luftangriffen einmal weg.

Einfache Sprache, nicht immer angemessen

Dass sich am Ende einiges so löst, wie man sich das als mitdenkender, generell misstrauischer Leser schon denken kann, ist zwar konsequent, aber wenig überraschend. Auch Schneiders einfache Sprache passt nicht immer zu den jeweiligen Situationen, an manchen Stellen wäre eine konsequentere, dem Moment angemessenere Sprache mehr gewesen. Beispiel: Der Satz: Hat Sie dir etwas Böses getan? im Angesicht des Todes trifft wohl kaum den Kern der Situation.

Endstation Reichskanzlei ist ein Roman ohne jeglichen Anhang, allein das Coverfoto der Neuen Reichskanzlei stimmt den Leser auf den Roman ein. Wer ein paar intensive Momente aus den letzten Tagen des Dritten Reichs lesen will, liegt hier richtig. Ein Kriminalroman, wie vom Verlag versprochen, zudem mit dem Attribut Spannung, liegt hier aber nicht vor, denn spannend im Kriminalsinn ist es nicht.

Endstation Reichskanzlei

Bernward Schneider, Gmeiner

Endstation Reichskanzlei

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Endstation Reichskanzlei«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Zeitpunkt.
Menschen, Schicksale und Ereignisse.

Wir schauen auf einen Zeitpunkte unserer Weltgeschichte und nennen Euch passende historische Romane.

mehr erfahren