Karl Martell, der erste Karolinger

  • Emons
  • Erschienen: Januar 1999
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  • Emons, 1999, Titel: 'Karl Martell, der erste Karolinger', Originalausgabe
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Annette Gloser
901001

Histo-Couch Rezension vonJan 2007

Karl Martell - ein Herrscher ohne Krone

Köln im Jahre 714 nach Christi Geburt. Nach dem Tod des Hausmeiers Pippin II. giert seine Witwe Plektrud nach der Macht. Sie will selbst herrschen und die Machtposition für ihre Enkel sichern, denn ihre leiblichen Söhne sind tot. Allerdings ist da noch Karl, Sohn Pippins mit einer Friedelfrau, der ebenfalls Anspruch auf das Erbe anmelden könnte. Ihn lässt Plektrud deshalb einkerkern.

Doch Karl gelingt die Flucht, organisiert von einigen wenigen Männern, die es wagen, sich gegen Plektrud zu stellen. Er sammelt Kämpfer und Kirchenleute um sich, die ihn und seinen Anspruch auf das Amt des Hausmeiers unterstützen. Es wird ein Kampf, der Jahre dauert, denn Karl muß nicht nur gegen Plektrud antreten, sondern auch gegen Raganfrid, der das Amt des Hausmeiers im westlichen Teil des Reiches für sich beansprucht. Auch die Sachsen dringen immer wieder in fränkisches Gebiet ein, Alemannen und Bajuwaren zeigen sich aufsässig, und im Norden sind noch die Friesen, im Süden die Sarazenen...

Und obwohl zahlreiche Kämpfe ihn in Anspruch nehmen, obwohl er praktisch sein ganzes Leben lang damit beschäftigt ist, das Land der Franken zusammen zu halten und dieses Reich nach innen und außen zu verteidigen, gelingt diesem Mann, der selbst nie richtig lesen und schreiben gelernt hat, der Aufbau einer tragfähigen Verwaltung, herrscht er souverän und letztendlich auch unangefochten über das Frankenland. Seine Härte und sein kriegerisches Können bringen ihm schließlich den Namen ein, unter dem er noch nach mehr als tausend Jahren bekannt sein wird . Aus Karl, dem Bastardsohn Pippins II., wird Karl Martell, Karl der Hammer, Stammvater der Karolinger und Großvater Karls des Großen.

Verdrehte Merowingerwelt

Um zu verstehen, welche Position Hausmeier wie Pippin und Karl innehatten, muß man ein wenig über diese Zeit zum Ende des weströmischen Reiches und zu Beginn des frühen Mittelalters wissen . Und natürlich über die Merowinger, deren Herrschaftsgebaren uns heute bestenfalls seltsam vorkommt. Nach 450 tauchen die ersten Merowingerkönige auf. Chilperich I., ursprünglich germanischer Offizier in römischen Diensten beginnt den Reigen. Zu diesem Zeitpunkt steigen auch Merowingerkönige noch selbst aufs Pferd, reiten in die Schlacht und sind glanzvolle, ruhmreiche Gestalten. Ihr Herrschaftsanspruch wird geschickt gestützt durch eine Sage:

Einst lebte der salfränkische König Chlodio in friedlicher Eintracht mit seiner Gemahlin - der Name der Dame wird bezeichnenderweise nicht erwähnt. Besagte Gemahlin lustwandelte eines Tages am Ufer des Meeres und begegnete einem schrecklichen Seeungeheuer. Dieses wollte sie jedoch nicht fressen sondern vernaschen und so wurde Chlodios Gemahlin schwanger. Ihr Sohn Merowech hatte also das göttliche Blut des Seeungeheuers in sich und wurde Stammvater der Merowinger, die dann auch alle göttliches Blut in sich hatten.

Bei dieser Geschichte mit dem göttlichen Blut blieben die Merowingerkönige auch dann noch, als sie selbst und ihr Volk irgendwann Christen wurden. Und ihre Funktion wandelte sich. Aus den Soldatenkönigen wurden Repräsentationsobjekte, die sich nun eben nicht mehr selbst aufs Pferd setzten, sondern nur noch auf Ochsenkarren durch das Land gefahren wurden, um sie dem Volk zu zeigen. Die Verwaltung und die Verteidigung des Landes hatten sie allmählich an die Hausmeier abgegeben. Und während die Merowingerkönige in den letzten Jahrzehnten ihrer Dynastie eine Position einnahmen, die sich heute - wenn überhaupt - wohl am ehesten mit der des japanischen Kaisers als Bindeglied zwischen dem sterblichen Menschen und dem Göttlichen vergleichen lässt, beschränkt auf eine Symbolfunktion ohne tatsächliche politische Macht, waren die Hausmeier als Verwalter des Landes die wirklich Mächtigen.

Letztendlich war es jedoch so, dass auch kein Hausmeier sein Amt bekleiden konnte ohne einen Merowingerkönig, der ihn legitimierte. Und wenn auch Karls Vorfahr Grimoald mit seinem Griff nach der Königskrone noch scheiterte, so sind die Merowinger zu Karls Zeit schon so machtlos, dass sich jeder, der nach dem Amt des Hausmeiers strebt, seinen eigenen Merowinger suchen und ihn zum König krönen kann. Dabei ergibt sich dann die in unseren Augen paradoxe Situation, dass nicht ein König seinen Verwalter ernennt, sondern der Hausmeier einen halbwegs akzeptablen Merowingersproß aus dem Kloster holt, ihn krönen und zum König ausrufen lässt.

