Der zweite Reiter
- Limes
- Erschienen: Januar 2017
- 5
- Limes, 2017, Titel: 'Der zweite Reiter', Originalausgabe
Mörderjagd in einer Zeit des Umbruchs
Wien im Spätherbst 1919. Die Glanzzeit der Habsburger-Monarchie ist nach dem Ersten Weltkrieg einer düsteren Nachkriegsatmosphäre gewichen. Das österreichische Kaiserreich ist zerbrochen, der Vielvölkerstaat wurde in eigenständige Staaten aufgeteilt und nur ein Bruchteil des einstmals riesigen Reiches ist als Republik Österreich bestehen geblieben. Die Bevölkerung leidet bittere Not und es herrscht Wohnungsnot, Kriegsversehrte bevölkern die Straßen, der Schwarzhandel blüht und mit ihm die Wiener Unterwelt. Wer interessiert sich da schon für den vermeintlichen Selbstmord eines Kriegsheimkehrers? Nur Rayonsinspektor August Emmerich hat so seine Zweifel an der Selbstmordtheorie und möchte der Sache auf den Grund gehen. Gemeinsam mit seinem jungen Assistenten Ferdinand Winter beginnt er, Nachforschungen anzustellen und eckt damit nicht nur bei seinen Vorgesetzten an.
Der Geradlinige und der Sperrige
Emmerich und Winter sind ein Ermittlerduo, das unterschiedlicher nicht sein könnte. Der junge Winter, der aus der Wiener Oberschicht stammt, hat geschliffene Umgangsformen und ein gepflegtes Äußeres, ist immer korrekt und geradlinig. Er wirkt anfangs im rauen Wiener Polizeialltag ziemlich fehl am Platz. Emmerich ist das ganze Gegenteil seines Assistenten und folglich auch wenig begeistert, als ihm der Jungspund zur Seite gestellt wird. Emmerich ist in einem Waisenhaus aufgewachsen, in dem Lieblosigkeit und Härte an der Tagesordnung waren, eine Kindheit, die Spuren bei ihm hinterlassen hat. Dazu kommen seine Erlebnisse als Soldat im Ersten Weltkrieg, aus dem er mit einer Kriegsverletzung am Knie zurückgekehrt ist, die ihm schwer zu schaffen macht. Emmerich ist kein geradliniger Typ, er ist zynisch und abgebrüht, lügt ohne mit der Wimper zu zucken und geht bei seinen Ermittlungen gerne einmal Wege außerhalb der Legalität und schreckt auch vor Diebstahl nicht zurück.
Was ihn jedoch auszeichnet, ist sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, der nicht immer mit den Gesetzen der jungen Republik Österreich konform geht. Sein Privatleben gerät aus den Fugen, er manövriert sich in so manche brenzlige Situation, bis er irgendwann selbst im Gefängnis sitzt. Kurzum, mit Emmerich hat die Autorin einen Charakter geschaffen, der sperrig ist, der zutiefst authentisch ist und der nicht unbedingt die Sympathien des Lesers sucht. Der geradlinige Winter ist der passende Gegenpart zum eigenwilligen Emmerich und auch wenn man sich das anfangs nicht so recht vorstellen kann, werden diese beiden Männer ein Team, das sich sehr gut ergänzt. Neben ihnen agieren die unterschiedlichsten Nebencharaktere, wie z. B. Winters snobistische Großmutter, die der wohlgeordneten Welt der K. u. K.-Zeit hinterhertrauert oder der Schwarzhändler und Unterweltboss Kolja, bei dem es sich um einen alten Bekannten Emmerichs aus Kindertagen handelt.
Kurzweilig und spannend
Der Leser folgt Emmerich und Winter vom Polizeipräsidium ins Wiener Nachleben, in Obdachlosenheime und schäbige Kneipen, zu den Schwarzmarktbossen in die Wiener Unterwelt und dann wieder in die Paläste der Oberschicht. Es ist eine kriminalistische Reise kreuz und quer durch das Wien des Jahres 1919 mit all seinen Facetten und Schattenseiten, wobei manche Szenen direkt aus dem Filmklassiker Der dritte Mann stammen könnten. Und es ist eine spannende Reise, auf die sich der Leser begibt, wenn er sich an Emmerichs und Winters Fersen heftet. Da kommt so manche Überraschung um die Ecke, schlägt die Handlung eine unvorhergesehene Wendung ein. Das Motiv für die Mordserie bleibt lange Zeit im Dunkeln, die Zusammenhänge kristallisieren sich erst nach und nach heraus, die Autorin spielt mit dem Leser und lässt ihn gerne mal in eine Sackgasse laufen, bevor die Handlung in ein überraschendes Ende mündet. Der Spannungsbogen ist nicht zu hoch, bleibt dafür aber immer konstant. Dabei sind es nicht nur die Ermittlungen selbst, die für Spannung sorgen, sondern auch die ungewöhnlichen Wege, die Emmerich hierbei geht, die Gefahren, in die er sich dabei begibt und aus denen er sich eins ums andere Mal herausmanövrieren muss. Das alles hält die Handlung am Laufen, sodass keine Längen entstehen oder gar Langeweile aufkommt.
Der zweite Reiter überzeugt mit einer ausgewogenen Balance aus historischem Roman und Kriminalgeschichte. Der historische Hintergrund ist hier nicht nur Staffage, sondern wichtiger Bestandteil einer durchdachten Handlung und sorgt nebenbei für die richtige Stimmung. Dieser Roman ist der Auftakt zu einer Serie, der völlig zu Recht mit dem Leo-Perutz-Preis 2017 ausgezeichnet wurde und der Lust auf weitere Abenteuer mit Emmerich und Winter macht.
Alex Beer, Limes
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