Rattenfängerin

  • Droemer-Knaur
  • Erschienen: Januar 2016
  • 1
  • Droemer-Knaur, 2016, Titel: 'Rattenfängerin', Originalausgabe
Rattenfängerin
Rattenfängerin
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Yvonne Schulze
851001

Histo-Couch Rezension vonMär 2016

Die Rattenfängerin von Hamburg

Rattenfängerin ist der dritte Roman der Autorin Claudia Weiss mit den sympathischen Protagonisten Hinrich Wrangel und seiner Frau Ruth. Es ist aber nicht zwingend notwendig, die Vorgängerromane zu kennen.

Im Jahr 1713 leben Hinrich und Ruth Wrangel gemeinsam mit ihren Kindern in Hamburg, doch das Leben ist nicht einfach im 13. Jahr des Großen Nordischen Krieges. Während sich Hamburg bei den Schweden freikaufen kann, wird die damals dänische Stadt Altona in Schutt und Asche gelegt. Viele Altonaer fliehen vor den marodierenden Schweden in die Hansestadt. Doch Hamburg hat noch ein ganz anderes Problem, denn in der Stadt ist die Pest ausgebrochen. Noch versuchen die Stadtoberen, dies geheim zu halten, doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ganze Stadt abgeriegelt und unter Quarantäne gestellt wird. In der daraufhin einsetzenden Hungersnot fällt es zuerst gar nicht auf, dass immer mehr Kinder verschwinden und selbst als sich die Verdachtsmomente häufen, dass hier etwas nicht stimmt, hat niemand wirklich Zeit und Interesse, dem Verschwinden der Kinder auf den Grund zu gehen. Erst als Grete, die Tochter von Pastor Claussen, verschwindet, kommen die Dinge ins Rollen und es werden ernsthafte Nachforschungen angestellt.

Einstieg mit Hindernissen

Doch bevor es soweit ist, führt der Prolog den Leser erst einmal zurück in das Jahr 1706. Im Kerker der Burg Dringenberg bei Paderborn sitzt die Pietistin Eva Brachfeld und wartet auf ihre Hinrichtung, denn sie ist wegen Häresie zum Tode verurteilt worden. Gemeinsam mit ihrem Mann Leander gelingt ihr aber die Flucht und beide verschwinden danach erst einmal von der Bildfläche, denn die Handlung springt im ersten Kapitel nach Hamburg in das Jahr 1713. Im Haus des Grafen Vellingk treffen sich Gesandte großer Herrscherhäuser und Honorationen der Stadt Hamburg und der Leser bekommt erst einmal ein Briefing zur derzeitigen politischen Lage. Hier ist Konzentration gefragt, zumal auch eine Vielzahl unterschiedlichster Personen auftritt,  die erst einmal zugeordnet werden will, denn ein Personenregister, das hierbei sicher hilfreich gewesen wäre, ist leider nicht vorhanden.   

Der Einstieg in diesen Roman gestaltet sich etwas holprig und der Leser weiß lange Zeit nicht so recht, wo die Handlung eigentlich hinsteuert. Da braucht es schon gute 100 Seiten, bis sich endlich ein Muster abzeichnet und für den Leser die Richtung, in die es hier gehen soll, nach und nach greifbar wird. Mit dem Brand von Altona betritt auch Eva Brachfeld wieder die Bühne des Geschehens und es kommt zur folgenschweren Begegnung zwischen Eva und Ruth.   

Gelungenes Zusammenspiel von Historie und Fiktion

Als Historikerin weiß die Autorin natürlich, worüber sie hier schreibt und sie zeichnet ein kompaktes Bild jener Zeit mit all ihren politischen Verwicklungen und religiösen Machenschaften. Geschickt verwebt sie Historie und Fiktion zu einer spannenden Geschichte, auch wenn die Spannung anfangs noch etwas auf sich warten lässt. Es ist eine Vielzahl unterschiedlichster Themen, die Claudia Weiss hier verarbeitet, denn neben den Ereignissen rund um den Großen Nordischen Krieg und die Pestepidemie in Hamburg kommen auch solche Themen zum Zuge, die weniger bekannt sind, wie z. B. die perfiden Machenschaften rund um die sogenannten Engelskinder. Der Leser bekommt Geschichtsunterricht auf unterhaltsame Weise geboten, auch wenn der Unterhaltungsaspekt zugegebenermaßen sicher noch ausbaufähig ist, denn wer die Autorin kennt, der weiß, dass sie einen nüchternen und sachlichen Erzählstil bevorzugt, der hin und wieder ins lehrbuchhafte abdriftet. Damit haben hauptsächlich die Leser ein Problem, denen historische Romane nicht dramatisch und emotional genug sein können und die überdies auch noch eine gehörige Dosis Herz-Schmerz-Kitsch brauchen, die hier aber dankenswerter Weise komplett fehlt. Andere Leser wiederum werden den zurückgenommenen Erzählstil der Autorin schätzen, der die Ereignisse für sich sprechen lässt und die Dramatik der Phantasie des Lesers überlässt.

Neben den beiden Haupthandlungssträngen rund um die Wrangels einerseits und Eva Brachfeld andererseits, spielt auch der Handlungsstrang um den Gesandten Louis Abensur und den undurchsichtigen Meister Redneal eine nicht unwesentliche Rolle. Aufmerksame Leser werden die von der Autorin geschickt in die Handlung einbauten Hinweise bemerken, die zu der Person führen, die hinter den Kindesentführungen steckt. 

Die Figuren sind allesamt gut herausgearbeitet, auch wenn die eine oder andere Nebenfigur vielleicht etwas zu schablonenhaft geraten ist, worüber man aber getrost hinwegsehen kann.  Hinrich Wrangel und seine Frau Ruth sind natürlich die Sympathieträger in dieser Geschichte, die mit ihrer Geradlinigkeit und Herzlichkeit den Gegenpol zu den vielen negativen Ereignissen bilden. Besonders Ruth mit ihrer klugen und zupackenden Art verkörpert den Typ der starken Frau, ohne dabei in den heroischen oder romantisch-verklärten Heldinnenstatus zu rutschen.

Rattenfängerin wird besonders die Leser ansprechen, die gut recherchierte historische Romane bevorzugen, die ein möglichst authentisches Bild ihrer Zeit vermitteln und wo historische Ereignissen nicht nur als Staffage für die Heldentaten der Protagonisten dienen, sondern selbst eine wichtige Rolle spielen und gemeinsam mit der fiktiven Handlung eine gelungene Symbiose eingehen. Das ist Claudia Weiss mit Rattenfängerin sehr gut gelungen und der Roman hebt sich damit wohltuend aus dem massenkonformen Histotainment-Einerlei hervor. Ein ausführliches Nachwort mit vielen interessanten Zusatzinformationen sowie ein erklärendes Glossar runden diesen lesenswerten historischen Roman ab.  

Rattenfängerin

Claudia Weiss, Droemer-Knaur

Rattenfängerin

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