Alma
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2017
- 2
- Gmeiner, 2017, Titel: 'Alma', Originalausgabe
Wie hätte ich mich noch als Deutscher fühlen können
Mit seiner jungen Frau Leah besteigt der Cellist Aaron Stern die "St. Louis". Das Schiff soll die Deutschen Juden mit vielen Schicksalsgenossen zunächst nach Kuba bringen, wo sie auf die Einreise in die USA warten wollen. Hinter Aaron Stern liegen schlimme Momente. Er war in der Pogrom-Nacht verhaftet und ins KZ gebracht worden, lebte dort unter schwierigen Verhältnisse, bis es Leah gelang, Quotennummern für die Einreise in die USA zu ergattern - eine Voraussetzung dafür, dass Aaron Stern das KZ verlassen kann. Die Belastung ist für Leah aber zu viel. Bei der Schwangeren setzen kurz vor der Abfahrt nach Kuba frühzeitig Wehen ein. Sie ist erst Ende des siebten Monats, als sie einem kleinen Mädchen das Leben schenkt. Alma ist sehr schwach und der befreundete Arzt, der Leah ohne Krankenakte behandelte, beschließt, das Kind als seines auszugeben und in Krankenhaus zu bringen. Obwohl sich Leah versucht zu weigern, drängt Aaron seine junge Frau dazu, mit ihm dennoch nach Kuba zu fahren. Er verspricht ihr, das Kind so bald wie möglich nachzuholen.
Als die "St. Louis" in Kuba ankommt, wird ihr die Anlandung verweigert. Kuba nimmt keine Juden mehr auf. Auch die USA weigern sich, die verzweifelten Menschen ins Land zu lassen. Dem Kapitän bleibt nichts anders übrig, als seine menschliche Fracht zurück nach Europa zu fahren. Ein paar europäische Ländern haben sich bereit erklärt, die Juden aufzunehmen. Leah und Aaron werden in die Niederlande gebracht, wo sie in einem Lager landen, das zunächst nur als Übergangslösung gedacht war. Aber bald marschieren die Nazis in die Niederlande ein und aus dem Lager wird ein KZ. Leah hat ihren ganzen Lebensmut verloren, Aaron kann nur dank der Musik aufrecht bleiben. Als der ganze Wahnsinn vorbei ist, versucht Aaron, Alma zu finden.
Sensibel wie die klassische Musik
Die Autorin Dagmar Fohl hat mit Alma ein höchst sensibles Werk geschaffen. Sie erzählt die Geschichte einer kleinen jüdischen Familie, die durch die Nazis vernichtet wird, ohne dass alle ihr Leben verlieren. Im Mittelpunkt steht dabei nicht etwa die Namensgeberin des Buches, Alma, sondern deren Vater Aaron. Er schildert die Ereignisse aus seiner Sicht. Erzählt von seinem Misstrauen während der Überfahrt auf der "St. Louis", die sich nur kurzzeitig in Hoffnung auflöst, um dann mit aller Wucht einer Ernüchterung Platz macht. Ohne seine Musik hätte der Cellist unter Umständen resigniert. So aber hält ihn das immer wieder aufrecht, wenn er zu verzweifeln droht. Seiner Frau Leah gelingt diese Stärke nicht. Eindrücklich stellt Dagmar Fohl dar, wie Leah an der Trennung von Alma zerbricht und durch die Ignoranz der aufnehmenden Länder ihrer letzten Hoffnungen beraubt wird. Anders als für Aaron gibt es für Leah keine Zukunft. Sie ahnt, dass sie Alma nicht wieder sehen wird, selbst wenn sie den Krieg und die Unterdrückung durch die Nazis überstehen sollte. Mit einer einfachen aber eindringlichen Sprache stellt Dagmar Fohl dar, wie sich zwischen den Liebenden eine immer größere Kluft auftut, wie Leah und Aaron sich verlieren und nur noch der heftige Wunsch, die Tochter eines Tages in die Arme schließen zu können, Lebensmut verleiht.
Intensive Bilder
Obwohl das Buch mit etwas über 200 Seiten nicht umfangreich ausfällt, enthält es doch alles, was ein gutes Buch ausmacht. Es ist die Feinfühligkeit der Autorin, die der Geschichte Größe verleiht und sie zu etwas macht, das man mit dem Zuklappen nicht einfach wegstellen kann. Es ist nicht der Umstand, die Verzweiflung der jüdischen Deutschen noch einmal unvermittelt vorgesetzt zu bekommen, der so viel Nachhall besitzt. Wenngleich bereits dies eine intensive Auseinandersetzung mit der Historie des Landes verlangt, insbesondere mit der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Doch gibt es hier bereits zahlreiche Werke, die genau diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einfordern.
Es ist auch nicht die Überraschung, dass Kuba und die USA die Aufnahme der Menschen verweigern - ein Umstand, der hierzulande wenig bekannt ist und kaum diskutiert wird. Was Alma aus der Masse heraus stechen lässt, ist diese Verzweiflung, das Kind in einem Land zurückgelassen zu haben, das Menschen jüdischer Herkunft vernichtet. Die Selbstzweifel und Selbstvorwürfe der Eltern, der Wille, zurückzukehren und lieber in Unterdrückung zu leben als ohne das Kind. Das alles macht Dagmar Fohl auf unnachahmliche Weise sichtbar und lässt den Leser schließlich nachdenklich, überrascht und mit einem Funken Hoffnung zurück. Ein gelungenes Buch, das man auf sich wirken lassen muss, damit es seinen intensiven Zauber vollständig entwickeln kann.
Dagmar Fohl, Gmeiner
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