Oberst Ljapkin

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  • Erschienen: Januar 2016
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  • , 1933, Titel: 'Ο Συνταγματάρχης Λιάπκιν', Originalausgabe
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Jörg Kijanski
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Histo-Couch Rezension vonApr 2017

Ein zaristischer Oberst als Flüchtling in Griechenland

Graf David Borissitsch Ljapkin war Oberst der einstigen Zarenarmee, ein angesehener Militär und Aristrokrat, ein weltmännischer Großgrundbesitzer. Dann griffen die Bolschewiken nach der Macht, die Oktoberrevolution des Jahres 1917 kam und Oberst Ljapkin konnte gerade noch fliehen. Seine Frau war bereits gestorben, doch seine Tochter Ljuba musste er unverrichteter Dinge zurücklassen. Er kam über Athen in die Nähe des kleinen Städtchens Larissa in Thessalien, wo er dank einer zufälligen Bekanntschaft mit dem Landwirtschaftsminister einen Posten im öffentlichen Dienst antreten kann, der eigentlich nur den Griechen vorbehalten ist. So wird er Aufseher des Zuchthengstgestütes an der dortigen Landwirtschaftsschule.

 

"Jedes Jahr kommen mindestens fünf Landwirtschaftsminister, das heißt je einer nach jedem Regierungswechsel. Wie lange soll das mit der politischen Instabilität noch so weitergehen? Wir müssen ihnen alles zeigen und erklären. Sie haben keinen blassen Schimmer. Einer - ein Landwirtschaftsminister wohlgemerkt! - fragte uns, ob der Tabak auf Bäumen wächst wie die Pfirsiche und die Birnen. Und alle sind so ahnungslos! Sie reißen Mund und Augen auf bei ganz alltäglichen Dingen. Ganz besonderen Eindruck macht auf sie der Schweinestall; vielleicht erinnert er sie an ihr politisches Milieu..."

 

In seiner Arbeit geht Ljapkin voll auf, arbeitet besessen und effektiv, doch in seiner Freizeit gibt es nur Ouzo, Frauen und die Sehnsucht nach seiner geliebten Heimat, in die er wohl nicht wird zurückkehren können. Einige Jahre vergehen, da erhält er einen Brief seines tot geglaubten Bruders, der im September 1917 über Schweden fliehen konnte und inzwischen auf einem Landgut in Frankreich lebt. Doch das Angebot zu ihm zu ziehen, lehnt Ljapkin ab. Er will nicht ein drittes Mal sein Leben neu aufbauen. Nach anfänglichen finanziellen Engpässen verdient er inzwischen ordentlich. Dann trifft er seinen alten Armeegefährten Arkanoff wieder, der krank und verarmt in Larissa als Schuhputzer lebt. Nach dessen vorhersehbarem Tod kommen sich Ljapkin und Arkanoffs letzte Pflegerin Katarina näher und es gelingt Ljapkin nochmals eine Familie zu gründen. Doch in seiner neuen Heimat kommt der ehemalige Oberst auch nach vielen Jahren der Emigration nicht an. Zudem hat ihn der Alkohol fest im Griff&  

Sodom und Gomorra wohin man blickt

M. Karagatsis ist das Pseudonym des griechischen Schriftstellers Dimitris Rodopoulos, der von 1908 bis 1960 lebte und somit nur 52 Jahre alt wurde. Er war sehr eifrig, schrieb allein fünfzehn Romane (bekannt ist vor allem Das gelbe Dossier), darunter seinen hier besprochenen Debütroman Oberst Ljapkin, der im Original erstmals 1933 erschien. Jetzt erscheint das Werk in neuer Übersetzung von Gerhard Blümlein im Verlag der Griechenland Zeitung. Wer immer die Idee dazu hatte ist zu beglückwünschen, denn wenngleich der Roman schon vor über achtzig Jahren geschrieben wurde, so ist er auch heute noch interessant und bestens lesbar.

Glaubt man dem Autor, dann herrschen in Larissa und Umgebung, wo sich vor allem arme Ausländer aus Bulgarien, aber auch zahlreiche Flüchtlinge aus Russland, Adelige wie Bürgerliche, niedergelassen haben, Zustände die an Sodom und Gomorra erinnern. Es wird unentwegt gesoffen und gehurt, nur gearbeitet wird eher selten. Die Ausnahme ist der Protagonist, der in seiner neuen Arbeit aufgeht. Allerdings fällt es ihm schwer auf die Menschen in seiner neuen Heimat zuzugehen. Anfangs verarmt und somit alles andere als standesgemäß ausgestattet, zieht er sich zunächst vollends zurück. Jeden Sommer erkrankt er an Malaria und spricht ununterbrochen dem Ouzo zu. Erst nach der unerwarteten Familiengründung mit Katerina scheint es aufwärts zu gehen, doch Ljapkin ist zunehmend egozentrisch, gewalttätig und unberechenbar, was vor allem sein Stiefsohn Dinos immer wieder erfahren muss.

 

"Früher wurde seine Isolierung als Äußerung des Stolzes eines heruntergekommenen Adligen gegenüber den Menschen seines Ranges interpretiert. Jetzt aber, wo er die anderen rang- und gehaltsmäßig erreicht hatte, konnte seine Haltung nicht anders denn als Hochmut interpretiert werden. So schuf er sich einige Antipathien, die ihn aber kalt ließen. Er hatte sein Leben so geregelt, wie er es wollte; die anderen Leute existierten nicht für ihn..."

 

Die Geschichte über einen russischen Flüchtling in Griechenland ist auch heute nach wie vor aktuell, wenngleich die historischen Gegebenheiten andere waren. Angesichts der Oktoberrevolution 1917, also vor rund 100 Jahren, kommt der Roman gerade richtig. Ljapkin leidet unter Heimweh, weiß jedoch auch, dass es kein Zurück gibt und selbst wenn morgen die Kommunisten abdanken würden, was würde ihn dann erwarten? Mit seinen Landsleuten wird diese Frage umfassend diskutiert, wenngleich ohne abschließende Erkenntnis. Das Interesse an Russland wird im Laufe der Jahre zunehmend platonisch. Längst hat ein unbändiger Fatalismus alle Exilanten ergriffen.

Oberst Ljapkin

M. Karagatsis, -

Oberst Ljapkin

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