Die Schrift des Todes
- Fischer
- Erschienen: Januar 2015
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- Fischer, 2014, Titel: 'Lamentation', Originalausgabe
Suche nach einem verschollenen Manuskript
Im Sommer 1546 neigt sich die Herrschaft König Heinrichs VIII. von England ihrem Ende zu. Obwohl es Hochverrat ist, den Tod des Königs vorherzusagen, ist jedem am Hofe klar, dass Heinrich VIII. nicht mehr lange zu leben hat. Daher entbrennt hinter den Kulissen ein Machtkampf zwischen Katholiken und Protestanten, wer in der Zukunft den Regenten für den noch nicht einmal neunjährigen Kronprinzen Edward stellen wird.
Zunächst scheinen die Katholiken die Gewinner zu sein und in London werden Protestanten gnadenlos verfolgt, wenn auch nur der Schatten des Verdachts der Ketzerei auf sie fällt und überall brennen Scheiterhaufen. Doch nachdem es ihnen nicht gelungen ist, die protestantische Königin Catherine Parr zu stürzen, wendet sich das Blatt langsam zu Gunsten der Reformer. Doch noch ist die Königin nicht sicher, sie hat nämlich ein Buch mit dem Titel "Die Klage eines Sünders" (im Original "Lamentation of a sinner") verfasst, das zwar keine Ketzerei äußert, aber manchmal hart an der Grenze selbiger ist. Aus Furcht vor den Konsequenzen verbirgt sie das Manuskript in ihrer persönlichen Truhe - und aus dieser wurde es nun gestohlen. In ihrer Verzweiflung wendet sich Catherine Parr an den Anwalt Matthew Shardlake, der ihr schon ein paar Mal geholfen hat und nun dieses Manuskript wiederbeschaffen soll. Denn wenn es veröffentlicht werden sollte, müsste die Königin um ihr Leben fürchten. Denn mehr noch als der Inhalt würde der König die Tatsache, dass sie es vor ihm verborgen hatte, als Illoyalität ansehen - und darauf reagiert er sehr empfindlich.
Die Schrift des Todes ist nunmehr der sechste Fall für Matthew Shardlake und er wird erneut gegen seine Willen in die Ränke der Mächtigen verwickelt, auch wenn er sich nach seinen letzten Erfahrungen eigentlich geschworen hatte, genau das nicht mehr geschehen zu lassen. Doch seine Loyalität und seine Verehrung der Königin gegenüber gehen zu tief, als dass er sie in ihrer Verzweiflung im Stich lassen könnte.
Wie glaubt man richtig?
C. J. Sansom gelingt es auch diesmal auf treffliche Art und Weise, die Tudor-Zeit lebendig werden zu lassen, man fühlt sich als Leser wahrhaftig 470 Jahre zurückversetzt, so plastisch, lebendig und atmosphärisch dicht gewebt erzählt der Autor aus dieser Zeit. Wie bereits in den vorherigen Büchern nehmen die historischen Begebenheiten viel Raum ein. Auch diesmal befasst sich Sansom mit den religiösen Schwierigkeiten, denen sich die Leute damals ausgesetzt sahen. In diesen Dingen war Heinrich VIII. nämlich ausgesprochen wankelmütig und schwankte zwischen der katholischen und der reformatorischen Sicht hin und her. Als Oberhaupt der englischen Kirche legte er die Glaubensgrundsätze fest und sein Volk hatte zu folgen. So konnte es durchaus passieren, dass plötzlich etwas als Ketzerei galt, was bisher geduldet worden war - mit unangenehmen Folgen für so manchen.
Shardlake taucht bei seinen Ermittlungen tief in die religiösen Kreise ein - vor allem in die radikalen. So erfährt der Leser einiges über die verbotenen, protestantischen Sekten wie beispielsweise die Sakramentarier, die die Wandlung des Brots und des Weins in den Leib und das Blut Jesu während der Messe anzweifeln, oder die Wiedertäufer, die eine Taufe nur im Erwachsenenalter anerkennen und teilweise eine Gesellschaft nach Art der ersten Christen anstreben, in der alles Gut gemeinsam und gleich aufgeteilt wird. Die Angst der Leute, auch nur im Entferntesten mit diesen Sekten in Verbindung gebracht zu werden, ist beim Lesen deutlich spürbar, denn nur wenige haben den Mut, für oft nur im Detail abweichende Glaubensgrundsätze ihr Leben zu riskieren.
Spannende Fälle mit altbekannten und neuen Akteuren
Natürlich nimmt auch der Krimiteil gebührenden Raum ein und Shardlake schafft es, seinen Spannungsbogen kontinuierlich aufrecht zu erhalten - mit mal steilerer und mal flacherer Steigung. Sansom baut geschickt mehrere Wendungen ein, die den Verlauf der Geschichte unvorhersehbar machen und zum Miträtseln anregen. Zudem kann man sich nie sicher sein, wer nun eigentlich Freund und wer Feind ist, denn politische Notwendigkeiten gebären manchmal seltsame Allianzen. Nebenbei hat Shardlake auch noch einen weiteren Fall zweier streitender Geschwister zu bewältigen, so dass es nie langweilig wird. Doch sollte der Leser auf jeden Fall ein grundsätzliches Interesse an der Geschichte der Tudor-Zeit mitbringen, denn die Erläuterungen nehmen viel Raum ein, so dass Freunde eines durchgehend straff erzählten Krimis sich dadurch gelangweilt fühlen könnten.
Kenner dieser Krimireihe werden auf bekannte und liebgewonnene Figuren treffen, die sich über die Reihe hinweg deutlich entwickelt haben. Matthew Shardlake selbst ist mittlerweile sehr desillusioniert geworden, was Religion, die Geschehnisse am Hof und manchmal sogar das Leben selbst angeht. Seine melancholische und zweifelnde Art sorgt für eine düstere Grundstimmung, die der Geschichte aber hervorragend Rechnung trägt. Sein Assistent Barak hingegen ist nun ein gesetzter Familienvater geworden, den aber die Abenteuerlust durchaus wieder packen kann - nicht unbedingt zu seinem Vorteil.
Sansom versteht es, seine Figuren treffend zu charakterisieren, ohne dafür viele Worte zu gebrauchen. Es sind die kleinen Details, die ein plastisches Bild vor den Augen der Leser erstehen lassen und die die Entwicklung der einzelnen Figuren innerhalb der Geschichte kennzeichnen. Zum Verständnis dieses Buchs ist es nicht zwingend notwendig, die Vorgänger gelesen zu haben, aber es erhöht das Lesevergnügen nochmal, wenn man es getan hat.
Die Schrift des Todes ist erneut ein spannender und fesselnder Krimi, der tiefe Einblicke in die Tudor-Zeit gewährt, die damalige religiöse Problematik und die damit verbunden Intrigen und Machspiele lesenswert darstellt. Schön, dass ein Autor auch über sechs Bücher hinweg seinen hohen Standard halten kann.
C. J. Sansom, Fischer
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