Odins Söhne
- Droemer-Knaur
- Erschienen: Januar 2015
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- Droemer-Knaur, 2015, Titel: 'Odins Söhne', Originalausgabe
Intensiver Ausflug in die letzten Kriegsmonate
Der frühere Mordkommissar Richard Oppenheimer musste untertauchen und arbeitet unter seinem neuen Namen Hermann Meier nachts bei einer Bank. Als er seine Bekannte Hilde von Strachwitz besucht, begegnet er dort deren Ehemann Erich Hauser, von dem Hilde schon seit Jahren getrennt lebt. Hauser, ein SS-Hauptsturmführer, will sich in den Westen absetzen und bittet Oppenheimer, ihm bei einem Deal zu helfen. Es geht um eine größere Menge Morphium. Oppenheimer bindet einen Bekannten aus der Berliner Unterwelt, den Schweren Ede, ein, doch bei der Übergabe auf einen Güterbahnhof erscheint plötzlich die Polizei. Der Koffer mit dem vereinbarten Silbergeld geht verloren und als Oppenheimer und ein Kumpel von Ede wenig später bei Hauser auftauchen um diesen zur Rede zu stellen, finden sie diesen ermordet und kopflos in seiner Wohnung vor. Kurz darauf wird Hilde als Tatverdächtige festgenommen, da Nachbarn sie gesehen und einen Streit mitbekommen haben. Da Hilde herausfand, dass Hauser als KZ-Arzt in Auschwitz Versuche an Menschen vorgenommen hat, hat sie als Gegnerin des Regimes ein handfestes Motiv. Die Zeit drängt, denn Hilde soll vor den Volksgerichtshof gestellt werden. Derweil rätselt Oppenheimer über einen Kettenanhänger, den er in Hausers Wohnung fand...
"Odins Söhne" setzt "Germania" kongenial fort
Schon der erste Oppenheimer-Fall Germania sorgte für Furore und wurde mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Spielte Germania im Sommer 1944, so macht Odins Söhne einen kleinen Zeitsprung. Von Januar bis März 1945 kann man gebannt verfolgen, wie sich das Leben von Oppenheimer und anderen bekannten Figuren weiterentwickelt. Oppenheimer, nach Hitlers Machtergreifung und dem Inkrafttreten des Arierparagraphen schon lange nicht mehr als Mordkommissar tätig, blieb als Jude bislang verschont, da er mit seiner arischen Frau Lisa in einer Mischehe lebte. Doch deren Schutz besteht mit zunehmendem Verfall des Reiches nicht mehr, das von ihm einst bewohnte Judenhaus steht leer. So schlägt sich Oppenheimer als "Hermann Meier", ein bekannter Spottname für Hermann Göring, mühsam durch Berlin und wird zum Volkssturm einberufen. Er bittet Hilde, die als Ärztin im Krankenhaus arbeitet, ihm eine Tauglichkeitsbescheinigung zu beschaffen, denn bei der üblichen Untersuchung der körperlichen Eignung würde er als beschnittener Jude sofort auffallen und in einem KZ landen.
"Was ist das? Es hat Silber im Haar, Gold im Mund und Blei in den Gliedern?"
"Sie sind also angeschissen gekommen? Der Volkssturm will dich holen?"
Auch sonst ist das Leben in Berlin von nackter Angst geprägt. Fast täglich drohen Fliegerangriffe, wechseln sich Vor- und Vollalarm ab. Nicht wenige Parteimitglieder überlegen offen, wie sie sterben möchten, um nicht den Russen in die Hände zu fallen. Mit hoher Eindringlichkeit schafft es Harald Gilbers, den Leser in die letzten Kriegsmonate hineinzuversetzen und an dem Schrecken dieser Zeit teilhaben zu lassen. Dazu passt die Tätigkeit von Erich Hauser, der in Rajsko, einer Außenstelle des "KL Auschwitz" furchtbare medizinische Versuche durchgeführt hat. Immerhin können einige Funktionäre mit vermeintlich harmlosen Abkürzungen wie "KL" für Konzentrationslager manche Schrecken der Zeit verdrängen. Dem Leser wird dies durch die detaillierte Schilderung der Menschenversuche Hausers jedoch nicht ermöglicht.
"Er benutzte hier zum Beispiel Gasbrandkulturen, die mit Kolibakterien versetzt sind. Alternativ verabreichte er dann Bakterien zusammen mit Holzsplittern. Bei der letzten Serie kamen dann noch Glassplitter hinzu. Wahrscheinlich wollte er damit bezwecken, dass die Infektionen den Bedingungen an der Front gleichen."
Odins Söhne bietet eine äußerst lebendige Beschreibung des Alltags, in dem die meisten Menschen längst einsehen, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen ist. Daher verhöhnen nicht wenige Berliner die Machthaber mit dem Schlager Lili Marleen in einer neuen Variante: "Unter der Laterne, vor der Reichskanzlei, / hängen alle Bonzen, der Führer hängt dabei. / Und alle Leute bleiben stehen, / sie wollen ihren Führer sehen!"
Der eingangs erwähnte Kettenanhänger, den Oppenheimer bei der Leiche findet, führt diesen auf die Spur von Odins Söhnen. Diese beziehen sich auf den Göttervater Odin und unter anderem auf die in dem nordischen Königsbuch "Codex Regius" enthaltene germanische Schöpfungsgeschichte. Auch hier stellt sich heraus, dass vieles nur Größenwahn und Mumpitz ist, doch mehr und mehr drängt die Zeit, denn Hilde soll ja vor den Volksgerichtshof gestellt werden; schließlich hat sie einen SS-Mann ermordet. Dort thront der unerbittliche Roland Freisler als Präsident.
Kenntnisreich, differenziert und packend erzählt Harald Gilbers die Geschichte seines Protagonisten Richard Oppenheimer weiter und bietet dabei ein umfassendes, intensiv erlebbares Bild der damaligen Zeit. Das Dritte Reich steht am Abgrund, dessen Ende unmittelbar bevor. Düster wie die Zeit und die Verdunklung bei den ständigen Bombenangriffen ist das Finale. "Großartig" könnte man sagen, wenn es nicht so entsetzlich tragisch wäre!
Harald Gilbers, Droemer-Knaur
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