Madame ermittelt
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2015
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- Gmeiner, 2015, Titel: 'Madame ermittelt', Originalausgabe
Dirnenmord im Biedermeier
Frankfurt 1838: Die Dichterin Sidonie Weiß unterstützt die junge Thekla Müller, eine ehemalige Prostituierte, die nun ein Sodawasserhäuschen mit Erfrischungsgetränken betreibt. Neben Thekla arbeiten hier noch weitere ehemalige Dirnen, die sich ein solides Leben aufbauen wollen.
Unter ihnen ist Sussi Kesselheim, die eine der Trinkhallen verwaltet. Sussi behauptet, dem Alkohol abgeschworen zu haben. Eines Tages ist ihr Erfrischungsstand mit Schmähungen beschmiert; angeblich verkaufe sie heimlich Alkohol und gehe weiterhin der Prostitution nach. Sidonie und Thekla schützen sie weiterhin, doch sie merken, dass Sussi vor irgendjemandem große Angst hat.
Kurz darauf wird Sussi tot aufgefunden. Zunächst deutet alles auf übermäßigen Alkoholkonsum hin. Aber schließlich stellt sich heraus, dass Sussi ermordet wurde. Sidonie ist erschüttert und beginnt im Umfeld der Trinkhalle zu ermitteln. Als Ehefrau des Oberinspektors Max Wilde genießt Sidonie zwar einen gewissen Schutz, doch sie begibt sich dennoch schon bald in große Gefahr &
Sidonies zweiter Fall
In Madame empfängt durfte sich die Dichterin Sidonie Weiß zum ersten Mal als Amateurdetektivin betätigen. Damals ermittelte sie im Umfeld des Frankfurter Straßenstrichs angesichts einer Serie von Prostituiertenmorden; zwei Jahre später führen ihre Nachforschungen sie erneut in dieses Milieu.
Es hat sich einiges getan seit ihrem ersten Fall; vor allem ist Sidonie mittlerweile verheiratet. Zum Erstaunen manch Frankfurter Bürgers ist ihr Angetrauter nicht nur der engagierte Oberinspektor der Polizei, sondern auch dreizehn Jahre jünger als die Dichterin. Wie bereits in Madame empfängt präsentiert sich Sidonie als unkonventionelle Dame, die bereits durch ihre ungebändigten roten Haare eine auffälligere Erscheinung abgibt, als es so mancher Person der Frankfurter Oberschicht anständig erscheint. Sidonie, einst heimlich und unglücklich in den Dichter Hölderlin verliebt, genießt das späte Eheglück mit ihrem Max in vollen Zügen. Die beiden scheren sich nicht um empörte Blicke oder hämische Kommentare und der Leser gönnt es der sympathischen Sidonie von Herzen, dass sie mittlerweile ihr Glück gefunden hat. Die schlagfertige und resolute Dichterin ist eine gelungene Identifikationsfigur; eine forsche Person, dabei aber nicht unrealistisch gezeichnet. Liebenswert ist insbesondere ihr gütiges Auftreten gegenüber der ehemaligen Prostituierten, die sie finanziell wie emotional unterstützt. Umso schmerzhafter ist der Mord an Sussi, die auch der Leser bis zu ihrem Ableben durchaus ins Herz geschlossen hat. Gleiches gilt für die junge Thekla, die sich nach schwerer Alkoholabhängigkeit zu einer engagierten Abstinenzlerin entwickelt hat und für die man sich unweigerlich ein glückliches Schicksal am Ende des Romans erhofft.
In gewohnt souveräner Weise führt Ursula Neeb den Rezipienten durch Frankfurt und spart dabei nicht an Lokalkolorit. Der Frankfurter Hafen, der Park am Mainufer und die Wachstube sind einige markante Orte des Buches. Zudem gibt es hier ein Wiedersehen mit Doktor Heinrich Hoffmann, dem Leiter der städtischen Armenklinik und städtische Leicheninspektor Sidonies guter Freund, der ihr bereits in ihrem ersten Fall hilfreich zur Seite stand, ist heute der breiten Masse insbesondere für den von ihm verfassten Struwwelpeter bekannt. Besonders reizvoll ist Sidonies Abstecher zur mysteriösen Miss, die im ersten Band als gestrenge Gouvernante im Bordell der Madame Zink arbeitete. Mittlerweile hält die Miss in ihrem Privat-Lyzeum in der Brönnerstraße eine Reihe junger Sklavinnen, die sich für Kost und Logis sadistischen Herren darbieten. So gegensätzlich die beiden Frauen auch sein mögen, eine gewisse Sympathie füreinander können Sidonie und die Miss nicht abstreiten, woraus sich ein unterhaltsamer und amüsanter Dialog ergibt.
Kleine Schwächen im kriminalistischen Teil
Ausgangspunkt für das Werk ist Ursula Neebs kulturwissenschaftliche Magisterarbeit von 1993, die sich mit dem Trinkhallenalltag in Frankfurt auseinander setzte. In ihrem zweiten Roman um Sidonie Weiß verbindet sie interessante Einblicke in die Vor- und Frühgeschichte dieses eher wenig beleuchteten Metiers mit einer kriminalistischen Handlung. Das Motiv für den Mord an Sussi ist zunächst unklar, dementsprechend gibt es auch mehrere Verdächtige. Sidonies energische Ermittlungen auf eigene Faust versprechen kurzweilige Lektüre; insgesamt betrachtet ist der kriminalistische Teil jedoch ausbaufähig. Der Täter ist letztlich dem Leser zu früh bewusst, das Motiv eher phantasielos. Wie bereits im ersten Band ist es am Ende auch der Zufall, der Sidonie bei der Überführung hilft statt ihre detektivischen Fähigkeiten. Rein als Kriminalfall betrachtet, liegt das Werk kaum über Durchschnitt; vielmehr sind es die Charaktere, die eingeschobenen humorvollen Szenen, das Lokalkolorit und der flüssige Stil, die den Roman auszeichnen.
Grundsätzlich kann man das Buch ohne Vorkenntnisse des ersten Falls lesen. Allerdings werden im Laufe der Handlung die entscheidenden Ereignisse aus Madame empfängt verraten, inklusive der Auflösung jenes Kriminalfalles. Ratsamer ist es daher, sich zunächst den ersten Band um Sidonie Weiß vorzunehmen, da es in Kenntnis um die Auflösung deutlich weniger reizvoll ist. Nicht ganz überzeugend ist auch der Epilog, der in knapper Form die wichtigsten Ereignisse nach dem eigentlichen Ende zusammenfasst. Der Leser erfährt, wie das Schicksal einiger zentraler Gestalten weiterhin verläuft, was sich teilweise in dieser äußerst lakonischen Form etwas lieblos liest. Schöner wäre es gewesen, diese weiteren Entwicklungen erst in anschließenden Bänden in der angemessenen Ausführlichkeit darzustellen.
Unterm Strich bleibt ein lesenswerter Roman mit einer sympathischen Heldin, von der man hoffentlich noch öfter lesen wird.
Ursula Neeb, Gmeiner
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