Die Frau in der Themse
- Diogenes
- Erschienen: September 2019
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Anna-Nina Kroll (Übersetzer), Lisa Kögeböhn (Übersetzer)
Auf der Jagd nach einem Phantom
London, 1885. William Pinkerton, Sohn von Allan Pinkerton, dem Gründer der berühmten Detektei in Chicago, kommt dienstlich nach London, um eine Frau zu suchen und zu verhören. Charlotte Reckitt heißt sie, doch sein eigentliches Suchobjekt ist Edward Shade, der von seinem vor einem halben Jahr verstorbenen Vater bereits gesucht wurde und William will diesen Fall nun vollenden.
Bei einer Verfolgungsjagd stürzt sich Charlotte Reckitt von der Blackfriars Bridge in die Themse, Tage später werden Einzelteile von ihr wiedergefunden. Mithilfe des Chief Inspectors Shore versucht William nun nicht nur herauszufinden, wer der Mörder von Charlotte Reckitt ist. Er ist weiterhin auf der Suche nach Edward Shade, den eine gemeinsame kriminelle Vergangenheit mit der Toten verbindet, zudem treten auch immer mehr Verbindungen mit Williams Vater ans Licht.
Eine Spur führt zu Reckitts Onkel Martin, der im Gefängnis einsitzt, eine weitere Rolle spielt der Kleinkriminelle Adam Foole - und zwar durch einen Brief von Charlotte Reckitt, in dem sie ihn um Hilfe bat. Während Foole und seine Kumpanen einen großen Coup planen, um sich mit dem Geld absetzen zu können, zieht William die Schlinge um Edward Shade immer mehr zu. Und kann er das Rätsel um Charlotte Reckitts Tod lösen?
Nichts ist wie es scheint
Es ist ein fulminantes Verwirrspiel, das Steven Price in seinem Roman „Die Frau in der Themse“ aufzieht. Dem Autor gelingt es durchweg, ein düsteres Bild der Stadt London zu zeichnen, wobei ihm natürlich entgegenkommt, dass der Roman im Januar und Februar 1885 spielt, es also sowieso rein vom Wetter her kalt, düster, unfreundlich und neblig ist. Allerdings springt Price immer wieder zeitlich zwischen den Erzählebenen, denn neben der Hauptgeschichte werden mehrere Vorgeschichten erzählt, mal mehr, mal weniger ausführlich, zudem gibt es eine Erzählebene, die zehn Jahre später spielt, als William zu den Ereignissen von der Presse befragt wird. Der Großteil der Vorgeschichte spielt 1862 während des Amerikanischen Bürgerkriegs, als sich Vater Allan Pinkerton und Edward Shade kennengelernt haben.
Mehrere Erzählstränge und zahlreiche Rückblenden
Ein weiterer Erzählstrang spielt 1875 in Südafrika in Port Elizabeth, als sich Shade und Charlotte Reckitt kennenlernen, lieben lernen und ihre kriminelle Laufbahn gemeinsam antreten. Price führt den Leser also nicht stringent durch seinen Roman, sondern springt viel zwischen den Erzählebenen hin und her, manchmal zu viel und zu oft, und am Ende ist es auch nicht immer der Handlung dienlich, was da in den Rückblenden erzählt wird. Zwar wird alles in der gleichen Intensität erzählt, und letztlich werden Bilder und Biografien aller Hauptbeteiligten gemalt und vervollständigt, aber an der einen oder anderen Stelle hätte es dieser Ausführlichkeit sicher nicht bedurft.
Darunter leidet dann auch die Spannung, die sich nur allmählich aufbaut und den Leser nur langsam in die Geschichte bringt. Es dauert eine Weile, bis alles ins Rollen kommt, man halbwegs durch die sich entwickelnde Geschichte steigt, immer wieder durch die verschiedenen Erzählebenen unterbrochen.
Dennoch bleibt man als Leser bei der Stange, denn Steven Price weiß seine Leser durch seinen Schreibstil durchaus zu fesseln. Dabei sind seine entwickelten Figuren noch nicht einmal sonderlich sympathisch, nicht einmal William Pinkerton, was wohl auch daran liegt, dass der Autor dafür sorgt, dass alle irgendwie Geheimnisträger sind und sich die Wahrheiten, wenn überhaupt, nur langsam herausschälen. Daher fällt es einem als Leser auch nicht leicht, sich mit überhaupt einer der Figuren zu identifizieren. Wenn man das aber weiß, kann man das Geschehen aus einer gesicherten neutralen Position durchaus mitverfolgen.
Beeindruckendes und bedrückendes London
Was der Autor an einer gewissen Langatmigkeit einbüßt, macht er durch akribische Recherchen und eindrucksvolle Schilderungen der Historie wett. Da gibt es eine Ballonfahrt über ein Kriegsgebiet, Verfolgungsjagden zu Wasser, zu Lande (bevorzugt mit Hansom Cabs, den zweirädrigen Pferdekutschen) und eben in der Luft, es wird nichts ausgelassen. Das düstere London ist der Hauptschauplatz, dazu Chicago und Südafrika, überall wird die Zeit und das entsprechende Zeitgefühl eingefangen und dem Leser geschildert, hier sieht man die Arbeit, die sich der Autor gemacht hat.
Wie sich der Roman letztlich entwickelt, wer der Täter wovon ist, das soll hier natürlich nicht verraten werden, allerdings gibt es die eine oder andere Überraschung, von denen nicht alle vorauszuahnen sind. Wer die ungewohnt langen 912 Seiten aus dem Hause Diogenes bis zum Ende durchhält, hat eine enorme Geschichtsstunde hinter sich, die nur drei Jahre später durch Jack the Ripper am selben Ort ein weiteres schauriges Kapitel bekommen wird. Allerdings trifft der Originaltitel „By Gaslight“ (Übersetzt: Bei Gaslicht) das Geschehen besser als die deutsche Version, die den Leser vielleicht auf eine falsche Fährte führt, aber das macht ja eigentlich auch nichts.
Fazit:
Steven Price hat mit „Die Frau in der Themse“ einen durchaus spannenden Roman vorgelegt, der nicht nur durch seine Länge besticht, sondern auch durch die enorme Stimmung innerhalb der gegebenen Historie, die verbreitet wird. Einige Längen in zahlreichen Rückblenden trüben das Leseereignis vor allem durch ihre Masse und teilweise Unwichtigkeit für die Handlung. Fans von schaurigen London-Romanen dürfen dennoch zugreifen, Leser von Romanen aus dem viktorianischen Zeitalter ebenfalls.
Steven Price, Diogenes
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