Der Palazzo am See
- Fischer
- Erschienen: Januar 2015
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- Fischer, 2015, Titel: 'Der Palazzo am See', Originalausgabe
Etwas viel hinein gepackt
Liegt über der Familie di Vaira tatsächlich ein böser Fluch? Stella Vogt, Historikerin und ohne Job, soll innerhalb von drei Monaten eine Chronik über die Familie erstellen. Ihre Auftraggeberin Flavia di Vaira holt sie dafür von Frankfurt an den Comer See. Die beiden einzigen Angestellten der alten Dame, eine Haushälterin und ein Chauffeur, zeigen Stella überdeutlich, dass sie nicht willkommen ist. Auch Flavia di Vaira ist wenig zugänglich und reagiert gar äußerst gereizt, als Stella sie auf das Tagebuch einer jungen Frau namens Berenice anspricht, das sie zwischen den Familienunterlagen gefunden hat. Berenice kam in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zur Familie, sie wurde Zofe des Stummfilmstars Tizia, die in die Familie einheiratete, bald darauf aber ihren Mann Gaetano und dessen kleiner Sohn Aurelio aus erster Ehe verlor. Je mehr sich Stella in die Geschichte von Berenice vertieft, desto stärker verändert sich ihr Blick auf die Familie di Vaira. Die Beschäftigung mit der Chronik einer fremden Familie löst in Stella zudem den Wunsch aus, sich auf die Suche nach ihrem eigenen Vater zu machen, den sie nie kennen gelernt hatte. Hin und her gerissen zwischen ihrer klar definierten Aufgabe, dem Geheimnis um Berenice und der Fragen rund um ihren Vater, gerät Stella in einen inneren Konflikt. Der wird durch das Auftauchen des smarten Enkels von Flavia di Vaira, Matteo, nicht besser. Matteo scheint allerdings der Einzige zu sein, der sich an Stellas Stöbern in alten Familiengeheimnissen nicht stört.
Auf zwei Zeitebenen
Der Roman ist so konzipiert, dass die Leser sich auf zwei Zeitebenen bewegen. Zum einen ist da Stella, die in der Gegenwart lebt und mit ganz profanen Alltagssorgen zu kämpfen hat, wie sie heutzutage vorkommen. Zum anderen ist es das Schicksal der Familie di Vaira, das sich vor allem rund um die 20er Jahre dreht, als die Schauspielerin Tizia in die Familie einheiratet. Die Autorin Sophia Cronberg versteht es gut, den beiden Ebenen ein besonderes Gepräge zu geben. Damit kommt keinerlei Verwirrung auf, in welcher Geschichte man gerade steckt. Das ist nicht ganz selbstverständlich. Denn es ist sehr viel in den Roman hinein gepackt worden. So viel, dass der Leser da und dort inne hält und sich für einen kurzen Moment besinnen muss, was denn jetzt wer warum getan hat. Die Komplexität des Romans wird durch eine beachtliche Zahl von ausschlaggebenden Figuren verschärft. Figuren, bei deren Charakterzeichnung ein höchst unterschiedliches Muster erkennbar ist. Während die einen Figuren facettenreich ausgestaltet sind, bleiben andere eher oberflächlich. Schwierig ist die Protagonistin Stella einzustufen. Mal kommt sie dem Leser recht nahe, mal mag man über ihre Gedankengänge eher den Kopf schütteln. Obwohl vor allem die Schilderung der Vergangenheit durchaus reizvolle Aspekte hat, gibt es auch da Szenen, die die Geduld der Leser etwas strapazieren. Insbesondere die fast schon hündische Ergebenheit von Berenice gegenüber dem Stummfilmstar Tizia wirkt mit der Zeit etwas dröge und spannungslos.
Wohin will die Story?
Nicht ganz geklärt ist die Frage, was genau die Geschichte erzählen will. Dass die verschiedenen Handlungsstränge irgendwann auf einer Ebene zusammenlaufen, wird dem Leser angesichts der vielen offenen Fragen in Stellas Leben sofort klar. Auch dass mit Matteo di Vaira ein passender Mann ins Spiel gebracht wird, der Stella den Kopf verdreht. Es geht also vor allem um die Frage, wie genau die Verknüpfung ist und welchen Weg die Protagonistin gehen muss, um all die offenen Geheimnisse zu lösen. Die Autorin stellt unter Beweis, dass sie in der Lage ist, eine Geschichte spannend zu erzählen. Allerdings sind bei Der Palazzo am See da immer wieder Einbrüche zu konstatieren. Zu vieles fügt sich zu gut, zu viele Parameter offenbaren die Stoßrichtung der Entwicklung zu früh und zu direkt. So vermag sich die Geschichte nicht so richtig zu entwickeln, sie bleibt stellenweise vor allem in der Gegenwart etwas zähflüssig und der Spannungsbogen bricht manchmal leicht ein. Ohne die starke Sprache der Autorin und ihre Fähigkeit, Bilder vor dem geistigen Auge entstehen zu lassen, würde der Roman kaum über ein nett hinauskommen. So entwickelt er sich aber immerhin zu einer unterhaltsamen Urlaubslektüre. Besonders, wer mit der Gegend um den Comer See vertraut ist, wird einige schöne Minuten erleben und ins Träumen geraten. Sophia Cronberg liefert eine gut umgesetzte Schilderung der Region und lässt Fernweh aufkommen.
Sophia Cronberg, Fischer
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