Vier Tage währt die Nacht

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2002
  • 2
  • Rowohlt, 2002, Titel: 'Vier Tage währt die Nacht', Originalausgabe
Vier Tage währt die Nacht
Vier Tage währt die Nacht
Wertung wird geladen
Eva Schuster
771001

Histo-Couch Rezension vonJul 2007

Schauerroman nach alter Tradition

Winter 1817 im schottischen Hochland: Der junge Jonathan Lloyd folgt der Einladung seines ehemaligen Mentors und väterlichen Freundes Sir Mortimer Pope auf dessen Schloss. Jonathan und acht weitere namhafte Dichter wurden zu einem Symposium eingeladen: Für Tage oder Wochen wollen sie bei gutem Essen über Literatur diskutieren, ihre Werke vortragen und gemeinsam dichten.

Die Gesellschaft setzt sich aus einer Reihe teils höchst unterschiedlicher Charaktere zusammen: Schon auf der Anreise lernt Jonathan zwei von ihnen kennen, die schöne, junge und liebenswerte Nightingale Dubois und ihren Reisegefährten, den düsteren und schweigsamen Robert Milton. Weitere Gäste sind der attraktive und geheimnisvolle Comte de Marais, der humorvolle Landpfarrer Father Thomas Olivier, der unter Pseudonym schreibt, der gewitzte Amerikaner Samuel E. Goldsmith, der zerstreute und liebenswerte Professor Wilbur Prescott und das ungleiche Ehepaar Stalliott: Geoffrey Stalliott, ein offener, etwas derber Mann in den Fünfzigern und seine schöne, ernste und weitaus jüngere Ehefrau Alice.

Schon bald nach der Ankunft kommt es zu einem heftigen Schneesturm, der die unheimliche Stimmung noch verstärkt. Gerade als die Dichter es sich gemütlich machen wollen, geschieht ein schreckliches Unglück: Die Zugbrücke stürzt ein und fordert ein Todesopfer. Zudem sind die Schlossbewohner nun von der Außenwelt abgeschnitten. Als ein weiterer Unfall geschieht, ist der geschockten Gesellschaft langsam klar, dass ein Mörder unter ihnen ist ...

Geheimnisvolles Szenario

Kurz nach Erscheinen des Romans sorgte auch die überlieferte Hintergrundgeschichte für wohliges Schaudern bei den Lesern: Anfang des 20. Jahrhunderts soll sich die junge Schlesierin Dorothea S. Baltenstein mit Tabletten vergiftet und ein unveröffentlichtes Manuskript hinterlassen haben, das fast hundert Jahre später endlich als Roman erschien. Was nach einer düsteren Tragödie aussah, entpuppte sich aber bald darauf als raffinierter Verlagsschwindel, denn der als Herausgeber genannte Michael Schmid ist der tatsächliche Autor - ein Lehrer, der gemeinsam mit vier Schülerinnen einen traditionellen Schauerroman verfasste. Aus einem reizvollen Schulprojekt entwickelte sich ein respektabler Roman, der nach zahlreichen Absagen endlich einen Verlag fand - dies allerdings mit der Auflage, die erfundene Dorothea S. Baltenstein als Autorin anzugeben, da sich ein Schülerwerk kaum vermarkten ließe.

Lässt man all diese interessanten Hintergründe beiseite, präsentiert sich das Werk als äußerst atmosphärische und spannende Mischung aus Kriminalroman und klassischer Gothic Novel. Das Ausgangsszenario orientiert sich ganz offen an dem berühmten Literaturtreffen von 1816 in der Genfer Villa Diodati zwischen den Autoren Lord Byron, John Polidori und dem Ehepaar Shelley, aus dem schließlich der Roman "Frankenstein" hervorging. Netterweise wird auch eingeflochten, dass eben jene illustren Dichter Shelley und Byron sowie auch Sir Walter Scott und die gerade verstorbene Jane Austen als Gäste geplant waren, was aus verschiedenen Gründen verhindert wurde.

Aus dieser Konstellation entsteht ein typisches Landhauskrimi-Szenario: Die Dichtergemeinschaft wird durch den Sturm von der Außenwelt abgeschottet und plötzlich kommt es zu rätselhaften, tödlichen Unfällen, die sich als Morde entpuppen. Einer von ihnen muss der Täter sein und jeder fürchtet, das nächste Opfer zu werden. Allein dem Ich-Erzähler Jonathan Lloyd kann der Leser trauen und es ist ein behagliches Vergnügen, sich gemeinsam mit ihm auf die Mördersuche zu begeben. Das düstere Schloss mit all seinen Räumen und Winkeln und versteckten Gängen sorgt für eine intensive Atmosphäre und schon bald scheint hinter jeder Ecke eine Gefahr zu lauern.

