Der Jahrhundertsturm
- Ullstein
- Erschienen: Januar 2015
- 9
- Ullstein, 2015, Titel: 'Der Jahrhundertsturm', Originalausgabe
Das größte Abenteuer dieser Epoche
Das Jahr 1840 führt in Paris drei junge Menschen zusammen: Den preußischen Adeligen Alvin von Briest, den Münchener Paul Baermann und die hübsche Französin Louise Ferrand. Die beiden Deutschen sind auf Einladung des französischen Eisenbahnenthusiasten Stéphane Flachat nach Frankreich gekommen. Stéphane und sein Bruder Eugène träumen davon, die Länder Europas durch die Eisenbahn miteinander zu verbinden und so einen Beitrag zu Frieden und Verständigung zwischen den Völkern zu leisten. Alvin, als preußischer Offizier, träumt vor allem von seiner Karriere und von Louise. Paul teilt den Traum der Brüder Flachat, aber auch er hat sich in Louise verliebt. Und Louise? Sie liebt beide, muss sich aber für einen von ihnen entscheiden.
Recht schnell kehrt Alvin nach Berlin zurück und bemüht sich, für seine Ehe mit Louise eine finanzielle Grundlage zu schaffen. Da er vom väterlichen Vermögen nichts geerbt hat, ist er auf sein Fortkommen beim Militär angewiesen. Wie gut, dass man ihm einen ansprechend dotierten Posten anbietet, auf dem er die Möglichkeiten prüfen soll, welche die Eisenbahn für eine militärische Nutzung bietet. Auch seine Freundschaft zu Otto von Bismarck ist dabei nicht von Schaden. Paul dagegen spürt nach zwei Jahren in Paris immer deutlicher die Abneigung der Franzosen gegen die Deutschen. Darum beschließt er nach dem Tod seines Vaters, nach München zurückzukehren. Dort allerdings will ihn, den Fachmann für Eisenbahnstreckenbau, niemand einstellen. Eine Jugendsünde hat ihn zur persona non grata in Bayern gemacht. Ihm bleibt nur die Möglichkeit, nach Preußen, nach Berlin, zu gehen. Und hier trifft er auch Louise wieder, denn Alvin und Louise heiraten. Niemand von ihnen ahnt, welche dramatischen Jahre ihnen bevor stehen und welchen Weg Deutschland in den nächsten Jahrzehnten gehen wird. Und einer spielt dabei eine ganz besondere Rolle: Otto von Bismarck, Nachbar und Freund der Familie von Briest.
Deutsche Geschichte vom Feinsten
Mit Der Jahrhundertsturm widmet sich Richard Dübell der Entwicklung Deutschlands im 19. Jahrhundert. Dabei nimmt der Bau der Eisenbahn eine besondere Stelle im Roman ein und wird, nicht zu Unrecht, als das größte Abenteuer dieser Epoche bezeichnet. Letztendlich ist dem Autor damit ein Kabinettstückchen geglückt, denn die Industrialisierung, die Beseitigung von Ländergrenzen, die Entwicklung einer völlig neuen Art zu leben, das alles war in Deutschland eng verknüpft mit dem Bau der Eisenbahn. Indem man den Aufbau der Eisenbahn mit verfolgt, erfährt man sehr viel darüber, wie sich das Leben der Menschen ebenso veränderte wie die Politik in Deutschland.
In diesem Rahmen tauchen auch immer wieder andere große Erfindungen des 19. Jahrhunderts auf. Die Geschichte der Protagonisten spiegelt das gesamte Spektrum der Veränderungen wider. Otto von Bismarck gehört dabei nicht zu den Hauptfiguren im Roman, greift aber immer wieder an den entscheidenden Stellen ein und lenkt das Leben seiner Bekannten ebenso, wie er ab 1851 beginnt, die Weichen der preußischen Politik zu stellen. Aus dieser Perspektive erlebt man als Leser seinen Aufstieg und seine Entscheidungen mit. Auch andere wichtige Persönlichkeiten dieser Zeit bekommen in Der Jahrhundertsturm ihre Auftritte, so dass man als Leser viele Informationen erhält, ohne aber dabei das Gefühl zu haben, eine Schulstunde zu absolvieren. Im Gegenteil! Wäre doch Geschichtsunterricht immer so spannend und unterhaltsam wie dieser Roman!
Liebe zu dritt
Die Romanhandlung führt über dreißig Jahre bis zum Epilog im Jahr 1871 und zeichnet dabei nicht nur das Schicksal der Protagonisten nach, sondern auch die Entwicklung Deutschlands vom Flickenteppich der Kleinstaaterei bis zum geeinten Kaiserreich. Richard Dübell bietet dem Leser dabei zwar sehr detaillierte Informationen über die politische Entwicklung, jedoch stehen seine Protagonisten mit ihren Sorgen und ihren Erlebnissen immer im Mittelpunkt des Geschehens. Daraus entwickelt sich ein regelrechtes Epos, voller Spannung und Dramatik, lebendig und packend erzählt. Als Leser findet man schnell den Einstieg in die Geschichte, kann sich von den geschilderten Ereignissen mitreißen lassen und stellt schnell fest, dass man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen mag.
Der Konflikt, der aus der Tatsache heraus entsteht, dass zwei Männer die gleiche Frau lieben und auch beide von ihr geliebt werden, zieht sich durch die gesamte Romanhandlung bis zum hochexplosiven Schluss. Immer wieder auch bestimmt er das Handeln der drei Hauptfiguren, denen das Kunststück gelingt, trotz der schwierigen Konstellation Freunde zu bleiben. Es ist Richard Dübell gelungen, den Spannungsbogen über mehr als tausend Seiten Romanlänge zu halten. Nur selten flacht er etwas ab, um dann aber sehr schnell wieder anzusteigen und den Leser gefangen zu nehmen. Insbesondere Louise, Paul und Alvin werden sehr intensiv gezeichnet und sind ausgesprochen vielschichtige Charaktere. Aber auch in den Nebenrollen tummeln sich interessante Persönlichkeiten, fiktive ebenso wie historisch belegte. Deutlich ist zu spüren, mit welcher Detailfreude der Autor hier zu Werke ging. Damit ist es ihm gelungen, glaubhafte Protagonisten zu schaffen und selbst die ganz fiesen Gestalten wirken dabei nicht überzogen.
Ein großartiger Roman
Der Jahrhundertsturm hat viel zu bieten: Spannung, lebendig erzählte Geschichte und Protagonisten, mit denen man sich als Leser identifizieren kann. Ein großartiger Roman, der umfassend recherchiert und enthusiastisch erzählt wird. Die wichtigsten Orte der Handlung findet man auf einer Karte auf der hinteren Umschlagseite, dazu kommt ein ausführliches Nachwort des Autors, in welchem auch einige wichtige Fakten noch einmal kurz beleuchtet werden. Der Ullstein Verlag ist offenbar mit diesem Roman sehr sorgsam umgegangen, dafür spricht auch das Cover, welches nicht nur zur Romanhandlung passt, sondern auch die Phantasie des Betrachters anregt. Alles in allem ein Roman, den man nur empfehlen kann und mit dem vor allem jene Leser Freude haben werden, die sich für die Geschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert interessieren.
Richard Dübell, Ullstein
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