Abgründe der Macht
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2015
- 0
- Gmeiner, 2015, Titel: 'Abgründe der Macht', Originalausgabe
Ein etwas anderer Bismarck-Roman
Als Otto von Bismarck am 7. Mai 1866 Unter den Linden in der Nähe der russischen Botschaft einen der zahlreichen Anschläge auf ihn überlebt, ist dies nicht der erste und auch nicht der letzte. Im Gegenteil, immer wieder planen Feinde, Gegner oder Verwirrte, den grossen Ministerpräsidenten zu töten.
Einer von ihnen ist Eduard von Sandersleben, der feststellt, dass er von seinen Eltern nur adoptiert wurde und dessen Herkunft verschleiert ist. Er vermutet eine Verbindung zur Bismarck und beobachtet ihn seitdem. Zudem fühlt er sich durch Bismarcks Politik immer wieder persönlich angegriffen und beschliesst daher den Tod des Ministerpräsidenten.
Bismarck hingegen schafft einen legendären Aufstieg. Selbst von Adel, muss er sich jedoch hocharbeiten und scheint zunächst mehr als ungeeignet für höhere Ämter und Positionen. Sein legendäres Lotterleben während des Studiums und seine amourösen Abenteuer halten ihn von wichtigeren Dingen ab und qualifizieren ihn nicht als vertrauensvollen Politiker. Und doch scheint er einige Dinge richtig zu machen, ist doch sein Aufstieg in die Chefetagen der Politik vorgezeichnet und unaufhaltsam.
Bismarck als Privatier
Heiger Ostertag hat zu Otto von Bismarcks 200. Geburtstag im April 2015 einen Roman geschrieben, der sich vor allem auf die unbekannte Seite Bismarcks, seine Studien- und Jugendzeit, und seine private Seite im Allgemeinen konzentriert. Aufhänger ist dabei ein Rückblick nach einem der zahlreichen Attentate auf ihn.
Bismarck wird als ein Lebemann dargestellt, der vor allem in seiner Studienzeit sich nicht unbedingt um sein Studium gekümmert hat, sondern vielmehr alle anderen studentischen Vorzüge genossen hat, wie Burschenschaften, Gesellschaften und dann natürlich auch die Frauen. Das ein oder andere Mal fühlt er sich sogar so sehr zu einer Dame hingezogen, dass er ihr einen Antrag machen möchte, doch sind sich die Eltern der Damen meist des Lebenswandels Bismarcks bewusst, so dass für sie eine Heirat nicht infrage kommt. Daraufhin ändert Bismarck seinen Lebensstil und widmet sich der Juristerei und der Politik, wo schon bald wichtige Menschen in hohen Positionen auf ihn aufmerksam werden.
Lockeres Studentenleben
Dabei ist Bismarck nicht unbedingt ein sympathischer Protagonist, den Ostertag da beschreibt. Er gehört vielmehr zu der Sorte Student und Mensch, die man gemeinhin eher abstossend findet, die ihr Leben verlottern lassen und es nicht in den Begriff bekommen, dieses aber selbst gar nicht so wahrnehmen oder so schlimm finden. Insofern ist Bismarck letztlich ein Mensch wie jeder andere und noch nicht der später gefeierte Politiker, auf den alle aufschauen.
Bismarcks Geschichte wird abwechselnd erzählt mit der von Eduard von Sandersleben, der den politischen Auftrag bekommt, Bismarck zu beschatten und über seine Handlungen und Taten Bericht zu erstatten. Dabei kommt er der eigenen Vergangenheit auf die Spur, die ihm aufzeigt, dass er selbst adoptiert ist und nun versucht er, seine wahre Herkunft zu ergründen. Eine Spur führt tatsächlich zur Familie Bismarck und zur Überlegung, ob er selbst Ergebnis eines Stelldicheins Bismarcks sei&
Zwei Handlungsstränge
Leider schafft es Ostertag nicht, die beiden Handlungsstränge sinnvoll miteinander zu verbinden. Sanderslebens Gründe für die Nachforschungen sind schon auf dünnem Eis erstellt, eigentlich wird nie richtig klar, warum er das macht und was er eigentlich macht, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, denn nur nach Informationen über Bismarck zu suchen, ist keine Lebensbeschäftigung. So fahren beide Handlungsstränge lange Zeit nebeneinander her, ohne sich zu verbinden oder auch nur Anzeichen zu zeigen, dies jemals tun zu wollen.
Bismarcks Geschichte ist sehr interessant, teils sogar amüsant und gespickt mit Anekdoten, gelegentlich mit Jahreszahlen und Daten unterfüttert, aber immer mit dem Privatleben im Fokus. Seine politischen Verdienste kommen erst später zum Tragen, doch auch da erfährt man mehr über den Privatier, vor allem über seine Geliebte Katharina Orlow, mit der ihn neben seiner Ehe doch einiges verbindet.
Die Geschichte um Sandersleben und wie sie sich letztlich in Bismarcks Geschichte fügt, ist vergleichsweise dünner und weit weniger interessant. Die Zusammenführung ist letztlich auch nicht überzeugend, man fragt sich als Leser tatsächlich, was der Autor einem mit diesem Roman sagen will. Einzige Ergänzung des Romans ist eine Liste mit Literaturhinweisen und eine Danksagung, wobei gerade hier ein Nachwort mit Hinweisen darauf sinnvoll gewesen wäre, welche von den erwähnten Liaisons im Roman es tatsächlich gegeben hat. Ein Roman darf alles, sagt Guido Knopp, aber tut er das auch?
Kein grosser Wurf
Den einzelnen Kapiteln sind Zitate aus Bismarcks Autobiografie vorangestellt, die in die Kapitel überleiten und auf den Inhalt hinarbeiten. Das Coverbild zeigt einen der zahlreichen Attentate auf Bismarck und trifft somit gut den Inhalt des Buches. Hier überzeugt der Gmeiner Verlag immer wieder durch seine individuelle Covergestaltung. Leider überzeugt er nicht durch den Klappentext, der nur den Anfang des Buches wiedergibt und sich nicht weiter mit dem Inhalt des Buches beschäftigt. Hier kann man nachbessern.
Insgesamt ist Abgründe der Macht ein treffender Titel für einen Bismarck-Roman, der sich mehr mit dem privaten Menschen beschäftigt und den politischen Kontext nur wo nötig gelegentlich mit einfügt. Ob der Roman für Bismarck-Fans geeignet ist, muss jeder nach der Lektüre selbst entscheiden. In jedem Fall bietet er interessante Geschichten und Geschichtchen, die für nette Unterhaltung sorgen. Der grosse Wurf allerdings sind sie nicht.
Heiger Ostertag, Gmeiner
Deine Meinung zu »Abgründe der Macht«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!