Die rote Frau
- Limes
- Erschienen: Mai 2018
- 5
- Limes, 2018, Titel: 'Die rote Frau', Originalausgabe
Die Grenzen der Wohltätigkeit
Wien, 1920. Rayonsinspektor August Emmerich ist in der Abteilung Leib und Leben eingesetzt. Ihm wird die Aufgabe übertragen, ein Auge auf die Schauspielerin Rita Haidrich zu werfen. Die erfolgsverwöhnte Theaterdarstellerin fürchtet um ihr Leben. Sein Assistent Ferdinand Winter, ein junger, ambitionierter Beamter, der ebenfalls ein körperliches Leiden hat, soll ihn dabei unterstützen. Gerade ist Stadtrat Fürst ermordet worden. Die beiden Inspektoren würden sich lieber an der Aufklärung dieser Straftat beteiligen, werden aber vom Chef und den Kollegen nicht als vollwertige Ermittler angesehen. Emmerich bedient sich ganz unkonventioneller Methoden, um einerseits die Schauspielerin in Sicherheit zu wiegen und andererseits einer Spur des Mordfalls nachzugehen.
Detailgenaues Gesellschaftsporträt
Im zweiten Teil der Kriminalserie um Inspektor August Emmerich schafft es Alex Beer erneut, die spannende Handlung vor einer bildhaften Kulisse einer vergangenen Zeit kurzweilig darzustellen. Ihre beiden Hauptfiguren haben zwar ein gesundheitliches Handicap, was sie aber nicht hindert, es mit den Verbrechern ihrer Zeit aufzunehmen. Zwei Jahre nach dem Ersten Weltkrieg litt Wien noch arg unter den Zerstörungen. In der ehemaligen Weltmetropole herrscht große Armut in allen Bevölkerungsschichten. Wohnhäuser sind zerstört und es werden nur kleine Lebensmittelrationen verteilt. Von daher ist es plausibel, dass Organisationen wie Misericordiae Vultus gegründet werden, um die allgegenwärtige Not zu lindern. Auch das Männerlogierhaus, in dem Emmerich untergekommen ist, gehört zum Stadtbild. In diesem Fall kommt dadurch eine persönliche Betroffenheit zustande, dass womöglich ein falscher Mörder gefasst wurde. Die Figuren behandeln sich untereinander nicht zimperlich. Fast jeder hatte im Krieg schon Schlimmeres erlebt, was ihn prägte. Um das Lokalkolorit noch zu verstärken, werden einige Dialoge in mundartlicher Sprache geführt.
Die österreichische Autorin verleiht ihren Charakteren eine prägnante Persönlichkeit, ohne dass sie sofort in der Masse auffallen. Sowohl Emmerich als auch Winter versuchen, nach Kriegsende in ein geordnetes Leben zurückzufinden. Ein Granatsplitter im Bein und ein reduziertes Lungenvolumen hindern sie oftmals daran. Die Handlung ist daran angepasst. Das Spannende daran ist, dass die beiden immer wieder eine Lücke finden, um mit Scharfsinn und logischem Ausschlussverfahren einen wertvollen Beitrag zur Ermittlung der Täter beizutragen. Je weiter die beiden ermitteln, desto mehr Verdächtige treten in Erscheinung, sodass der Spannungsbogen langgezogen ist und erst im letzten Kapitel das gesamte Bild zeigt. Sprache und Beschreibungen sind der Zeit angemessen. Alles zusammen vermittelt einen Blick auf das Wien vor hundert Jahren.
Gelungener Charakteraufbau
Nach dem Auftakt „Der zweite Reiter“ ist dieser zweite Fall für den Inspektor erneut ein kniffliger Fall, bei dem er zudem noch Einschränkungen durch seinen Chef berücksichtigen muss. Seine Ermittlungen führt er dennoch durch, wie man sich das von einem Mann in seiner Position erhofft. Emmerich ist kein Superheld und spürt des Öfteren seine Grenzen. Das trägt dazu bei, dass er trotz seines sperrigen Charakters sympathisch erscheint. Auch seine private Situation entwickelt sich in diesem Buch weiter. Allerdings sind keine Kenntnisse aus „Der zweite Reiter“ zum Verständnis notwendig. Der leichtgängige Erzählstil trägt dazu bei, dass sich die Szenen zu einem Film im Kopfkino zusammensetzen. Trotz der leisen Grundstimmung steigert sich die Handlung in einen Wirbel von Ereignissen, bei denen auch die Ermittler in Gefahr geraten.
Fazit:
Der zweite Fall für August Emmerich überzeugt durch das detailliert gezeichnete Bild von Gesellschaft und Umgebung des historischen Wiens. Der Protagonist hat stets sein Ziel vor Augen und löst den Fall mit unkonventionellen Mitteln. Der Krimi vor historischem Hintergrund ist unbedingt lesenswert.
Alex Beer, Limes
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