Die letzte Prinzessin
- Insel
- Erschienen: September 2019
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- Insel, 2016, Titel: 'Die letzte Prinzessin', Originalausgabe
Die Geschichte der "roten Erzherzogin" zwischen Kaisertum und Klassenkampf
Von der Kronprinzessin und Erzherzogin zur überzeugten Sozialistin - diesen ungewöhnlichen Lebensweg einer faszinierenden historischen Persönlichkeit beschreibt Martin Prinz in seinem historischen Roman "Die letzte Prinzessin".
Der Roman zeichnet die Biografie von Elisabeth Petznek nach, geboren 1883 als Erzherzogin Elisabeth Marie Henriette Stephanie Gisela von Österreich. Sie war die einzige Tochter des österreichisch-ungarischen Kronprinzen Rudolf. Im Jahr 1902 schied Elisabeth nach ihrer nicht standesgemäßen Heirat mit dem Prinzen Otto zu Windisch-Graetz aus dem Herrscherhaus aus. Ihre Beziehung war von vielen Konflikten und gegenseitigen Anschuldigungen geprägt; 1924 ließen sie sich offiziell scheiden. 1921 lernte Elisabeth auf einer Versammlung der Sozialdemokraten in ihrem niederösterreichischen Wohnort ihren späteren zweiten Ehemann Leopold Petznek kennen, der zu dem Zeitpunkt Landtagsabgeordneter war. 1925 trat Elisabeth der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) bei, mit deren politischen Anliegen sie sich bereits seit einigen Jahren beschäftigt und zunehmend auch identifiziert hatte. Geheiratet haben sie und Leopold jedoch erst 1948. Im Jahr 1963 starb Elisabeth schließlich.
Das Leben einer Randfigur der Geschichte
Der Roman nimmt dieses Jahr 1963 und die letzten Lebenstage der Protagonistin zum Ausgangspunkt der Erzählung. Geschildert werden sie aus der Perspektive ihres Hausdieners Mesli. Parallel dazu wird in einem zweiten Erzählstrang ihr Lebensweg "vom Anfang her" skizziert. Es gelingt dem Autor dabei gut, das von der Öffentlichkeit abgeschirmte und komplett durchorganisierte Leben einer Angehörigen eines der mächtigsten Herrscherhäuser Europas zu beschreiben. Der mysteriöse Tod von Elisabeths Vater, des Kronprinzen Rudolf, stellt einen erheblichen Einschnitt in ihrem Leben dar. Aber für Trauer bleibt keine Zeit und kein Raum, sie muss weiterhin als Teil der monarchischen Selbstinszenierung der Habsburger funktionieren. Auch zu ihrer unnahbaren Mutter findet sie keinen emotionalen Zugang, sodass ihr Großvater, der Kaiser Franz Joseph, zu ihrem wichtigsten Vertrauten und Ansprechpartner wird. Umgeben von ihrem Hofstaat, lebt Elisabeth in ihrer eigenen Welt, in die der Alltag und die Probleme der nicht-aristokratischen Bevölkerung Österreichs nicht vordringen, in der sie sich aber auch immer einsamer fühlt und zunehmend psychischen Belastungen ausgesetzt ist.
Materielle Sorgen kennt Elisabeth nicht, und überhaupt wird ihr vermittelt, dass sie alles bekommen könne, was sie haben wolle. So verliebt sie sich in den Prinzen Otto zu Windisch-Graetz und ist dabei solchermaßen in ihrem Egoismus und ihren eigenen Einbildungen und Projektionen auf diesen Mann gefangen, dass sie nicht bemerkt, dass er keinerlei Gefühle für sie empfindet. Der Kaiser lehnt diese nicht standesgemäße "Mesalliance" ab und gibt Elisabeth dies auch zu verstehen. Die aber, gewohnt, immer ihren Willen durchzusetzen, besteht darauf, Otto ehelichen zu dürfen, sodass dem Kaiser nichts anderes übrig bleibt, als diese Verbindung quasi anzuordnen, und zwar gegen den Willen Ottos. Dieser eigentlich absurde Vorgang wird, wie auch andere Szenen, in denen Elisabeths unbedingter Durchsetzungswille und ihre Exzentrik zum Vorschein kommen, in einer sparsamen, lakonischen Sprache beschrieben, die im Kontrast zur Prunksucht der Habsburger steht und die - offiziellen wie inoffiziellen - Konventionen der Monarchie der Lächerlichkeit preisgibt.
