Die Toten von St. Petersburg
- Heyne
- Erschienen: Januar 2010
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- Heyne, 2003, Titel: 'The White Russian', Originalausgabe
Politische Hochspannung am Vorabend der Russischen Revolution
Die Neujahrsnacht des Jahres 1917 ist klirrend kalt in St. Petersburg. Und doch wird es dem St. Petersburger Chefermittler Sandro Ruzki, der jüngst erst aus der Verbannung zurückgekehrt ist, noch ein wenig kälter, als er die Leichen auf dem zugefrorenen Fluss vor dem Zarenpalast entdeckt. Ein junger Mann, grausam zugerichtet, eine junge Frau, ebenfalls erstochen. Einen Hinweis auf die Identität der Opfer gibt es zunächst nicht. Doch dann stoßen Sandro und sein Freund und Kollege Pawel auf eine Spur, die sie in das Umfeld der Zarenfamilie führt - und das ist in diesen Zeiten ein gefährliches Umfeld, vor allem, wenn sich auch die Geheimpolizei für die Morde interessiert. Sandro begibt sich in größte Gefahr, doch er kann und wird nicht locker lassen ...
Revolutinäre Zeiten bieten immer eine gute Umgebung für Thriller und Krimis - die Ordnung bricht zusammen und die drohende Eskalation erschwert die Ermittlungen und belastet die Atmosphäre. Umso überraschender, dass das vorrevolutionäre Rußland - konkret St. Petersburg, damals noch Petrograd - eher selten Schauplatz solcher Geschichten ist. Tom Bradby, der bereits mit Der Gott der Dunkelheit bewiesen hat, dass er ein gutes Gespür für Thriller in historischem Gewand hat, gelingt es auch hier mit dessen Vorgänger, eine spannende Krimihandlung mit den historischen Gegebenheiten und dem politischen Drama zu verbinden.
Eine Gesellschaft am Abgrund
Nach Jahrhunderten der Zarenherrschaft steht das politische und gesellschaftliche System Rußlands kurz vor dem Kollaps. Der Krieg, den keiner mehr will, zehrt die Soldaten an der Front auf, zu Hause hungert die Zivilbevölkerung, während die Zarenfamilie von Skandalen erschüttert wird. Denkbar schlechte Umstände für den frisch aus Sibirien zurückgekehrten Sandro, um Morde aufzuklären. Während die einfache Bevölkerung andere Sorgen hat, scheint die Oberschicht nur noch davon besessen, ein totes politisches System am Leben zu erhalten. Dementsprechend groß sind die Sabotageversuche gegen den Ermittler, als dieser sich auch nicht scheut, in politisch sensible Bereiche vorzudringen.
Die Darstellung des kollabierenden Rußlands gelingt dem Autor außergewöhnlich gut - mit seinem feinen Gespür für historische und politische Zusammenhänge gelingt es ihm, dem Leser ein Bild von dem Chaos zu vermitteln, das zu Beginn des Jahres 1917 in Rußland und vor allem in St. Petersburg geherrscht haben muss. Und so ist die Historie in diesem Krimi bzw. Thriller weit mehr als nur schmückendes Beiwerk: sie bestimmt direkt, wohin sich die Geschichte entwickelt und welche Gegenspieler auf den Plan treten. Die perfekte Mischung aus Fiktion und Historie macht diesen Roman besonders lesenswert.
Eine spannende Geschichte mit dreidimensionalen Charakteren
Neben dem historischen Aspekt weiß die Geschichte auch als Politthriller zu überzeugen. Neben der polizeilichen Ermittlung stehen vor allem die politischen Hintergründe der Taten und die Einflussnahme verschiedener staatlicher Stellen im Vordergrund. Der zaristische Geheimdienst als großer Feind mag dem Leser ansatzweise vermitteln, wie groß die Angst im damaligen Rußland gewesen sein muss.
Inmitten dieses sehr spannenden Settings hat der Autor mit Sandro einen Protagonisten erschaffen, der alles andere als perfekt ist, und dem Leser vielleicht gerade deswegen ans Herz wächst. Gezeichnet von seiner Vergangenheit und belastet mit familiären Problemen wirkt er ebenso verbissen wie leidenschaftlich in seinem Versuch, die Taten aufzuklären. Auch die Nebenfiguren - von Sandros Freund Pawel über die Familie des Ermittlers bis hin zu den Feinden in Gestalt der Ochrana - beeindrucken durch ihre Lebendigkeit und ihre Dreidimensionalität. Die Toten von St. Petersburg ist eine Geschichte, die der Leser nicht so schnell vergessen wird und als historischer Thriller rundum empfehlenswert!
Tom Bradby, Heyne
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