Der Gesang der Bienen
- Lübbe
- Erschienen: Februar 2019
- 5
Religion, Aberglaube und Nächstenliebe
Entsetzt muss die Novizin Adelheyd feststellen, dass alle Bienen, die zum Kloster auf dem Rupertsberg bei Bingen gehören, tot sind. Elsbeth, die Frau des Zeidlers im Münstertal im Südschwarzwald, bekommt unerwarteten Besuch von einem Medicus, der ihr ein junges, stark blutendes Mädchen bringt, bei dem er eine Abtreibung verpfuscht hat.
Seyfried und die 14 Jahre alte Tochter Anna jagen derweil Wildbienen im dichten Tannenwald. Überrascht werden sie von einem Braunbären, der es auf den Honig desselben Bienenstocks abgesehen hat. Auf dem Rückweg fragt sie Theobald von Molsheim, ob sie ein junges Mädchen getroffen hätten. Die Tochter dessen Dienstherren Gottfried von Staufen ist spurlos verschwunden. Mit der Verneinung dieser Frage beginnt das Unglück der Familie. Die Tochter stirbt, und Elsbeth wird von den Klerikalen des Klosters St. Trudpert zum Tode verurteilt mit dem Zusatz, dass sie mit dem Teufel im Bunde sei. Das Einzige, das Elsbeth vor der Hinrichtung bewahren kann, ist die Fürsprache der Hildegard von Bermersheim. Seyfried macht sich auf den beschwerlichen Weg Richtung Bingen. Die Zeit sitzt ihm dabei im Nacken.
„In den Bienen wohnt ein Funke des göttlichen Geistes.“ Vergil
Endlich mal wieder ein Roman aus dem Mittelalter, der von dem Leben der kleinen Leute handelt. Deren irdisches Dasein ist eingebettet in das des Klerus, der weltlichen Gewalt und der Unwägbarkeiten der Natur. Nur eine einzige Aussage reicht aus, um Leben zu bewahren oder zu zerstören. Dieses fragile Wechselspiel stellt Dorweiler detailliert und facettenreich vor. Große Schlachten und Schwertkämpfe sucht der Leser vergeblich. Der Autor hat bereits Lorbeeren geerntet mit seinen beiden historischen Romanen „Das Geheimnis des Glasbläsers“ 2018 und „Der Pakt der Flößer“ 2017.
Es macht Freude, welch aussagekräftigen Zitate, Gleichnisse und Beispiele der Autor über Bienen und Honig gefunden hat. Sie fügen sich organisch in den Text ein, als könne genau an jener Stelle nichts anderes stehen. Die Bienen „singen“ durch den gesamten Roman von der ersten bis zur letzten Seite. Dorweiler hat den Alltag und die Stimmungen der Menschen anschaulich wiedergegeben und beschrieben. Ein Zeidler war ein Waldimker. Damals begannen sie, Wildbienen einzufangen und in feste Behausungen bzw. Bienenkörbe umzusiedeln. Wie das vonstatten ging und viele weitere Informationen über das Leben unserer Ahnen, lassen den Leser des Öfteren staunen.
„Noch bedeutender, weil notwendiger als der Honig, war das Wachs.“
Als Abenteuerroman bezeichnet der Klappentext „Der Gesang der Bienen“ zu Recht. Seyfried erlebt auf seinem Weg nach Bingen die ungeheuerlichsten Dinge. Es war damals eben gefährlich zu reisen, gleichgültig ob zu Fuß, zu Pferd oder auf dem Rhein zu Boot. Dass der Autor die Rheingegend liebt, in der er in der Nähe der Loreley aufwuchs und in der er jetzt im Süden Deutschlands lebt, ist ein Gewinn für uns Leser. Seine Naturbeschreibungen lesen sich flüssig und anschaulich. Nachdem sich Hildegard Seyfrieds Geschichte angehört hat, ist ihr sofort klar, dass sie sich zu einem Politikum auswächst, wenn sie sich einmischt. Die damit verbundenen verwinkelten Schachzüge und deren Auflösung sind dem Autor voller Überraschungen gelungen. Wir begegnen sogar dem jungen Barbarossa, der das Blatt wenden soll.
„Es ist eine große Ehre, an einem Tisch mit einem edlen Ritter sitzen zu dürfen“, sagte Theobald. (Kurz bevor er Anna vergewaltigen wollte.)
Bei aller Spannung und Aufregung um die berühmte Äbtissin und ihre Novizin Adelheyd in Interaktion mit dem Zeidler hat Dorweiler einen zweiten Handlungsstrang aufgebaut, der tief unter die Haut geht. Tochter Anna und Sohn Jasper müssen auf der Burg Staufen derweil überleben. Da ihre Mutter von den Burgbewohnern als schuldig angesehen wird, sind die Kinder ein gefundenes Fressen, deren Aggressionen abzubauen. Wie im richtigen Leben gibt es Gott sei Dank nicht nur die Bösen, sondern auch die Guten und die dazwischen. Dorweiler widmet nicht nur den Hauptfiguren, die er mit ihren Ecken und Kanten darstellt, seine Aufmerksamkeit, sondern hat darüber hinaus liebens- oder hassenswerte Nebencharaktere geschaffen.
Fazit:
Ein wunderbares Buch, das die Geschichte der kleinen Leute im 12. Jahrhundert erzählt im Spannungsbogen zwischen Aberglaube, Religion, Rechtschaffenheit, Nächstenliebe und Bienen.
Ralf H. Dorweiler, Lübbe
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