Zu ausführlich
Auch als historisch unkundiger Leser ahnt man schnell, dass die Ehe zwischen Elisabeth und Otto unter keinem guten Stern stehen wird, und so kommt es dann auch. Leider werden die Ehestreitigkeiten, Intrigen, Affären und Eifersüchteleien, die von beiden Partnern ausgehen, zu extensiv und ausführlich beschrieben. Immer wieder erlebt man als Leser mit, wie Elisabeth von Otto bloßgestellt wird, wie sie Rache übt, indem sie ihn in peinliche Situationen bringt und demütigt, und wie sie während dieser Ehe immer unglücklicher wird, was sie mit ihrem exzentrischen Verhalten zu überdecken versucht. Das alles wirkt auf Dauer ermüdend und in dieser Ausführlichkeit überflüssig, ebenso wie die ständigen Hinweise des Erzählers darauf, dass Elisabeth erst zu einem späteren Zeitpunkt die ganze Tragik ihrer Beziehung zu Otto wie auch ihres gesamten Lebens erkannt habe.
Nach hinten raus unvollständig
Die eigentlich interessante Wendung im Leben dieser Frau - ihre Hinwendung zur Sozialdemokratie - wird dagegen vergleichsweise knapp geschildert. Der Erzähler gibt zwar gelegentlich Hinweise darauf, dass Elisabeth immer wieder das Bedürfnis gehabt habe, die engen Grenzen ihrer hochadeligen Lebenswelt hinter sich zu lassen und mehr über das Leben ganz gewöhnlicher Menschen zu erfahren. Ihre eigentliche "Missionierung" zur überzeugten Sozialistin vollzieht sich dann aber doch recht plötzlich anlässlich eines politischen Attentats und inmitten der Wirren des Ersten Weltkrieges, der schließlich das Ende der Habsburgermonarchie einleitet.
Auch in diesem letzten Abschnitt des Romans stehen bedauerlicherweise wieder ihre Streitigkeiten mit Otto, von dem sie mittlerweile getrennt lebt, über das Sorgerecht ihrer Kinder im Mittelpunkt. Ihre neue Liebe Leopold Petznek, ein sozialdemokratischer Landtagsabgeordneter, bleibt dagegen erstaunlich blass und konturlos. Zwar wird auch angedeutet, wie sich die politische Situation in Österreich nach dem Krieg und dem Ende der Monarchie weiterentwickelt hat; allerdings stehen diese allgemeinen historischen Schilderungen relativ unverbunden neben Elisabeths Lebensgeschichte. Auch ein Ausblick auf die Zeit des Ständestaates und der NS-Diktatur, in der Sozialdemokraten unterdrückt und verfolgt wurden, fehlt. Da Elisabeth und Leopold diese Zeit bewusst miterlebt haben, wäre eine literarische Verarbeitung gerade dieser Jahre interessant gewesen.
Fazit:
Für Leser, die intime Einblicke in den höfischen Alltag der "k. u. k.-Monarchie" jenseits von "Sisi"-Klischees und in das Seelenleben einer sich in dieser Welt zugleich zuhause und fremd fühlenden Adeligen gewinnen wollen, ist "Die letzte Prinzessin" also durchaus empfehlenswert. Wer dagegen auf eine ausführliche literarische Würdigung des außergewöhnlichen Lebenswegs dieser Frau hofft und verstehen will, warum sie in Österreich nur "die rote Prinzessin" oder "rote Erzherzogin" genannt wurde, muss sich mit dem letzten Drittel des Romans begnügen, der das literarische Potenzial, das diese historische Figur bietet, leider nicht voll ausschöpft.
Martin Prinz, Insel
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