Narren und Sterbliche
- Wunderlich
- Erschienen: Januar 2018
- 3
- Wunderlich, 2017, Titel: 'Fools and Mortals', Originalausgabe
Ein Denkmal für Shakespeare und das Theater
London, 1595. Es ist Winter, es ist kalt und die Theater der Stadt müssen sehen, wo sie bleiben. Richard Shakespeare ist Mitglied der Schauspieltruppe seines älteren Bruders William und würde gerne mal etwas anders spielen als nur kleine Frauenrollen, die ihn vor allem beim Mannsvolk beliebt machen. Doch egal, wie sehr er sich anstrengt, sein Wunsch und seine Fähigkeiten kommen bei seinem Bruder nicht an.
William bekommt den Auftrag, eine neue Komödie für eine Hochzeit zu schreiben, bei der vielleicht auch jemand aus dem Königshaus unter den Gästen sein wird, und so will er sich besonders ins Zeug legen. Es schreibt ein Stück aus dem Antiken Griechenland, das in Athen und in einem nahegelegenen Zauberwald spielt und in dem tatsächlich ein weiteres Stück aufgeführt werden soll, ein Stück im Stück also, und er wird es "Ein Sommernachtstraum" nennen.
Doch William hat nicht nur Freunde, sondern auch Feinde, und diese stehlen sein Manuskript der Komödie, und so viel Zeit ist nicht mehr bis zur Aufführung. Da bietet sich Richard an, das Stück zurück zu stehlen und im Gegenzug dafür endlich eine männliche Rolle spielen zu dürfen. Ein geringer Preis für William, doch ist es so einfach, und wird er zu seinem Wort stehen? Die Zeit drängt, und die Diebe müssen erst einmal ausfindig gemacht werden&
Ein ungewöhnlicher Cornwell
Wer je einen Roman von Bernard Cornwell gelesen hat, wird sich eher daran erinnern, dass es in diesen meist recht blutig zugeht. Sei es in den Sharpe-Romanen aus der Zeit Napoleons, den Starbuck-Romanen aus der Zeit der Amerikanischen Unabhängigkeitskriege oder dem finsteren englischen Mittelalter um König Alfred den Großen aus der Uhtred-Reihe. Dass Cornwell jemals einen Roman verfassen könnte, in dem es um Theater, Poesie und Komödie geht und nicht um große Schlachten und Taktiken, schien unmöglich. Und doch liegt Narren und Sterbliche vor dem Leser, und um es vorweg zu nehmen: Das kann er auch.
Cornwell entführt seine Leser in das elizabethanische London, wo man gelegentlich den schönen Künsten fröhnt und ins Theater geht, wo sich die Theatermacher aber immer wieder neue Stücke einfallen lassen müssen, damit das Publikum wiederkommt und eines der anderen Theater besser findet als das eigene. In solch einem Theater ist Richard Shakespeare untergekommen, zu Hause ausgerissen und von seinem älteren Bruder William widerwillig aufgenommen, ohne Freunde, ohne Privilegien, mehr oder weniger geduldet und dementsprechend meist mit den Rollen bedacht, die sonst niemand spielen will: Die Frauenrollen, denn dass "richtige" Frauen auf der Bühne stehen, daran war seinerzeit nicht zu denken.
Aus dem Nähkästchen geplaudert
Cornwell, selbst Mitglied einer Laienschauspieltruppe und daher mit den Sorgen, Nöten und Problemen der kleinen Theater bestens vertraut und selbst mit kleinen Rollen bedacht, ist ein genauer Beobachter des Gefüges hinter und auf der Bühne. Da gibt es eine bunte Schauspielerschar, den ewigen Helden, den armen Tropf, der sich die Texte nie merken kann, den aufstrebenden Intriganten und viele weitere Kollegen, die mit- und gegeneinander spielen und doch am Ende ein Stück auf die Beine stellen, das möglichst viele Menschen sehen, die Geld in die Kasse bringen, gerne wiederkommen und weitersagen, dass es ihnen gefallen hat. Und am Ende geht es doch für alle neben einem kleinen künstlerischen Anspruch auch nur ums nackte Überleben. Gerade im Winter.
Natürlich ist auch die Liebe mit Spiel, nicht nur auf der Bühne, sondern auch abseits davon. Richard verliebt sich in Silvia, ein Hofmädchen, das natürlich einem anderen versprochen ist, den sie aber nicht will, und nachdem sie sich beide gegenseitig geangelt haben, zeigt sie ihm den einen oder anderen Vorzug ihres Winterquartiers, wo sie untergekommen sind, und nebenbei hilft sie auch noch, Kostüme zu schneidern.
Als William die Manuskripte seiner beiden letzten Stücke gestohlen werden, der Sommernachtstraum und eine noch unfertige Tragödie über ein Liebespaar in Verona, deren Familien sich hassen, gewinnt der Roman an neuer Dynamik und Richard, von Cornwell als Ich-Erzähler der gesamten Geschichte platziert, wittert seine Chance, sich aus seinem nicht selbst gewählten Schatten zu treten und die Stücke zurück zu beschaffen und endlich von seinem Bruder ernst genommen zu werden. Die Schurken sind schnell ausgemacht, doch entwickelt sich die weitere Geschichte unerwartet und überraschend, und am Ende geht es doch noch um Leben und Tod, und ja, es gibt eine kleine Schlägerei und wenigstens ein paar Tropfen Blut finden den Weg in den Roman.
Geschickt konstruiert
Bernard Cornwell hat mit Narren und Sterbliche einen Roman gezaubert, der unblutig und trotzdem spannend ist. Wo sonst militärtaktische Züge die Geschichte bestimmen, sind es nun andere Winkelzüge, die Cornwell geschickt konstruiert und die den Leser bis zur letzten Seite überraschen. Der Roman ist eine Verbeugung vor dem Theater, vor Shakespeare und seinen Stücken und seine Art, Geschichten zu entwickeln und zu formulieren. Cornwell versteht sein, seine Leser in das Zeitalter der Renaissance zu entführen und schafft mit nur wenigen Sätzen die passende Atmosphäre, die den Leser unweigerlich in das Geschehen ziehen.
Hier werden keine großen Schlachten geschlagen, aber dafür kleine, in einem Metier, in dem sich Cornwell als passionierter Bühnenmensch selber gut auskennt und dem wir bestimmt die eine oder andere Anekdote und Frotzelei zu verdanken haben. Und das alles vor einem realen Hintergrund, den Cornwell wie gewohnt in seinem ausführlichen und lesenswerten Nachwort darstellt und das eine oder andere Element des Romans zurechtrückt. Der Roman fasst 500 Seiten, das Hardcover aus dem Hause Wunderlich ist mit einer Karte Londons von 1590 in den Klappen bestückt und mit einem goldenen Lesebändchen versehen, der Farbe, in der auch der Einband gehalten ist. Das goldene Zeitalter des Shakespeare-Theaters und von Königin Elizabeth I., wie passend.
Der schwungvolle und gelungene Roman sei allen empfohlen, die Shakespeare mögen, das Theater, Königin Elizabeth I., London, England und überhaupt die ganze Zeit und er sei überhaupt allen empfohlen, denen die anderen Romane Cornwells zu blutig sind, die sich aber seinem sicheren, humorvollen und klaren Schreibstil hingeben wollen. Ein Fest für alle Sinne, und ein Kompliment an die Übersetzerin Karolina Fell. Unbedingt lesenswert.
Bernard Cornwell, Wunderlich
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