Die Schönheitskönigin von Jerusalem

  • Aufbau
  • Erschienen: Januar 2016
  • 2
  • Aufbau, 2013, Titel: 'Malkat Ha-Yofi Shel Yerushalayim', Originalausgabe
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Annette Gloser
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Histo-Couch Rezension vonMär 2016

Zwischen Brüsten und Bauch dort, wo mein Herz sitzt

Dieser Roman erzählt die Geschichte der Familie Ermoza vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Familie Ermoza ist gut situiert und seit hunderten von Jahren in Jerusalem ansässig. Eine sephardische Familie, die einst aus Spanien vertrieben wurde und sich kurz danach im Heiligen Land ansiedelte. Aber auf den Frauen der Familie scheint ein Fluch zu lasten. Sie können keine Liebe geben, sie können auch selbst keine Liebe erfahren. Immer wieder heiraten die Ermoza-Männer Frauen, die sie nicht lieben. Ihren Traditionen zutiefst verbunden entscheiden sie sich stets aufs Neue gegen ihre Gefühle und für die von den Eltern und der Gemeinde auferlegte Pflicht. Und so ist die Familie zwar hoch geachtet, aber niemand ist wirklich glücklich. Zwietracht und Kälte bestimmen den Alltag, vergiften das Leben.

Gabriela jedoch will nach dem Tod ihrer Mutter die Geheimnisse der Familie erfahren. Sie ist eine moderne junge Frau im modernen Israel, sie will anders leben als die Frauen vor ihr. Sie macht sich auf die Suche nach Menschen, die ihre Fragen beantworten können, die ihr helfen können, das eigene Glück zu finden.

Liebe, Pflicht und Tradition                                                                                      

Sarit YishaiLevi hat hier einen Roman geschrieben, der vieles ist: Familiensaga, Genrebild, Chronik eines Landes. Doch es bleibt egal, wie man es nennt: Dies ist ein Roman voller Leben und Gefühle. Wenn es um Israel geht, so sind hierzulande vor allem die Einwanderungsgeschichten aus den Jahren bis 1950 bekannt, meist Geschichten der ashkenasischen Juden aus Mittel- und Osteuropa vor dem Hintergrund von Verfolgung und Vernichtung. Die Schönheitskönigin von Jerusalem hat einen völlig anderen Fokus. Eine seit vielen hundert Jahren in Jerusalem ansässige Familie, Sephardim, eng verhaftet den althergebrachten Traditionen, voll Aberglauben und tiefer Religiosität. Hier wird nicht jiddisch gesprochen sondern spaniolisch, hier gibt es am Sabbat nicht Tscholent sondern Chamin. Die Männer sind Kaufleute. Die Frauen sind tüchtige Hausfrauen, den Männern gehorsam. Von Generation zu Generation setzt sich das Unrecht fort, das den Frauen der Familie angetan wird und sie in ein liebeleeres Leben zwingt. Erst die jüngere Generation wagt ein Aufbegehren gegen dieses Schicksal und nimmt andererseits doch stille Verzweiflung und Ergebenheit in das Schicksal in Kauf.

Die schöne Luna ist dabei das verbindende Glied zwischen den Generationen, ihr Schicksal erregt die Gemüter und gibt den Anstoß zur Veränderung. Anfänglich ist es Lunas Tochter Gabriela, die nach Antworten sucht, sich auch nach dem Tod der Mutter nicht mit ihr versöhnen kann. Frauen der Verwandtschaft erzählen Gabriela aus der Familiengeschichte. Allmählich jedoch wandelt sich der Erzählstil und ehe man es als Leser eigentlich bemerkt, ist man mitten hinein getaucht in diese Familienchronik. Jedes Familienmitglied kommt mit seinen Gedanken selbst zu Wort, schildert ein Stück der Geschichte. Dies gestattet dem Leser, immer wieder die Perspektive zu wechseln, jeden einzelnen Protagonisten genau kennen zu lernen. Die Charaktere werden behutsam aufgebaut, sind ausgesprochen schillernd und vielschichtig gestaltet und am Ende gibt es keinen "Bösen" sondern Menschen mit ihren ganz eigenen Wünschen und Gefühlen.

Eine Chronik Israels

Die Ermozas sind eine unpolitische Familie. Nie drängen sich die politischen Ereignisse um sie herum in den Vordergrund. Und doch sind sie zunächst Bewohner Palästinas, werden dann Israelis, und sie bleiben nicht unberührt von dem, was um sie herum geschieht. Sei es die Besatzung durch die Türken, sei es die Besatzung durch die Engländer, die Aktionen von Etzel, Lechi oder Hagana, die Staatsgründung, die Kriege... Immer wieder wird auch die Familie Ermoza damit konfrontiert. Der Leser bekommt so jedoch einen Abriss der Geschichte Palästinas und Israels, kann sich die schwierigen Situationen vorstellen, in denen die Protagonisten sich bewegen müssen. Immer wieder greift die Politik in das Leben der Familie ein, verändert Lebenswege, zerstört Träume, schafft neue Perspektiven. Auch die komplizierten Beziehungen zwischen Ashkenasim und Sephardim tauchen immer wieder einmal auf, spenden Konfliktstoff und treiben die Handlung voran. Für uns Europäer erstaunlich weit weg ist jedoch im Leben der Ermozas die Shoah, die in ihrem Leben praktisch keine Rolle spielt.

In diesem Roman fällt die Spannung nie ab und es fällt schwer, ihn zur Seite zu legen um sich anderen Dingen zu widmen.

Eine großartige Geschichte

Die Schönheitskönigin von Jerusalem ist eine atemberaubende Geschichte über Liebe, Pflichtgefühl und Tradition, über das Leben ohne Liebe, über Rache, Vergeltung und die Kraft, sich aus diesem Kreis zu befreien. Der Aufbau Verlag hat wieder einmal eine ganz besondere Perle aus dem Meer der Literatur gefischt. Danke dafür!  Es gibt kein Nachwort, aber es lohnt sich, auch die Danksagungen der Autorin am Ende des Romans einmal zu überfliegen. Man erfährt daraus viel über Sarit Yishai-Levi und darüber, wie der Roman entstanden ist.

Dieser Roman ist anspruchsvoll, spannend und ergreifend. Er ist große Literatur. Und ein solches Buch sollte man sich nicht entgehen lassen.

Die Schönheitskönigin von Jerusalem

Sarit Yishai-Levi, Aufbau

Die Schönheitskönigin von Jerusalem

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