Blut und Seide
- Droemer-Knaur
- Erschienen: Januar 2015
- 6
- Droemer-Knaur, 2015, Titel: 'Blut und Seide', Originalausgabe
Gewalt, Grausamkeit und Blutvergießen
In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wächst auf der Kauzenburg bei Kreuznach der Waisenknabe Simon von Montfort als Ziehsohn des Grafen Johann von Sponheim auf. Heinrich, der junge Bruder des Grafen, betrachtet Simon von Anfang an als Rivalen. Beide werden zu Rittern ausgebildet und über die Jahre werden sie zu erbitterten Feinden. Die Situation eskaliert, als sich Simon in Heinrichs Verlobte Christina verliebt, was auch erwidert wird. Doch Christina muss die arrangierte Ehe mit Heinrich eingehen und lernt als seine Ehefrau die Hölle auf Erden kennen.
Realität statt Mittelalterromantik
Klappentext und Cover suggerieren zwar eine genretypische Liebesgeschichte vor historischer Kulisse, doch dieser Roman entpuppt sich recht schnell als einer, der sich vom üblichen Mainstream abhebt. Das, was die Autorin ihren Lesern hier präsentiert, ist keine idealisierende Mittelalterstory, sondern ein opulentes Sittengemälde einer Zeit, die von Gewalt und Krieg, Unrecht und Intrigen geprägt war. Das Fehdewesen und regionale Kleinkriege spielen eine große Rolle, genauso wie die Auseinandersetzungen zwischen dem römisch-deutschen König Rudolf von Habsburg und dem böhmischen König Ottokar, die in blutige Schlachten münden, deren Gemetzel die Autorin genauso detailliert beschreibt wie das unsägliche Leid, das diese Kriege über das einfache Volk bringen. In diesen unruhigen Zeiten, in denen ein Menschenleben nicht viel galt, war das Leben ein täglicher Kampf und die Autorin räumt gründlich mit der romantischen Vorstellung des edlen und ehrenvollen Rittertums auf, das es so wohl nur in Mythen und Heldenepen gegeben haben wird.
Simon von Montfort, sein treuer Diener Michel und Christina sowie deren Gegenspieler Heinrich sind die handlungstragenden Figuren dieses Romans. Ihre Lebenswege sind der rote Faden, der sich durch die komplexe Handlung zieht. Die berührende Liebesgeschichte zwischen Simon und Christina ist dezent erzählt und dominiert die Handlung nicht, sondern tritt immer wieder in den Hintergrund, sie ist erfreulich kitschfrei und kommt völlig ohne überzuckerte Herz-Schmerz-Prosa aus.
Der einnehmende Erzählstil der Autorin nimmt den Leser vom ersten Augenblick an gefangen, und obwohl sie nah an der Realität scheibt, gelingt ihr dies auf spannende und unterhaltsame Art und sie stellt entgegen landläufiger Meinung unter Beweis, dass ein historischer Roman, der nah an den Fakten bleibt, den Leser bestens unterhalten kann. Geschickt verwebt Marita Spang Historie und Fiktion, mit Fingerspitzengefühl nimmt sie hier und da kleine Korrekturen zugunsten der Dramaturgie vor. Blut und Seide ist eine bis ins kleinste Detail durchdachte Geschichte, die nicht vorhersehbar ist und den Leser immer wieder mit interessanten Wendungen überrascht. Sie vermittelt ein facettenreiches Bild einer von Gewalt geprägten Zeit, gepaart mit Einblicken in Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuche bis hin zu Kleidung und Speisen etc.
Charakterzeichnung par excellence
Einen historischen Roman mit so ausgefeilten Figuren wie hier findet man selten und es spielt keine Rolle, ob es sich dabei um Hauptcharaktere oder Nebenfiguren handelt. Schwarz-Weiß-Malerei sucht man hier vergeblich. Gerade die Hauptfiguren Simon, Michel und Christina sind keine unfehlbaren Helden. Sie agieren zutiefst menschlich, haben charakterliche Stärken und Schwächen, sie treffen falsche Entscheidungen, dürfen Fehler machen und sich weiterentwickeln. Selbst der psychopatische Bösewicht Heinrich bekommt Konturen und wird in sämtliche Winkel seines sadistischen Wesens ausgeleuchtet. Dass die Autorin Psychologin ist, dürfte bei der Figurenzeichnung keine unwesentliche Rolle gespielt haben.
So ist auch Christina keine dieser unfehlbaren Jetztzeit-Barbies auf Mittelaltertrip, sondern die Autorin hat mit ihr eine starke weibliche Hauptfigur geschaffen, die sich in den Grenzen ihrer Zeit bewegt. In dieser Zeit, als Frauen zeitlebens unter der Vormundschaft männlicher Familienmitglieder standen, waren ihre rechtlichen Möglichkeiten stark eingeschränkt und das wird bei Christina besonders deutlich. Gewalt gegen Frauen war ständig präsent, brutale Vergewaltigungen und Schändungen waren an der Tagesordnung; hier nimmt die Autorin kein Blatt vor den Mund, sondern nennt die Dinge beim Namen. Und das sind beileibe keine zum Wohle der Dramaturgie getunten Szenen in bester Wanderhuren-Manier, sondern nüchtern erzählte Fakten, die für sich sprechen und beim Leser Betroffenheit und Wut auslösen.
Sprachliche Qualität
Hervorzuheben ist der sprachlich ansprechende Erzählstil der Autorin. Sie begeht nicht wie viele ihrer Autorenkollegen den Fehler, ihren Protagonisten Begriffe und Redewendungen der Gegenwart in den Mund zu legen. Gerade die Dialoge sind in einem herrlich antiquierten Deutsch gehalten und es ist ein Genuss, diese zu lesen. Dass der Roman damit eine weitere Aufwertung erfährt, liegt auf der Hand.
Ausführlicher Anhang und liebloses Cover
Der Roman wurde vom Verlag mit einem umfangreichen Anhang ausgestattet, in dem sich neben zwei Landkarten, einem Personenverzeichnis und einem Glossar auch eine Auflistung weiterführender Literatur befindet sowie ein ausführliches Nachwort der Autorin, in dem sie auf die wesentlichen Unterschiede zwischen Wahrheit und Fiktion eingeht. Bedauerlich ist jedoch, dass dieser herausragende Roman mit einem jener genretypischen 08/15-Einheitscover bestraft wird, dessen Titelbild mit dem Ausschnitt des 1841 von Joseph Stieler gemalten Porträts der Griechin Katharina Botzaris unpassender nicht sein könnte.
Marita Spang, Droemer-Knaur
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