Karl selbst wird das Amt gegen Ende seines Lebens vom Papst angetragen - er lehnt es ab. Erst Karl Martells Sohn Pippin, der Kurze genannt, wird diesen Zustand beenden und sich vom Papst zum König der Franken krönen lassen.

Umfangreiche Recherche trifft spannend erzählt

Dieses Buch ist ganz sicher nicht für die Fans flott erzählter Liebesgeschichten im ritterlichen Milieu geschrieben worden. Wer den Roman in die Hand nimmt, hat ein umfangreich recherchiertes Stück europäischer Geschichte vor sich. Ein Personenverzeichnis und ein Verzeichnis der Stämme, Völker und Familien, dazu ein Stammbaum der Pippiniden/Karolinger und mehrseitige Erläuterungen erleichtern dem Leser die Orientierung in dem Gewirr von Namen, die er ganz sicher auch dann noch nie gehört hat, wenn er im Geschichtsunterricht brav aufgepasst hat. Höhepunkt wäre eine Karte gewesen, die einen Überblick über Europa im 8. Jahrhundert verschafft, aber zur Not geht es auch so. Wichtig ist nur, dass man ganz schnell alles vergisst, was man an neuzeitlichen Staatennamen und Grenzen im Kopf hat und sich auf Neustrien, Austrien, Aquitanien etc. einlassen kann.

Mielke erzählt sachlich, an den bekannten Fakten orientiert. Da bleibt wenig Raum für einen wirklich tiefen Blick in die Gefühlswelt der Protagonisten. Und doch gibt es immer wieder Momente, in denen der Mensch Karl Martell greifbar wird. So stattet ihn Mielke z.B. mit einem Becher aus, den er immer bei sich hat und aus dem er am liebsten trinkt. Dieser Becher ist Zeichen der tiefen Liebe Karls zu seiner ersten Ehefrau Chrotrud, denn er wurde aus der Wurzel des Rosenbusches geschnitzt, unter dem Karl und Chrotrud das erste Mal beieinander lagen.
Oder jener Moment, in dem Karls ältester Sohn Karlmann die traditionelle Mutprobe der Pippiniden bestehen muß und seinem Vater praktisch die Tränen der Freude und des Stolzes in die Augen treibt...

Wogende Emotionen sind offenbar Mielkes Sache nicht, jedoch kann man wohl getrost davon ausgehen, dass der hartgesottene Krieger Karl nicht wirklich ein Gefühlsmensch war. Vielleicht auch deshalb räumt der Autor eben nicht der Familie und den Gefühlen, den Wünschen und Träumen Karl Martells den Vorrang ein, sondern orientiert sich an den geschichtlich bekannten Fakten: Feldzüge, Schlachten, Verträge. Schon mit Karls erster Ehefrau Chrotrud wagt sich Mielke auf das dünne Eis der Vermutungen. Streng genommen ist nicht einmal bekannt, ob jene Chrotrud, deren Tod in den Reichsannalen verzeichnet ist, tatsächlich Karls Ehefrau war. Daß der Leser trotzdem eine Vorstellung davon bekommt, wie Karls Leben abseits der Politik verlief, ist dem Können des Autors zu verdanken, denn das Buch lebt von den großen Schlachten ebenso wie von den vielen alltäglichen Dingen, die hier erzählt werden. Die Geschichte Karl Martells auf seinem Weg vom eingekerkerten Bastardsohn hin zum ungekrönten Herrscher Europas ist so spannend und so detailliert geschildert, dass man das Buch nur ungern aus der Hand legt um endlich schlafen zu gehen. Und wenn dies bei einem Buch geschieht, bei dem man letztendlich weiß, wie die Geschichte ausgeht, dann spricht das für dieses Buch.

Erstaunlich ist auch, welche Fülle an Fakten Mielke zusammengetragen hat. Zwar ist über Karl Martell wesentlich mehr an gesicherten Fakten bekannt als man gemeinhin annehmen kann von einem Mann, der vor immerhin mehr als 1200 Jahren gelebt hat, dennoch zeigt der Roman deutlich, über welches beeindruckende Hintergrundwissen der Autor verfügt und welche enorme Recherchearbeit hier geleistet wurde.

Mitdenken ist Pflicht

Karl Martell. Roman eines Königs ist anspruchsvolle Lektüre und fordert den Leser. Abschalten und in einer Traumwelt versinken ist hier nicht angesagt. Belohnt wird man dafür mit einer fulminanten Geschichtslektion, die so schnell nicht vergessen wird. Mielke selbst schreibt in einem Nachwort über die Diffamierung, der Karl Martell jahrhundertelang von Seiten der Geschichtsschreibung ausgesetzt war, da er dem Papst die von diesem eingeforderte Unterstützung verweigerte. Mit seiner Romanbiographie hat Mielke letztendlich eine große Scharte ausgewetzt und dem Mann ein Denkmal gesetzt, der das Rittertum "erfand" und der als Wegbereiter der Karolinger einen wichtigen Meilenstein in der Geschichtslandschaft Europas aufstellte .

Letztendlich ein Buch nicht nur für jene, die eine Wissenslücke schließen wollen, sondern für alle, denen historisch korrekte, spannend erzählte Romane am Herzen liegen.

Karl Martell, der erste Karolinger

Thomas Rudolf Peter Mielke, Emons

Karl Martell, der erste Karolinger

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