Gelungene Charaktere

Protagonist und Ich-Erzähler Jonathan ist dem Leser recht schnell sympathisch. Man erfährt anfangs zwar nicht viel von ihm, aber seine Gedanken sind nachvollziehbar und vor allem die aufkeimenden Gefühle für Nightingale, die Jonathan ein wenig nervös und unsicher machen, verfolgt man gerne. Alle anderen Personen auf dem Schloss sind automatisch Verdächtige, allerdings gibt es einige, denen man die Morde nicht zutraut und andere, die leichter in Frage kämen: So hofft man, dass die liebenswerte Nightingale nichts damit zu tun hat und es vielleicht sogar ein Happy End mit Jonathan gibt, der Professor scheint genauso wie der Landpfarrer eine durchweg gutmütige Natur zu sein. Dagegen wirkt Alice Stalliott fast ein wenig unheimlich und auffallend düster, auch Robert Milton hat eine finstere Ausstrahlung.

Schon bald ist jedoch klar, dass man sich auf diese Eindrücke nicht unbedingt verlassen darf und manch einer der Gäste etwas zu verbergen hat. So wie Jonathan ist auch der Leser immer auf der Hut, denn auch die scheinbar liebenswerten Originale unter den Dichtern könnten mörderische Absichten hegen. Gleichzeitig fiebert man nicht nur der Entdeckung des Mörders, sondern auch dem Motiv und dem nächsten Opfer entgegen. Sicher hat jeder Leser rasch seine Favoriten, Charaktere, deren Ableben er leichter verkraften würde als das von manch anderen. Jede Figur hat auf ihre eigene Art ihren besonderen Reiz, vom zerstreuten Professor mit den seltsamen Macken, die für manch amüsanten Moment sorgen, über den geheimnisvollen Comte, den leutseligen Pfarrer bis hin zum gegensätzlichen Ehepaar Stalliott mit dem trinkfreudigen Ehemann und seiner melancholischen Gattin. Vieles ist nicht, was es scheint und das allmähliche Kennenlernen der einzelnen Charaktere und die wechselnden Verdächtigungen sorgen für durchgängige Leseunterhaltung. Das Ende ist bewegend und gelungen zugleich. So ist die Entdeckung des Mörders sicherlich überraschend und doch bei näherer Betrachtung sehr passend. Der Schluss gibt auf alle Fragen ausreichend Antwort und sorgt dafür, dass die Lektüre noch ein Weilchen im Gedächtnis bleibt.

Gewöhnungsbedürftiger Stil

Nicht ganz so gelungen wie die inhaltliche Konzeption ist der Stil des Romans. Die fünf Autoren sind bei ihrem Bemühen, die altertümliche Sprache des 19. Jahrhunderts authentisch einzufangen, doch ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen. Nicht wenige Leser werden durch die langen Schachtelsätze und die ausschweifenden Beschreibungen ermüdet und abgeschreckt werden. Dass sich ein einzelner Satz über mehr als zehn Zeilen zieht, ist keine Seltenheit, und die umständlichen Formulierungen, vor allem in der wörtlichen Rede, trüben den Lesespaß ein wenig. Auch bei den Ortsschilderungen wäre weniger sicher oft mehr gewesen, etwa wenn Jonathan fast drei Seiten lang sein Gästezimmer beschreibt. Auch die ausführliche Schlossbesichtigung ist zu lang geraten und da beide Szenen recht früh erscheinen, können sie ungeduldige Leser dazu bringen, das Buch entnervt beiseite zu legen. Gerade die ersten fünfzig bis hundert Seiten brauchen Eingewöhnungszeit und wer kein Anhänger dieses Settings ist, hält vielleicht nicht so lange durch. Sobald der erste Mord geschieht, fesselt die Handlung genug, um den übertrieben verschnörkelten Stil auszugleichen, dennoch wünscht man, das Lektorat wäre ein bisschen energischer vorgegangen.

Unterm Strich ist Vier Tage währt die Nacht ein ambitionierter Schauerroman mit reizvollen Charakteren und einem sehr klassischen Setting, das alle Liebhaber des Unheimlichen und Geheimnisvollen anspricht. Die übertrieben ausgeschmückte Sprache trübt ein wenig den Lesespaß, hier wurde es mit dem Ehrgeiz etwas zu weit getrieben. Sobald man sich in die blumigen Formulierungen eingelesen hat und die Handlung an Fahrt gewinnt, lässt es sich darüber aber weitestgehend hinwegsehen.

Vier Tage währt die Nacht

Dorothea S. Baltenstein, Rowohlt

Vier Tage währt die Nacht

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Vier Tage währt die Nacht«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Zeitpunkt.
Menschen, Schicksale und Ereignisse.

Wir schauen auf einen Zeitpunkte unserer Weltgeschichte und nennen Euch passende historische Romane.

mehr erfahren