Die Glasmacherin

  • Emons
  • Erschienen: Januar 2016
  • 2
  • Emons, 2016, Titel: 'Die Glasmacherin', Originalausgabe
Die Glasmacherin
Die Glasmacherin
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Yvonne Schulze
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Histo-Couch Rezension vonSep 2016

Von Glasbrennern, Klosterbrüdern, ledigen Müttern und Bösewichten

Im Schwarzwald zu Beginn des 18. Jahrhunderts lebt in einem Glasmacherdorf Marie, die Tochter des Glasvogts. Ihr Verhältnis zur Stiefmutter ist angespannt und der Vater herrscht mit eiserner Hand. Von Marie wird erwartet, ein Leben als Ehefrau und Mutter mit dem Mann, den ihr Vater für sie bestimmt, zu führen. Doch Marie hat anderes im Sinn. Nach einer kurzen Liaison mit einem leichtlebigen Mann bleibt sie mit einem unehelichen Sohn zurück und findet Schutz bei ihrem Großvater, vom dem sie das Aschenbrennen lernt, um so ihren Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn zu verdienen. Für eine junge Frau in der damaligen Zeit ein nahezu unmögliches Vorhaben. Unterstützung erhält sie von Wiltrudis, der Priorin des Klosters Berau, die ein ähnliches Schicksal ereilte.

Birgit Hermann beschreibt in stimmungsvollen Bildern das Leben der Glasbrenner im Schwarzwald und deren Abhängigkeit von den Klöstern. Drei Handlungsstränge sind es, die die Geschichte tragen, neben Marie und Wiltrudis spielen auch das Kloster St. Blasien und deren Abt Augustinus, der zwielichtige Pater Cajetano sowie Bruder Stephanus eine wichtige Rolle und auch die Sagenwelt des Schwarzwaldes findet Einzug in die Handlung. Weltgeschichtliche Ereignisse jener Zeit werden dagegen wenig berücksichtigt, was sicher auch daran liegen mag, dass diese kaum in die Abgeschiedenheit des Schwarzwaldes vorgedrungen sein werden. Im Nachwort erfährt der Leser, dass die Autorin neben der Glasmacherei noch den einen oder anderen historischen Fakt, die eine oder andere historische Figur mit verarbeitet, sich hierbei jedoch viel dichterische Freiheit gestattet hat.      

Jede Menge Ungenauigkeiten und Anachronismen

Man muss als Leser in puncto Geschichte nicht besonders vorgebildet sein, um die vielen historischen Ungenauigkeiten zu erkennen, über die man bereits auf den ersten Seiten stolpert. Da vergleicht Pater Cajetano einen Mitbruder mit einer Dampfwalze, trinkt der Glasvogt zum Frühstück Tee, ein unbezahlbares Luxusgut zu jener Zeit. Ein Großvater, der offensichtlich nie aus seinem Schwarzwalddorf herausgekommen ist, assoziiert seine verletzt daniederliegende Enkelin mit einer ägyptischen Mumie, wobei man sich als Leser fragt, wo er eine solche denn schon einmal gesehen haben will. Wiltrudis begründet ihr spät aufkommendes Interesse an ihrem totgeglaubten Sohn mit Schwangerschaftsdepressionen, die zu dieser Zeit überhaupt noch nicht bekannt waren. Bruder Stephanus reist in den Schweizer Kanton Aargau, der allerdings erst hundert Jahre später in der Napoleonischen Zeit entsteht. Ein im Wald lebender Einsiedler wird als Aussteiger bezeichnet und die Glasmacher halten beim Brennen eine Temperatur von exakt 400 Grad, ohne über Messgeräte zu verfügen. Diese Auflistung ließe sich beliebig fortsetzen. Zu den historischen Unkorrektheiten gesellen sich noch sprachliche Anachronismen wie z. B. Produktion, Aktionsradius, Bohnerwachs, mutieren usw., die sich mit schöner Regelmäßigkeit durch die Handlung ziehen.

Dabei wäre ein Großteil dieser Fauxpas vermeidbar gewesen, wenn ein erfahrenes Lektorat hier korrigierend eingegriffen hätte. Ein Blick in die Referenzliste der Lektorin zeigt aber, dass diese überwiegend Regionalkrimis lektoriert und keine Erfahrung mit historischen Romanen hat. Erstaunlich ist dann allerdings, dass sie die Defizite in der Krimihandlung hier nicht erkennt. Für einen Krimi fehlt es über weite Strecken an einem entscheidenden Spannungselement und man weiß als Leser lange Zeit nicht, wo die Geschichte eigentlich hin will. Besonders in der ersten Hälfte dümpelt die Handlung vor sich her, Spannung kommt erst in der zweiten Hälfte auf, wo sie sich aber nicht entwickeln kann, weil in der ohnehin schon überfrachteten Geschichte noch ein vierter Handlungsstrang eröffnet wird und sich die Autorin überdies in unwichtigen Nebensträngen verrennt. Die Autorin schreibt in die Breite und nicht in die Tiefe und lässt ihre Geschichte schlussendlich in ein arg konstruiertes Ende münden, in dem die heile Welt wiederhergestellt wird und alle sich wieder lieb haben.

Krimi? Historischer Roman?

Keine der beiden Klassifizierungen passt hier wirklich, denn als Krimi fehlt es an Raffinesse und Spannung, als historischer Roman ist er zu fehlerhaft, um dieses Label zu verdienen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Autorin zum Thema Glasherstellung akribisch recherchiert hat, nur leider gelingt es ihr nicht, dieses Wissen Teil der Geschichte werden zu lassen. Letztendlich sind es nur theoretische Abhandlungen, die wie Fußnoten an passender Stelle eingefügt werden und mit ihrem Sprachduktus eher an Wikipedia-Artikel erinnern. Die Verschmelzung von Fiktion und Historie zu einer in sich stimmigen Einheit ist hier definitiv nicht gelungen. Die Verlagsinformation verspricht einen "tiefgründigen und spannungsgeladenen Geschichtskrimi, einen sorgfältig recherchierten und stimmungsvoll erzählten Historienkrimi mit authentischen Figuren" - Vorschusslorbeeren, die sich nicht erfüllen. Wenn man authentische Figuren dahingehend interpretiert, dass sich diese an den gängigen Mustern der "...-in"-Romane orientieren, mag das sicher zutreffen. Interpretiert man dies aber in Richtung ausgefeilter Charakterköpfe mit Ecken und Kanten, trifft dies ganz sicher nicht zu, denn die Figurenzeichnung ist weitestgehend oberflächlich und stereotyp.

Die Glasmacherin ist weder ein gelungener historischer Roman noch ein spannender Krimi, sondern reiht sich ein in die breite Masse historisierender Unterhaltungsliteratur, die sich am Mainstream orientiert und bei der man in puncto Unterhaltung einige Abstriche machen muss. 

Die Glasmacherin

Birgit Hermann, Emons

Die Glasmacherin

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