Ein Held dunkler Zeit

  • Europa
  • Erschienen: Januar 2018
  • 4
  • Europa, 2018, Titel: 'Ein Held dunkler Zeit', Originalausgabe
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Yvonne Schulze
901001

Histo-Couch Rezension vonMär 2018

Die bewegende Geschichte des Helmut Machemer

Im Privatarchiv der Familie Machemer schlummerte 75 Jahre lang der nahezu 2000 Fotos, über 500 Briefe und unzählige Meter Filmmaterial umfassende Nachlass des Frontarztes Helmut Machemer. Nun hat sich sein Sohn Hans Machemer entschlossen, dieses historisch bedeutsame Material gemeinsam mit dem Historiker Christian Hardinghaus zu sichten, auszuwerten und für die Öffentlichkeit aufzuarbeiten. Drei Jahre waren Christian Hardinghaus und Hans Machemer mit der Aufarbeitung des Materials beschäftigt, das nun im unlängst erschienenen Sachbuch Wofür es lohnte, das Leben zu wagen veröffentlicht wurde.

Um dieses wichtige Thema einer breiteren Leserschaft nahezubringen, hat sich Christian Hardinghaus entschlossen, hierauf aufbauend auch noch einen historischen Roman zu schreiben. Mit seinem Roman "Ein Held dunkler Zeit" stellt der Autor zum einen die Judenverfolgung in Deutschland und zum anderen das Leben und Sterben deutscher Soldaten an der Ostfront in den Focus seiner Erzählung und gibt denen eine Stimme, die in der deutschen Erinnerungskultur etwas ins Hintertreffen geraten sind. 

 

"Doch im Kugelhagel, da wurde ich Zeuge von Heldentaten. Ich habe Menschen gesehen, die ihr eigenes Leben riskiert oder im schlimmsten und nicht seltenen Fall verloren haben, um viele andere Leben zu retten."

 

Der Roman beginnt zeitlich recht unstrukturiert. Nachdem der Leser auf den ersten Seiten gleich mitten hinein in die Kampfhandlungen an der Ostfront im Januar 1942 geworfen wird, wird er nach nur wenigen Seiten wieder zurück in die Gegenwart katapultiert, wo er dem mittlerweile über 90 Jahre alten Sanitätssoldaten Friedrich Tönnies begegnet, der in einem Seniorenheim lebt und noch immer mit den Dämonen der Vergangenheit kämpft. Lange hat er, wie so viele seiner Generation, über seine Kriegserlebnisse geschwiegen. Doch jetzt, mit dem Tod vor Augen, reflektiert er die Vergangenheit und entschließt sich, das Schweigen zu brechen und seine Geschichte zu erzählen. Doch es ist nicht nur seine eigene Geschichte, sondern auch die seines Vorgesetzten Wilhelm Möckel, hinter dem sich eben jener Helmut Machemer verbirgt.

Eine ungewöhnliche Rettungsaktion

Als der Augenarzt Wilhelm Möckel im Sommer 1932 die Medizinstudentin Annemarie kennenlernt, ist es Liebe auf den ersten Blick und die beiden heiraten trotz aller Warnungen, denn Annemarie ist Halbjüdin und der Antisemitismus ist im Jahr 1932 bereits deutlich zu spüren. Mit Hitlers Machtübernahme 1933 glaubt Wilhelm noch an einen Aufwärtstrend in Deutschland nach dem Scheitern der Weimarer Republik. Doch das Leben wird für die Möckels zunehmend schwieriger und sie bekommen die Auswirkungen des Rassenwahns am eigenen Leib zu spüren. Annemarie darf ihr Medizinstudium nicht fortsetzen, Wilhelm verliert seine Kassenzulassung, Freunde wenden sich ab und wollen nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Da eine Auswanderung für Wilhelm nicht in Frage kommt, entschließt er sich auf Anraten seines nationalsozialistisch gesinnten Bruders, als Arzt an die Front zu gehen und damit seine Familie zu retten. Die Rassengesetze der Nazis sahen eine Ausnahmeregelung vor, die es einem arischen Deutschen erlaubte, durch große Tapferkeitsauszeichnung seine Familie arisieren zu lassen. Hintergrund dieser Regelung war die wahnwitzige Vorstellung der Nationalsozialisten, dass sich das deutsche "Heldenblut" in den nachkommenden Generationen gegen das jüdische "unreine" Blut durchsetzt und dieses verdrängt.

Während Wilhelm nun als Frontarzt an der Ostfront tagtäglich sein Leben aufs Spiel setzt, um seine Familie zu retten, ist Annemarie in der Heimat den Repressalien und Verfolgungen der Nazis und ihrer Anhänger ausgesetzt. Sie erfährt am eigenen Leib, was es bedeutet, schutzlos in einer Gesellschaft zu leben, die einem jede Daseinsberechtigung abspricht. Wilhelm Möckel ist sicher nicht der strahlende Held im herkömmlichen Sinn. Denn um seine Familie zu retten, geht auch er über Leichen. Auch wird die Umsetzung seines Rettungsplanes immer wieder durch Vorgesetzte boykottiert, die sein Vorhaben nicht unterstützen wollen und ihm deshalb ständig Steine in den Weg legen.

In ein anderes Licht gerückt

Es gelingt dem Autor, hier einen etwas differenzierteren Blick auf die Wehrmachtsangehörigen zu werfen, denn nicht alle waren überzeugte Nazis oder Kriegsverbrecher und es gab genügend Soldaten, die den ganzen Wahnsinn in Frage gestellt haben, nachdem sie erkennen mussten, dass man sie nach Strich und Faden belogen hatte. Die Schrecken des Krieges werden zwar detailliert beschrieben, doch der Autor findet das richtige Maß, um seine Leser nicht zu überfordern. Neben Tod und Sterben gibt es auch hin und wieder positive Momente und Menschlichkeit. Es ist sicher nicht einfach, sich mit unserem heutigen Wissenstand in die damalige Zeit hineinzuversetzen, denn vieles, was wir heute wissen, war den Protagonisten damals noch gar nicht bekannt. Diese Gratwanderung meistert der Autor aber mit Bravour und er begeht nicht den Fehler, hier irgendetwas zu verharmlosen.

Hardinghaus´ Roman ist ein spannend und zugleich einfühlsam erzähltes, erschütterndes Zeitdokument und man kann diesem Buch nur eine große und verständige Leserschaft wünschen, die auch die Parallelen zur heutigen Zeit erkennt. Es ist ein Roman gegen das Vergessen und gemeinsam mit dem Sachbuch Wofür es lohnte, das Leben zu wagen eine lohnende Lektüre.

Ein Held dunkler Zeit

Christian Hardinghaus, Europa

Ein Held dunkler Zeit

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