Doppelmord
- Hinstorff
- Erschienen: Januar 2015
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- Hinstorff , 2015, Titel: 'Doppelmord', Originalausgabe
Gelungener Start, der auf eine Fortsetzung wartet
Ostern 1857 in Neubrandenburg. Fritz Reuter unternimmt mit seinen Freunden, dem Apotheker Victor Siemerling und dem Fotografen Wilhelm Bahr, einen Osterspaziergang, der zurück von Stargard nach Neubrandenburg führt. Dabei kommen sie an einem aus mehreren Mühlen bestehenden Areal vorbei, dessen wichtigstes Gebäude eine Papiermühle ist, die Daniel Davidson gehört, dessen Vater bereits vom mosaischen Glauben zum Christentum konvertierte. Dennoch ist im Volksmund nur von der Judenmühle die Rede. Dort angekommen stoßen die Freunde auf eine kleine Menschenansammlung und müssen zu ihrem Entsetzen feststellen, dass die Leiche eines wenige Tage alten männlichen Säuglings im See trieb. Da der Säugling unmöglich selbst zum See krabbeln konnte wurde er dort offenbar vorsätzlich ausgesetzt und ertrank. Reuter lässt der Fall keine Ruhe doch will er auch an seinem neuen Gedichtepos arbeiten und dafür den Stellmacher Walter Kilian befragen, der unlängst aus Amerika zurückkehrte.
"Warum sollte Walter denn Kommunist sein? Nur weil er in Berlin gewesen ist? Oder in Paris? Napoleon III. ist Kaiser in Paris ich glaube nicht, dass man ihn deswegen für einen Kommunisten halten muss. Oder gar König Friedrich Wilhelm IV., den Neffen von Serenissimus? Der lebt in Berlin und ist weder Demokrat noch Schlimmeres."
Kilian verschwindet hingegen von der Bildfläche, bleibt zunächst verschwunden und zwei Tage nach dem Säuglingsfund wird sein Leichnam in einem Waldstück in der Nähe der Mühle aufgefunden. Kilian wurde erschossen und noch am gleichen Tag brennt die Judenmühle; weitere Tote folgen...
Wendungsreicher Plot mit interessantem Protagonisten
Fritz Reuter (1810-1874) gilt als einer der wichtigsten Schriftsteller und Dichter der niederdeutschen Sprache. Er wird also die neue Hauptfigur einer Serie aus der Feder von Frank Goyke, der bereits Theodor Fontane eine eigene Krimireihe widmete und zuvor mit seinen Hansekrimis für Aufmerksamkeit sorgte. Nun also Fritz Reuter, der der Trunksucht unterliegt und sich daher immer wieder vor seiner Frau Louise beim abendlichen Heimgang in Acht nehmen muss. Doch die Ereignisse sind zu schrecklich und wollen somit in den Wirtshäusern des Städtchens Neubrandenburg erörtert werden. Da darf die Kehle halt nicht trocknen, ein oder eher mehrere Schoppen Wein müssen her.
Die Neugier des Schriftstellers, der durch den Mord an Walter Kilian mit seinem aktuellen Werk nicht richtig vorankommt, ist geweckt und so macht sich Reuter mit seinen Freunden daran mit etlichen Betroffenen zu sprechen, um Klarheit in die Geschehnisse zu bekommen. Dabei kreuzen sich immer wieder die Wege mit dem Oberlanddrost von Kampst, dessen Vater dafür sorgte, dass Reuter zeitweise im Gefängnis einsaß. Von Kampst ermittelt geradezu übereifrig, obwohl er in Neubrandenburg gar nicht zuständig ist. Verdächtige gibt es bald mehr als genug. Ein konkurrierender Papierhersteller könnte Davidson Schaden zufügen wollen, ein Rittmeister, der zuletzt vor neun Monaten in der Gegend war, könnte sich dessen ungeahnten Folgen entledigt haben und nicht zuletzt gibt es viele einfache Menschen, die die Juden noch nie mochten. Heißt es doch, dass die Juden ihr traditionelles Gebäck mit Christkinderblut backen.
"Viele Leute sind der Meinung, dass ein Jude auch im Christenkleide ein Jude bleibt, sozusagen ein Jude im Christenpelz. Der Judenmüller hat ein Christkind getötet, um mit dem Blut seine Matzen zu backen, also musste er bestraft werden. Solche Gedanken sind ja weit verbreitet und fallen wieder namentlich beim Mob auf fruchtbaren Boden."
"Da fällt mir ein Satz des großen Alexander von Humboldt ein: Die gefährlichste Weltanschauung aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben."
Menschen die damals lebten treffen auf zahlreiche fiktive Figuren; eine entsprechende Aufklärung erfolgt in einem abschließenden Glossar. Derweil wird nicht nur ein spannender Kriminalplot erzählt, sondern zudem viel über die damalige Zeit berichtet, schließlich wähnten sich die Menschen wie eh und je im Jahrhundert des Fortschrittes. So erzählt Wilhelm Bahr wie sich die Fotografie geradezu neu erfindet; weg von der Daguerreotypie hin zum Nasskollodiumverfahren. Ebenso gibt es in der Papierherstellung erstaunliche Fortschritte, denn hier erfolgt der Übergang von der Handpapiermacherei hin zur maschinellen Papierherstellung. Und auch der Bau des ersten Gaswerkes in Neubrandenburg zeigt an, dass man nicht völlig vom Weltgeschehen abgekoppelt ist.
Eine spannende Geschichte mit einem interessanten Protagonisten und zahlreichen Informationen über die damalige Zeit. Dies komprimiert zusammengefasst auf rund 330 Seiten, und fertig ist ein empfehlenswert-kurzweiliges Lesevergnügen, auf dessen Fortsetzung man sich freuen darf.
Frank Goyke, Hinstorff
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