Winterfeldtstraße, 2. Stock
- Marion von Schröder
- Erschienen: Januar 2014
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- Marion von Schröder, 2014, Titel: 'Winterfeldtstraße, 2. Stock', Originalausgabe
Eine bunte Wohngemeinschaft
Die goldenen 20er Jahre des letzten Jahrhunderts waren nicht für alle golden. Berlin, im Jahre 1923, das Geld ist nichts mehr wert und die Preise explodieren. Trotz allem ist Charlotte glücklich, sie ist endlich schwanger und die Zukunft rosig. Dann aber teilt die Polizei ihr mit, dass ihr Mann tot aus dem Landwehrkanal gefischt worden ist - keine Seltenheit in diesen Zeiten. Doch Charlotte glaubt nicht an Suizid -Albert war glücklich und hätte sie nie mit dem Kind alleine gelassen. Charlotte muss nun ihr Leben und die Zukunft ihres Kindes selbst in die Hand nehmen. Ihr bleibt nichts als Alberts Kamera und die große Wohnung in der Winterfeldtstraße.
Wenn die Not groß und das Geld knapp ist
Wegen ihrer fortschreitenden Schwangerschaft kann sie keine Arbeit finden, aber sie muss an Geld kommen: Also vermietet sie nach und nach die Zimmer ihrer Wohnung. So findet sich bald eine illustre Gesellschaft in der Wohnung Winterfeldtstraße im 2. Stock zusammen: ihr Bruder Gustav und sein Kumpel Heinrich, "der Lange", die sich als Kleinkriminelle durchschlagen, die Bardame Claire und der undurchsichtige Theo von Baumberg. Sie alle haben in diesen unruhigen Zeiten ihre Sorgen, aber auch Träume von einem glücklichen Leben. Unter ihnen Charlotte, die ihre Trauer überwinden und für sich und die kleine Tochter eine Zukunft schaffen will.
Die Wohngemeinschaft als Abbild der Gesellschaft
Die zusammengewürfelte Wohngemeinschaft spiegelt die Gesellschaft derer, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, wieder. Da ist Charlotte, die gefangen in ihrer Trauer um den Mann trotz allem für ihr Kind sorgen und leben muss. Da sind Gustav und Heinrich, die sich in zwielichtigen Bars Poker spielend und mit fragwürdigen Geschäften durchschlagen. Dabei träumen sie vom großen Reibach und einem ganz bodenständigen Leben. Dann ist unter ihnen auch Claire, eine alternde Bardame, die mit ihrer humorvollen und patenten Art für Charlotte zu einer Vertraute und Freundin wird. Und schließlich Theo von Baumberg, der vermeintliche Spross verarmter Gutsbesitzer, der undurchschaubar und geheimnisvoll seinen Plänen nachgeht. In diesen Plänen ist so gar kein Platz für andere oder gar ein privates Glück. Doch das Schicksal geht seine eigenen Wege.
Die Welt im Umbruch
Den kleinen und großen Alltagssorgen der Wohngemeinschaft steht die Entwicklung in Berlin und Deutschland entgegen. Das Land befindet sich im Unbruch, die Weimarer Republik müsste sich bewähren und wird doch scheitern. In Berlin sind bereits die Kämpfe zwischen den politischen Gruppen im Gange, die Sozialisten gegen die Kommunisten gegen die aufziehenden Nationalsozialisten und die Polizei sieht machtlos oder zumindest tatenlos zu. Hinzu kommen Inflation sowie Massenarbeitslosigkeit und am Horizont ziehen bereits die Schrecken der Zukunft auf. Und doch oder gerade deswegen florieren die Bars und Vergnügungsstätten für diejenigen, die Devisen oder Waren für Tauschgeschäfte haben.
Der Autorin gelingt es, diese spannende und aufregende Zeit einzufangen und den Leser mittenrein zu stellen. Da sind die kleinen Alltäglichkeiten der Wohngemeinschaft mit den persönlichen Beziehungen und Missverständnissen einerseits und andererseits der Blick auf die Stadt mit der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung. Leider kann sie den Spannungsbogen nicht durchgängig halten, so dass gewisse Längen entstehen. Diese helfen jedoch zu Atem zukommen und bilden passende Zäsuren. Die Protagonisten sind authentisch und laden zum Mitfiebern ein. Auch in ihnen zeigen sich Wandel und Veränderung als Spiegelung der Entwicklung. Am Ende des Romans kehrt der Leser aus einer aufregenden Zeit des Wandels und der Umbrüche zurück. Vielleicht mit dem Gefühl, Charlotte zum richtigen Zeitpunkt zu verlassen, denn sie weiß noch nicht, welche Schrecken ihr die Zukunft bringen wird.
Johanna Friedrich, Marion von Schröder
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