Die Frau des Juweliers
- Pendo
- Erschienen: Januar 2016
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- Pendo, 2015, Titel: 'The Jeweller's Wife', Originalausgabe
Gekonnt inszeniertes Familienepos
Nach dem Tod ihres Vaters steht die blutjunge Juliet 1938 in Kairo mit dem Rücken zur Wand. Die Krankheit des Vaters hat alle Reserven aufgezehrt und so muss die junge Frau ihren letzten Besitz, eine wertvolle Perlenkette verkaufen, um über die Runden zu kommen und ihre Zukunft aufzugleisen. Beim Juwelier, der ihr den Schmuck abkaufen soll, begegnet sie dem englischen Juwelier Henry Winterton. Gekonnt umwirbt der wesentlich ältere Mann die junge Frau und nach wenigen Tagen willigt sie ein, ihm als seine Ehefrau nach England zu folgen. Sofort fühlt sich Juliet in Mash Court heimisch. Auch mit seiner Familie, dem Bruder und seiner Schwester wird Juliet schnell vertraut. Nur Henry selber entpuppt sich als distanzierter, kalter Mensch. Juliet sehnt sich nach Liebe, prallt aber bei Henry selbst nach der Geburt des Sohnes ab. So hat er kaum ein gutes Wort für seine Frau. Das ändert sich auch mit der späteren Geburt der von Henry verehrten Tochter nichts. Zwischen Juliet und Henry herrscht eine feindschaftliche Spannung. Juliet sucht Trost bei Henrys Freund Gillis, einem bekannten Politiker, der allerdings ebenfalls verheiratet ist. Als Juliet erfährt, dass Gillis bereits vor ihr eine Geliebte und mit ihr zwei Kinder hatte, kühlt sich diese heimliche Liaison sofort ab. Nach Henrys Unfalltod übernimmt die nächste Generation die Geschäfte von Winterton, dem wohlhabenden Juwelierhandel. Doch die Zeiten haben sich geändert und die Spannungen unter den jungen Wintertons trägt nicht zu einem florierenden Geschäftsverlauf bei. Das Traditionshaus scheint dem Untergang geweiht. Juliet ist ratlos, sie möchte die Wogen wieder glätten, hat aber mit ihrer eigenen Vergangenheit und einem düsteren Geheimnis um Gillis, dem sie auf die Spur gekommen ist, zu tun.
Ein bunter Reigen von Charakteren
Bedingt durch die bewegte Familiengeschichte des Winterton-Clans und durch deren Freundeskreis mit ihren Kindern sieht sich der Leser mit einem bunten Reigen an Charakteren konfrontiert. Es ist nicht immer ganz einfach, der Geschichte mit den vielen Figuren zu folgen und hin und wieder wird es nötig, nochmals kurz zurück zu blättern, um sicher zu sein, wer zu wem gehört und wie genau die Verbindung zur Protagonistin ist. Juliet wird von der Autorin eher «schön» gezeichnet, wenn sie auch ihre kleinen Fehler hat. Im Grundsatz ist sie eine eher farblose Persönlichkeit, die zwar viel Gutes möchte, sich aber damit begnügt, das hauptsächlich in Gedanken zu tun. Henry als ihren Gegenspieler zu skizzieren und den smarten Gillis als betrügerischen Ehemann, bedient das ganze Schwarz-Weiss-Schema. Dennoch bleiben die Figuren stimmig und die Geschichte lässt auf diese Weise manch interessante Konstellation zu.
Krieg verändert die Gesellschaft
Eindrücklich ist die Familiengeschichte auch deshalb, weil es Judith Lennox gelingt, die gesellschaftliche Entwicklung in England aufzuzeigen. Die Wintertons verlieren sukzessive ihren Status als «bessere» Familie. Nicht alle Familienmitglieder sind in der Lage, sich auf die veränderte Situation einzustellen. So entwickelt sich eine zermürbende Situation zwischen den Reformern und den Bewahrern, die beinahe zum Auseinanderbrechen der Familie führen. Mit viel Feingefühl geht die Autorin auf die jeweiligen Probleme ein und zeigt auf, welche Entwicklung dazu geführt hat, jeden Einzelnen in seine jeweilige Lage zu bringen. So vermag der Leser die verschiedenen Zusammenhänge erkennen und kann sich ein Bild davon machen, was die Kriegs- und Nachkriegsjahre für die Bevölkerung bedeutet haben und welche Rolle die gesellschaftliche Stellung in verschiedenen Bereichen spielte.
Nicht ganz unerwartet
Vieles, was in der Familie Winterton passiert, geschieht nicht ganz unerwartet. Judith Lennox setzt weniger auf überraschende Effekte denn auf eine kontinuierliche Entwicklung, die in einer recht gut abschätzbaren Situation endet. Dennoch bleibt die Geschichte spannend zu lesen und entführt das Publikum in eine interessante Umgebung. Es ist diese stille, dennoch intensive Atmosphäre, die den Roman so sehr prägt, dass der auch nach der letzten Zeile noch eine Weile nachwirkt.
Judith Lennox, Pendo
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