Das Haus der Granatäpfel
- Pendo
- Erschienen: Januar 2017
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- Pendo, 2017, Titel: 'Das Haus der Granatäpfel', Originalausgabe
Eine andere Facette des Ersten Weltkriegs
Es fällt der blutjungen Berlinerin Klara nicht schwer, in der Silvesternacht 1909 den zurückhaltenden Peter Delacloche für sich einzunehmen. Der zuvorkommende junge Mann scheint ihr den perfekten Ausweg zu bieten: Denn Klaras Eltern wünschen die Tochter zu verheiraten, haben ihr bis dahin jedoch kaum geeignete Kandidaten vorgestellt. Zudem hegt Klara den Verdacht, dass die jungen Männer es vor allem auf ihre beachtliche Mitgift abgesehen haben. Nicht so Peter, selber Sohn aus einer reichen Familie. Auch dass er in Smyrna lebt, scheint ihr zunächst eher ein Vorteil, kann sie doch auf diese Weise dem engen Korsett der Gesellschaft entfliehen. Auf dem Weg nach Smyrna ist Klara dennoch von Zweifeln geplagt. Das erst recht, als sie ihrem Schwager Nimrod begegnet, der das Gegenteil des zurückhaltenden Peters ist. Klara erkennt, dass sie an der Seite ihres Mannes wohl nicht glücklich werden wird. Sie sucht den Ausweg aus ihrer tiefen Einsamkeit in Affären. Allerdings scheint sie einzig im armenischen Arzt Sevan einen Menschen gefunden zu haben, der sie versteht. Sevan selber ist mit seiner Frau Rhipsime unglücklich. Obwohl er alles für sie tut, behandelt ihn Rhipsime wie ein lästiges Anhängsel. Sie verachtet Sevan für seine bescheidene Herkunft. Klara und Sevan kommen sich näher, auch wenn sie sich dessen bewusst sind, dass ihre Liebe nicht zuletzt vor dem Hintergrund der verschiedenen Kulturen keine Zukunft haben kann. Zudem verwandelt sich der Balkan immer mehr in ein Pulverfass. Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs finden auch im orientalischen Paradies von Smyrna Gräueltaten statt.
Etwas zu kantig ausgefallen
Lydia Conradi hat ein Faible für kantige Charaktere. Das lässt sich kaum verleugnen. Doch bei Das Haus der Granatäpfel sind sie teilweise etwas zu kantig ausgefallen. So fällt es lange schwer, der Protagonistin Klara in irgendeiner Form Sympathie entgegen zu bringen. Der Leser nimmt sie zunächst als egoistische Persönlichkeit wahr, die auch nicht davor zurück schreckt, andere zu verletzen, um ihr Ziel zu erreichen. Zwar findet im Laufe des Romans ein deutlicher Reifeprozess statt, doch vermag dieser die Figur nur mäßig zugänglicher zu machen. Es fällt bis zuletzt schwer, sich mit Klara zu identifizieren. Weder der farblose Peter - mit dem man allerdings doch immer mal wieder Mitgefühl haben kann - noch der smarte Abenteurer Nimrod können Klaras Platz als Identifikations-Figur einnehmen. Anders hingegen Sevan, der sich durch seine geduldige, zuvorkommende Art schnell in den Herzen der Leser festsetzen kann. Hier bleibt es wohl eher unverständlich, wie es letztlich zur Ehe zwischen Sevan und Rhipsime hatte kommen können, da die Frau ihn nie als gute Partie erachtete und ihm mit großer Verachtung begegnet.
Unbekannte Aspekte
Lydia Conradi beschreibt in ihrem Roman die Auswirkungen des 1. Weltkriegs auf die Bevölkerung auf dem Balkan mit großer Empathie. Die historischen Fakten vermögen dabei die etwas schwierige Hauptperson Klara vergessen machen und den Leser in eine für ihn zumindest teilweise unbekannte Welt zu entführen. Sehr schön zeigt die Autorin hier die schleichende Veränderung in der Gesellschaft auf und macht sichtbar, was für westliche Augen lange Zeit mehr oder weniger verborgen war. Obwohl vieles an die Grenze der Erträglichkeit geht, kommt hier kein Voyeurismus sondern tiefe Verbundenheit mit dem betroffenen Volk zum Ausdruck. In einer starken Sprache und einem unglaublichen Flair für die bildhafte Beschreibung legt Lydia Conradi diesen Teil der Weltgeschichte offen und lässt dadurch manchen Leser inne halten und über die Situation nachdenken. Das Haus der Granatäpfel ist keine einfache Lektüre, es braucht da und dort Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, sich ganz auf die sehr kantigen Persönlichkeiten einzulassen. Dann aber offenbart sich dem Leser ein sehr eindrückliches Leseerlebnis.
Lydia Conradi, Pendo
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