Der Chirurg und die Spielfrau
- Lübbe
- Erschienen: März 2020
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Die Medizin, die Musik und die Liebe
Bremen, 1217: Thonis liebt das Ritterleben auf der elterlichen Burg. Als er erfährt, dass der Vater ihn für eine Kirchenlaufbahn bestimmt hat, bricht die Welt für ihn zusammen. Kurzentschlossen flieht er und schließt sich seinem älteren Bruder an, dem eine Teilnahme am Kreuzzug auferlegt wurde. Doch er kommt nicht bis ins Heilige Land. Nach einem Schiffbruch muss er seinen Bruder für tot halten. Selbst erblindet irrt er verzweifelt durch die Straßen von Genua und hat keinen Mut zum Weiterleben mehr. Doch dann hört er ein Lied, gesungen von einer wunderbaren Stimme, und er findet neuen Lebensmut. Als ein berühmter Chirurg ihm das Augenlicht zurückgibt, beschließt Thonis, das Ritterhandwerk für immer ad acta zu legen und selbst Arzt zu werden. Und er will jene Frau finden, die ihm mit ihrem Lied das Leben rettete. Tatsächlich trifft er sie eines Tages wieder. Doch Elena ist eine Sklavin und es steht ihr nicht frei, selbst über ihr Leben zu bestimmen.
Eine Reise durch das mittelalterliche Europa
Sabine Weiß lässt ihre Protagonisten, und mit ihnen ihre Leser, durch Europa reisen. Thonis stammt aus Norddeutschland, sein Weg führt ihn über das Meer nach Genua, zum Kreuzzug gegen die Katharer nach Toulouse, an die Universität von Bologna und irgendwann auch wieder zurück nach Bremen. Spielfrau Elena dagegen stammt ursprünglich aus Thrakien, wurde als Sklavin nach Mallorca verschleppt und landet zunächst einmal, wieder als Sklavin, in Genua. Aber natürlich ist auch ihr Weg dort noch nicht zu Ende. Man ist also reichlich unterwegs in diesem Roman. Und man erfährt viel über das Europa der Jahre 1217 bis 1234. Über Kreuzzüge, die nicht ins Heilige Land, sondern nach Südfrankreich oder in die Wesermarsch führten, über Sklavenhändler, die dort ihr Unwesen trieben, wo sich heute deutsche Touristen am Ballermann austoben, über ganz erstaunliche chirurgische Praktiken im Mittelalter, über die Politik des Papstes und des Stauferkaisers Friedrich II. und über vieles andere mehr.
Die Autorin hat offenbar für diesen Roman umfassend recherchiert und es gelingt ihr vor allem mit dem Beschreiben medizinischer Praktiken beim Leser immer wieder Erstaunen auszulösen, denn da ist Vieles, mit dem man nicht gerechnet hat, auch wenn man es selbst in dieser Form lieber nicht über sich ergehen lassen möchte. So entsteht eine recht genaue Vorstellung davon, was die Menschen jener Zeit bewegt haben könnte, welchen Zwängen sie unterworfen waren und wie sie ihr Leben gestalteten. Vor allem die Tatsache, dass auf Mallorca und in Italien Sklavenhaltung auch in dieser Zeit noch ganz normal war, mag viele Leser vielleicht erstaunen. Sehr interessant auch die Schilderung der Schwierigkeiten, mit denen Thonis kämpfen muss, um eine Ausbildung als Chirurg zu erhalten, denn natürlich kann nicht jeder dahergelaufene Bettler einfach so Lehrling bei einem berühmten Arzt werden.
Schwungvoll erzählte Geschichte
Die Protagonisten dieses Romans sind im Regelfall recht klar definiert: Gut oder böse, dazwischen gibt es nicht viel. Allenfalls Meister Wilhelm zeigt sich mal von der bärbeißigen, mal von der goldenen Seite und ist damit eigentlich der interessanteste Charakter. Thonis und Elena sind natürlich die Guten und schaffen es auch den ganzen dicken Roman hindurch, nicht aus dieser Rolle zu fallen. Letztendlich sind sie jedoch sympathisch und man möchte wirklich gerne wissen, wie ihre Geschichte ausgeht. Tatsächlich sind die Figuren im Roman eher einfach gestrickt, bewegen sich aber in einer komplizierten, schwer durchschaubaren Welt voller Gefahren. Und so lebt die mit viel Schwung erzählte Geschichte weniger von inneren Konflikten sondern mehr von den Abenteuern, die die beiden erleben. Das trägt auch tatsächlich weit. Allerdings kommt dann der Punkt, an dem man das Gefühl hat, hier wäre es möglicherweise sinnvoll gewesen, den Roman abzuschließen und für das letzte Drittel mit einer Fortsetzung neuen Anlauf zu nehmen. Als Thonis in seine Heimat zurückkehrt, wird die Erzählung flacher, die Spannung lässt nach. Dabei ist die die Geschichte vom Kreuzzug gegen die Stedinger eigentlich spannend und hochinteressant. Sie wäre es wert gewesen, in einem eigenen Roman ausführlich erzählt zu werden. Zudem werden Thonis und Elena arg gebeutelt und auch dies hätte ein wenig mehr Tiefgang vertragen.
Fazit:
Ein buntes, offenbar aufwändig recherchiertes Geschichtsbild mit vielen interessanten Einblicken vor allem in die Welt der mittelalterlichen Medizin. Gut zu lesen und über weite Strecken auch spannend. Gute und empfehlenswerte Lektüre.
Sabine Weiß, Lübbe
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