Der König der Schelme
- Lübbe
- Erschienen: Januar 2016
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- Lübbe, 2014, Titel: 'Joujou', Originalausgabe
Die große Geschichte eines kleinen Mannes
Józef Boruwlawski ist etwas ganz besonderes. Das liegt nicht daran, dass er 1739 im polnischen Halicz geboren wurde, dass seine Eltern arm waren oder dass er eines von sechs Geschwistern war. Das Besondere an ihm ist, dass er ganz besonders klein ist. Er ist nicht missgestaltet oder ein Gnom oder Zwerg, sondern einfach nur ein kleiner Mensch. Klein, das bedeutet, dass er mit 30 Jahren seine Endgröße von 99 Zentimetern erreichen wird.
Da die Eltern nicht viel Geld haben, geben sie Józef zu Karolina Raczynskaja, der Starostin von Caroliz, als er neun Jahre alt ist. Hier bekommt er zum ersten Mal eine gesellschaftliche Erziehung, allerdings betrachtet die Starostin ihn mehr als Spielzeug, als Ausstellungsstück zum Angeben. Da ist er nur fünfzig Zentimeter groß.
In den nächsten fünf Jahren ändert sich für ihn nicht viel, bis ihn eine Freundin der Starostin entdeckt und sie ihn wiederum mit sich nimmt. Von nun an eröffnen sich ihm neue Welten, er wird an die europäische Höfe geführt, erfreut die Hoheiten durch seine Anwesenheit, seinen reizenden Konversationsstil und durch sein Spiel auf der Violine. Doch so hoch auch der Aufstieg ist, so tief folgt der Fall. Irgendwann ist er bekannt und uninteressant, und dann ist da noch die Liebe. Mit der Zeit will Józef unbedingt heiraten, und so verliebt er sich in Isaline Barboutan, die wunderschön ist und niemals heiraten will. Da wird Józef sterbenskrank...
Eine wahre Geschichte
Die französische Schriftstellerin Eve de Castro hat mit Der König der Schelme einen eindrücklichen Roman über eine Figur aus der Aufklärung geschrieben, die es wirklich gegeben hat. Józef BoruwBawski, genannt "Joujou", wurde entgegen offizieller Prognosen älter als 20 Jahre, nämlich 98 Jahre und hinterliess eine Autobiografie, auf die sich der Roman im Wesentlichen stützt. Die Autorin erzählt dabei mit koketter Sprache, die eine Freude zu lesen ist, und hier sei gleich ein Lob an die Übersetzerin Ulrike Werner-Richter ausgesprochen. So liest man gerne Romane.
Dabei hat es Józef gerade in seiner Kindheit nicht leicht. Die Eltern geben ihn weg, damit er es besser hat als sie und sie auch selber besser leben können. Wehmütig denkt er manchmal an seine Geschwister zurück, von denen zumindest eine jüngere Schwester ebenso klein ist wie er. Bei der Satrostin hat er zwar ein besseres Leben, allerdings betrachtet sie ihn nicht als Kind oder gar Menschen, sondern als Spielzeug, setzt ihn in ein Regal und spielt mit ihm, zeigt ihn ihren Freundinnen herum und nimmt ihn als Menschen nicht ernst. Als sich Aleksander Graf Tarnow anschickt, das Herz der Starostin zu erobern, nutzt er Józef als Amors Bote. Immerhin erhört sie den Grafen und es kommt zu einer prunkvollen Hochzeit.
Ein Spielzeug
Als die Starostin schwanger wird, redet ihr eine Freundin ein, dass es besser wäre, ihr Spielzeug wegzugeben, damit es nicht eifersüchtig wird, und so kommt Józef zu seiner neuen Gönnerin, der Gräfin Humieska. Nun beginnt eine bessere Zeit für Józef, nimmt sie ihn doch mit an die Höfe Europas und zeigt ihn überall herum. Zu dieser Zeit macht man das gerne, immerhin war auch ein paar Jahre eine weltbekannte Musikerfamilie aus Salzburg mit ihrem Wunderkind unterwegs.
Neben vielen Persönlichkeiten lernt der Leser viel über das Leben an sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts, die Befindlichkeiten der Möchtegern-Adeligen untereinander und im Bezug auf Józef im Besonderen. Dabei beobachtet die Autorin sehr genau und schafft es, jede Hofschranze mit ein paar wenigen Worten treffend zu charakterisieren, dass man gleich ein gutes Bild vor Augen hat. Sie erfasst gut die großen und die kleinen Dinge, die das Leben erst interessant machen, und gerade in dieser Zeit sind die kleinen Dinge manchmal entscheidender als die großen. Was groß ist, wird klein, was klein ist, wird groß, und das in jeder Beziehung.
Mit viel Delikatesse
Dass Józef schließlich doch heiratet und gar Vater wird, ist da nur konsequent. Doch seine Ehe ist nicht unbedingt glücklich, auch wenn es scheinbar egal ist, dass er klein ist und Isaline normalwüchsig. Sie bekommen eine Tochter, normalwüchsig, was die größte Befürchtung Isalines war, doch droht sich die Geschichte zu wiederholen, als sich Józef bereiterklärt, sie wegzugeben, damit sie besser aufwachsen kann als er. Von nun an wird das Leben mit Isaline noch schwieriger als sowieso schon. Die Beziehung der beiden ist ab dem Zeitpunkt des Kennenlernens ein zentraler Punkt im Buch, mit Höhen und Tiefen, aber immer ist man auf Józefs Seite und möchte der Gattin gerne mal die Meinung sagen.
Eve de Castros Porträt von Józef Boruwlawski ist zugleich ein Porträt Europas zur Zeit der Aufklärung. Mit viel sprachlicher Delikatesse führt sie den Leser an erlesene Schauplätze und vergisst dabei aber ihre Protagonisten nicht, neben Józef natürlich Isaline und eine kleine, mit der Zeit aufgebaute und vertraute Freundesschar. Man wird in eine Zeit versetzt, die einiges zu bieten hatte, was das Leben und die Gesellschaft angeht. Dies wird von der Autorin hervorragend erfasst und sprachlich umgesetzt. Ihre Dialoge sind voll Leben und teilweise köstlich zu lesen, mit alle den kleinen Intrigen und nicht ernst gemeinten Schmeicheleien. Auch wenn der Roman nach hinten etwas an Tempo verliert, ist er doch flott zu lesen und bietet erfreuliche Unterhaltung.
Ein sinnvolles Personenverzeichnis rundet einen Roman ab, der schon durch sein Cover punkten kann, hat es doch wenigstens auch einmal etwas mit dem Inhalt zu tun, im Gegensatz zu vielen anderen des Genres. Der König der Schelme ist eine freudige Ausnahme im Einerlei der heute den Markt überströmenden historischen Romane. Das Genre wird ja immer wieder totgesagt, aber Romane wie dieser belegen das Gegenteil und die Tatsache, dass es viele Autoren gibt, die nicht immer dieselbe Geschichte noch einmal schreiben, sondern dass sich in der Vergangenheit immer noch viel Neues entdecken lässt. Und sei es nur ein kleiner Mann wie Józef Boruwlawski. Hervorragend.
Eve de Castro, Lübbe
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