Der Schachautomat
- Piper
- Erschienen: Januar 2005
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- Piper, 2005, Titel: 'Der Schachautomat', Originalausgabe
Der erste denkende Automat
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begannen die Menschen, Maschinen zu erfinden, die das Leben erleichtern sollten. Natürlich gab es darunter auch Automaten, die mehr der Belustigung und der Erheiterung dienten als dem Allgemeinwohl. Die Konkurrenz der Mechaniker untereinander war groß und die jeweiligen Geheimnisse wurden niemals preisgegeben.
Im Preßburg des Jahres 1769 verspricht Wolfgang von Kempelen der Kaiserin Maria Theresia, einen denkenden Automaten zu bauen. So etwas war bislang unbekannt und Friedrich Knaus, ebenfalls Automatenbauer und Konstrukteur eines Schreibautomaten, kann darüber nur lachen. Als ein Jahr später, 1770, Kempelen vor der Kaiserin seinen Schachautomaten erfolgreich präsentiert, ist es ausgerechnet Knaus, der Hofmechaniker, den die Kaiserin als Gegner aussucht. Der Automat gewinnt und bald ist der Hof außer sich und Kempelen europaweit bekannt. Er und seine Maschine erhalten Einladungen aus ganz Europa und Kempelen kommt ihnen gerne nach.
Zwielichtige Charaktere
Mit dabei sind sein Diener Jakob, ein Jude, der eigentlich auch Mechaniker ist und gerne mehr konstruieren als durch die Gegend reisen würde. Das eigentliche Hirn des Automaten aber ist Tibor, ein Kleinwüchsiger, der mit Jakob und Kempelen den Automaten gebaut und konstruiert und so den größten Betrug der damaligen Zeit geschaffen hat. Natürlich merkt niemand, dass eigentlich ein Mensch in der Maschine sitzt, die wie ein Türke aussieht. Da Tibor selbst das Geheimnis ist, darf niemand wissen, dass es ihn überhaupt gibt, er wird versteckt und darf sich nirgendwo blicken lassen.
Der Erfolg und das unglaubliche Geschehen wecken natürlich Neider und Kollegen und so schleust Friedrich Knaus die Dienerin Elise in Kempelens Haus als Spionin ein. Als nach einer Vorführung eine Frau stirbt, die zuvor allein mit der Maschine in einem Raum war, nehmen Gerüchte und Aberglauben ihren Lauf, und die Frage ist, wie lange es mit den Vorführungen des siegreichen Schachautomaten noch gut geht.
Gelegentliche Ungleichgewichtungen
Robert Löhrs Roman um einen der brillantesten Betrügereien des auslaufenden 18. Jahrhunderts beschreibt die Karriere des Wolfgang von Kempelen, angelehnt an die wirklich geschehene Geschichte um den Schachautomaten. In Rückblicken werden die Biografien von Tibor, der eigentlichen Hauptperson, und den anderen erzählt, aber nie zu ausführlich, so dass diese Rückblenden nie zu langatmig sind und störend wirken. Die Beschreibung von Preßburg und Wien, von den Höfen und deren Etikette, wirkt sehr realistisch, als wäre man bei einem dieser Vergnügen tatsächlich mit dabei. Robert Löhr versteht es, den Leser in das gelangweilte Hofleben einzuführen, indem er es aus Sicht des Automaten, also Tibor, beschreibt. Man mag sich zeitweilig fragen, wer hier die Maschine ist.
Allerdings gibt es hier und da ein paar Längen in der Erzählung, in denen Löhr etwas zu detailverliebt beschreibt, wohingegen er an anderen Stellen an wünschenswerten Details einspart. So ist gerade Kempelens Vorgehen auf Dauer zwar verständlich, aber nicht erklärt und auch sein Gegner Knaus verschwindet fast gänzlich von der Oberfläche. Dahingegen tritt der Witwer Andrássy vermehrt auf, der einige unrealistische Wandlungen vollzieht - hier droht die Handlung etwas aus den Fugen zu geraten, aber dank eines spannenden und actionreichen Endes kriegt Löhr doch noch die Kurve.
Ein spannendes Finale
Für dieses Buch muss man nicht Schach spielen können und auch nicht die Regeln beherrschen, dennoch gibt es immer wieder Situationen, die an Stellungen im Schachspiel erinnern und dies zeugt davon, dass Löhr etwas von seiner gewählten Materie versteht. Wie auch ein richtiges Schachspiel, so plätschert der Roman am Anfang ein wenig vor sich hin, um in der zweiten Hälfte ungeheuer an Fahrt und Spannung zuzulegen. Das Finale, das einige Überraschungen birgt und - wie im Schach - auch seine Opfer fordert, ist der Höhepunkt eines Buches, das von Intrigen, Spionage und Betrügereien fast überquillt und daher auch etwas überzogen wirkt. Dennoch liest man das Buch gerne zu Ende, auch wenn es vielleicht einen etwas überdrehten Nachgeschmack hinterlässt.
Erwähnenswert ist in jedem Fall der Anhang, in dem Löhr die Geschichte des wirklichen Schachautomaten um den realen Wolfgang von Kempelen und seinen Nachfolgern beschreibt. Zudem erklärt er, an welchen Orten die beschriebenen Maschinen heute noch zu bewundern sind, womit die Geschichte des Buches einen sehr realistischen Anstrich erhält. Auch, dass das Wort "türken" im Sinne von "etwas vortäuschen" tatsächlich auf den Schachtürken zurückgeht, ist ein interessantes Bonmot zu diesem Buch.
Robert Löhr, Piper
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