Die Frauen von Troja - Bd. 1: Tochter des Sturms
- Goldmann
- Erschienen: November 2018
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Die Frauen und der Krieg
Vor etwa 3000 Jahren hütet Prinz Paris seine Ziegen im Ida-Gebirge. An einem heißen Tag stehen plötzlich drei wunderschöne Frauen vor ihm, drei Göttinnen, und er soll entscheiden, welche von ihnen die schönste ist. Welche Wahl Paris traf ist bekannt, auch die Folgen für ihn und seine Heimatstadt Troja: Paris raubt Helena, ihr empörter Ehemann und seine Verbündeten landen an der Küste vor Troja, es entbrennt ein zehn Jahre währender Krieg an dessen Ende der Untergang Trojas steht.
Ein weltbekanntes Epos, die Ilias, erzählt die Geschichten der großen Kämpfer und furchtlosen Helden. Weniger bekannt ist das Schicksal der Frauen in diesem Krieg, über sie weiß der Dichter vergleichsweise wenig zu berichten. Und doch haben auch sie ihre Geschichten. Briseis, Gattin des lyrnessischen Prinzen Mynes, wird bei der Zerstörung ihrer Stadt zur Witwe und zur Sklavin des Achill. Chryseis, Tochter eines Priesters und von ihrem Vater selbst zur Priesterin bestimmt, gerät ebenfalls in Gefangenschaft und muss König Agamemnon dienen. Doch beide Frauen finden einen Weg, ihr Schicksal selbst zu bestimmen und für ihre Heimat Troja zu kämpfen. Die Götter jedoch haben Trojas Schicksal längst beschlossen.
Kein historischer Roman
„Tochter des Himmels“ ist kein historischer Roman sondern die kreative Neuerzählung einer uralten Legende. Einer Legende, die schon in der Antike Bestandteil des Schulunterrichtes war, die zu Theaterstücken, Filmen und Gemälden verarbeitet wurde und die vom klassisch gebildeten Akademiker bis zum absoluten Schulverweigerer eigentlich jeder kennt. Mit Wolfgang Petersens „Troja“ zumindest in der schönen, bunten Light-Version. Da ist es gar nicht so einfach, tatsächlich kreativ zu sein und neue Blickwinkel zu finden, schließlich hat selbst die Sicht der Frauen in dieser Geschichte ja dank Christa Wolfs „Kassandra“ bereits Eingang in die Literatur gefunden. Emily Hauser ist es jedoch gelungen, die altbekannte Story neu zu mischen, wenig bekannte Protagonistinnen zu finden und das Geschehen auf eine durchaus realistische Ebene zu heben. Damit das Ganze jedoch tatsächlich im Bereich des Sagenhaften bleibt gibt es göttliche Zwischenauftritte, in denen das Schicksal Trojas von den Göttern ausgehandelt und der Krieg wie eine Theatervorstellung beobachtet wird. In diesen Szenen geht es dann auch ganz neuzeitlich zu. Es gibt ein Dream-Team, es werden kühle Drinks genippt und Apollo lässt sich stylish zurecht machen. Hier werden ganz bewusst sprachliche Modernismen eingesetzt, was zunächst etwas befremdet, letztendlich jedoch nur den Unterschied zwischen der Sphäre der allmächtigen Götter und der Welt der Menschen umso deutlicher bewusst macht. In diesem Fall sitzen die Götter auch nicht auf dem Olymp sondern auf dem Ida-Gebirge, denn auch wenn sie von Griechen und Troern gleich verehrt werden und (fast) dieselben Namen haben, so wird die Geschichte aus der Sicht zweier Trojanerinnen erzählt und Trojas Götter wohnen im Ida-Gebirge.
Zwei Frauen
Während Briseis von hohem Stand ist kommt Chryseis aus kleinen Verhältnissen. Als Sklavinnen sind beide gleich rechtlos und ohne Schutz. Emiliy Hauser hat hier zwei der unbekannteren Protagonistinnen der Ilias zu ihren Hauptfiguren erkoren. Abwechselnd erzählen die beiden jungen Frauen ihre eigene Geschichte und mit dieser auch die Geschichte vom Fall Trojas. Hier ist die Sprache frei von Anachronismen und einfach strukturiert. Da die Frauen selbst erzählen, äußern sie sich offen über ihre Gedanken und Gefühle, allerdings mit weitaus weniger Dramatik als man erwarten dürfte. Dennoch erlebt man sie beim Lesen als vielschichtige Charaktere mit tiefen Emotionen und Leidenschaften. Leider ist damit auch verbunden, dass andere Protagonisten eigentlich nur in ihrer Reaktion auf das Verhalten der beiden jungen Frauen geschildert werden und man als Leser einen eher beschränkten Zugang zur Gedankenwelt beispielsweise eines Priamos oder Hektor hat. Dennoch gelingt der Autorin auch bei anderen Romanfiguren eine tiefere Charakterisierung, im Fokus stehen jedoch Briseis und Chryseis. Wer sich Einblick in das Alltagsleben der Troer erwartet hat, der wird eher enttäuscht sein. Hier geht es vor allem um Gefühle, um zum Teil überraschende Wendungen und, natürlich, was sonst, um den Krieg.
Perspektivwechsel
„Tochter des Sturms“ bietet dem Leser einen Perspektivwechsel beim Blick auf eine alte Geschichte. Hier darf man keine historische Genauigkeit erwarten, man bewegt sich im Reich der Sagen und Götter. Wer sich darauf einlassen kann, wird mit diesem Roman sicher ein erfreuliches Leseerlebnis haben. Die Autorin gibt ihren Lesern ein Nachwort mit in die Hand, in dem sie die Auswahl speziell dieser Protagonisten erklärt und auch das Verhältnis der von Homer erzählten „Ilias“ zur Realität kurz näher beleuchtet.
Fraglich bleibt nur, warum der Goldmann Verlag diesen Roman und die zwei bereits angekündigten neuen Romane der Autorin und der Überschrift „Die Frauen von Troja“ auf den Markt bringt. Die nachfolgenden Romane werden mit Troja nicht mal am Rande etwas zu tun haben sondern sind Neuerzählungen anderer griechischer Sagen. Vermutlich aus genau diesem Grund erschienen sie im englischen Original auch nicht unter dem Troja-Titel. Wie auch immer: Es wäre zu wünschen, dass diese neu erzählten Sagen eine ähnliche Qualität haben wie „Tochter des Sturms“, denn mit diesem Roman kann man durchaus vergnügliche Lesestunden erleben.
Emily Hauser, Goldmann
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