Der Besuch der Kaiserin
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2015
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- Rowohlt, 2014, Titel: 'The Fortune Hunter', Originalausgabe
Das Mauerblümchen und die Schöne
London, 1875. Charlotte Baird ist unscheinbar und unkonventionell. Sie interessiert sich nicht sonderlich für elegante Kleidung und der Austausch von nichtssagenden Floskeln beim Tanzen ödet sie an. Lieber verbringt sie ihre Zeit in der Dunkelkammer, denn Charlottes Leidenschaft gilt der Fotographie. Als reiche Erbin ist sie das Ziel zahlreicher Mitgiftjäger, aber diese Männer sind für Charlotte Baird uninteressant. Erst als sie Bay Middleton kennenlernt, spürt sie, dass auch sie verliebt sein kann. Middleton gilt als der beste Reiter Englands und er ist ein Frauenschwarm. Doch auch er verliebt sich ausgerechnet in das Mauerblümchen Charlotte Baird. Zwar ist Charlottes Familie nicht sonderlich erbaut über diese Verbindung, doch Charlotte trifft ihre eigenen Entscheidungen. Bald gelten die beiden als so gut wie verlobt. Aber dann bekommt Middleton den Auftrag, die österreichische Kaiserin Elisabeth bei der Jagd zu begleiten. Elisabeth ist nicht nur eine hervorragende Reiterin, sie ist auch eine wunderschöne Frau mit Macht und Charme. Bald ist Charlotte klar, dass Middleton sich in die Kaiserin verliebt hat. Und sie ist nicht bereit, mit der Kaiserin zu teilen!
Viel Atmosphäre
Natürlich ist Elisabeth von Österreich eine reale historische Persönlichkeit. Ebenso sind es Bay Middleton und Charlotte Baird. Die Geschichte jedoch, die Daisy Goodwin über diese Dreierkonstellation geschrieben hat, ist komplett der Fantasie der Autorin entsprungen. Es ist bekannt, dass Middleton mehrere Jahre lang der Jagdbegleiter der Kaiserin war, wenn diese zur Fuchsjagd nach England kam. Als Middleton diesen Dienst kündigte, gab Elisabeth auch die Parforcejagd auf, denn ohne ihren ganz speziellen Jagdbegleiter machte ihr das Reiten keinen Spaß mehr. Viele Gerüchte ranken sich um diese Beziehung, aber selbstverständlich weiß niemand etwas Genaues. Und auch über das wahre Leben von Bay Middleton und Charlotte Baird ist wenig bekannt. Aus den wenigen Fakten und mit Hilfe ihrer Fantasie hat Daisy Goodwin einen amüsanten, berührenden und manchmal sogar regelrecht spannenden Roman gemacht. Ein wenig wird man dabei an Jane Austins Romane erinnert, die das gesellschaftliche Leben ihrer Zeit so eindrucksvoll widerspiegeln. Daisy Goodwin ist es gelungen, für ihre Leser ein wenig von jener Atmosphäre einzufangen, die in der gehobenen Gesellschaft Englands in der viktorianischen Zeit geherrscht haben muss. Zwar hat Charlotte als reiche Erbin eine recht komfortable Situation, aber auch sie wird von den Menschen ihrer Umgebung gezwungen, sich bestimmten Konventionen zu unterwerfen.
Die Autorin hat mit Charlotte und Bay zwei liebenswerte und sympathische Protagonisten geschaffen und zwischen einer Vielzahl von mehr oder weniger sonderbar anmutenden Mitspielern postiert, ohne dass daraus ein Sammelsurium von Komikern wird. So wird die Stimmung bei den großen Fuchsjagden, bei Bällen und anderen gesellschaftlichen Anlässen wunderbar eingefangen und man kann sich als Leser gut in die beschriebene Zeit hinein versetzen.
Eine sehr reale Sisi
Kaiserin Elisabeth wird hier nicht zur überhöhten Traumprinzessin. Sehr einfühlsam stellt die Autorin sowohl die einsame, von Zwängen und Konventionen schier erdrückte Frau vor, als auch die machtbewusste Kaiserin, deren Eskapaden man selbstverständlich hinnimmt. Ein besonderes Schmeckerchen ist dabei die Begegnung zwischen Elisabeth und Queen Victoria, ein literarisches Kabinettstückchen, an dem man seinen Spaß haben kann. Nichts erinnert an jene Schnulzenfilme der 1950iger Jahre. Daisy Goodwin kennt ihre Sisi sehr genau, weiß um ihre Marotten und Schwächen ebenso wie um ihre großen Stärken. Auch Gräfin Festetics, eine der Hofdamen Elisabeths, wird hier sehr genau beschrieben. Die Autorin schreibt ihr keine neue Rolle auf den Leib, sondern schildert sie als genau jene treu ergebene Dienerin, die sie tatsächlich war. Auch die berühmt-berüchtigten Turnübungen und Fußmärsche haben Eingang in das Buch gefunden. Hier wird weder ein verklärtes Bild gezeichnet noch eine böse Hexe erschaffen. Elisabeth von Österreich erscheint in diesem Roman als Frau aus Fleisch und Blut, mit guten und weniger guten Seiten. Eine Frau, deren Leiden man nachempfinden kann und die vom Leser auch ein gewisses Maß an Bewunderung ebenso einfordert, wie es die reale Sisi bei ihren Zeitgenossen tat.
Auch für Elisabeth-Fans lesenswert
Der Besuch der Kaiserin ist eine scheinbar mit leichter Hand erzählte Geschichte mit realhistorischen Protagonisten und viel Fiktion. Es fällt nicht schwer, sich darauf einzulassen, denn die Fiktion wird durch gut recherchierte Fakten aufgewertet und die Geschichte selbst ist spannend genug. Dies ist ein Roman, der sich flüssig liest und bei dem sich die Seiten fast von selbst umblättern. Die Umschlaggestaltung wirkt zwar romantischer als der Roman selbst, aber sie passt zum Inhalt des Buches. Die Nachbemerkungen der Autorin sind interessant, man sollte sie nicht übersehen.
Insgesamt ein Roman, den man wohl auch den eingefleischten Elisabeth-Fans empfehlen kann.
Daisy Goodwin, Rowohlt
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