Wiener Kreuzweg

  • echomedia
  • Erschienen: Januar 2017
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Jörg Kijanski
851001

Histo-Couch Rezension vonOkt 2019

Drei Familien in drei Jahrzehnten. Großes Panorama.

„Wiener Kreuzweg“ ist der erste Teil des so genannten „Wiener Triptychon“ von Andreas Pittler, welcher die Jahre 1906 bis 1938 umspannt. Zunächst herrscht noch die Monarchie unter Kaiser Franz Joseph, es folgen der Erste Weltkrieg, die Erste Republik und letztlich der Anschluss ans Deutsche Reich. Die politischen und damit einhergehenden wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Geschehnisse und Verwerfungen werden am Beispiel von drei Familien aufgezeigt.

Da wäre zunächst Baron Friedrich Wilhelm Glickstein, der von seinem früh verstorbenen Vater die „Hernalser Bräu“ übernehmen musste. Ihn treffen vor allem die wirtschaftlichen Aspekte, die Arbeitsniederlegungen daheim und die politischen Umwälzungen im Ausland. Mehr als einmal steht die Zukunft der Firma auf dem Spiel und erfordert ganzen (zeitlichen) Einsatz. Darunter leidet die Familie, die zunächst nur aus ihm und seiner Frau Hetty besteht. Hetty ist nicht nur hübsch, sondern vor allem hoch intelligent und träumt von einem Studium. Sie möchte Ärztin werden, doch zunächst gilt es ihrem Mann im Betrieb den Rücken freizuhalten. Nachwuchs bleibt aus, dann folgen erste Depressionen und ein Selbstmordversuch. Glickstein will seine Ehe retten, unterstützt seine Frau nun beim Studium, doch bei der ersten mündlichen Prüfung fällt Hetty in Ohnmacht. Nachwuchs (Caroline) ist unerwartet unterwegs und begräbt endgültig Hettys Traum von Eigenständigkeit und Selbstverwirklichung.

Hermann Strecha entstammt einer bürgerlichen Familie und schafft den Aufstieg vom einfachen Buchhalter bis zum Prokuristen der „Hernalser Bräu“. Vor Kriegsausbruch kommt es im stark angetrunkenen Zustand zu einem spontanen Zwischenspiel mit der drallen Kellnerin Fini. Einen Tag vor dem ersten Fronteinsatz, zu dem er sich freiwillig meldet, um Ruhm und Orden zu sammeln, kommt es zum Wiedersehen mit Fini. Diese befindet sich in anderen Umständen, eine Notheirat muss her. Nach Kriegsende geht es den Strechas eigentlich ganz gut, doch die wirtschaftlichen Folgen in den 1920er Jahren gehen auch an ihnen nicht spurlos vorbei. Warum aber hat Strecha an der Front sein Leben riskiert, wenn nun alles bergab geht, während der „Jude“ Glickstein weiter im Luxus schwelt? Schleichend, aber dennoch recht schnell wird Strecha von den Ideen der Nationalsozialisten im benachbarten Deutschland eingenommen. Wäre Glickstein in Folge einer Arisierung weg, so wäre der Weg frei für ihn, um die Brauerei zu übernehmen. Derweil neigt sein Sohn Turl zunächst noch zur Sozialdemokratie, was auch seinem besten Freund Wickerl geschuldet ist.

Zuletzt wäre da noch der alte Bielohlawek, der eigentlich Miroslav heißt, sich aber Friedrich nennt und in der „Hernalser Bräu“ als Bierkutscher arbeitet. Als nach Kriegsende der Firmenchef entmachtet wird und die Arbeiter die Leitung an sich reißen, wird er gar vorübergehend zum Chef, danach Betriebsrat. Mit Fanny hat er sein großes Glück gefunden, er lernte sie in einem Arbeitercafé kennen. Fanny und Fini kennen sich von der Arbeit, werden Nachbarn und so werden auch Bielohlawek und Strecha zunächst Freunde. Doch die Politik entzweit die Beiden, wie auch später Turl und Wickerl, Bielohlaweks Sohn. Dazu trägt auch die erste Freundin von Turl und Wickerl bei, denn beide verlieben sich zeitgleich in die lebenslustige Caroline.

Kapitalismus, Faschismus oder Sozialismus?

Pittler entwirft in seinem Roman ein grandioses Panorama, welches die drei Familien durch die Epochen begleitet. Wie sie aus ihren unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen die Entwicklungen verfolgen ist eindrucksvoll beschrieben. Die Sorgen und Nöte sind gänzlich unterschiedlicher Natur, während sich im Hintergrund das große Rad der Geschichte unaufhaltsam weiter dreht. Mit viel Empathie nähert sich der Autor seinen Figuren und wenngleich diese sinnbildlich für die unterschiedlichen Gesellschaftsstände und politischen Systeme stehen, so vermeidet er doch eine all zu klischeehafte Darstellung. Die Figuren sind lebendig, ihre Probleme ziehen den Leser in ihren Bann und die begleitenden politischen Ereignisse in und außerhalb Österreichs ergeben eine informative Geschichtsstunde.

Fazit:

Wer sich für die „Epoche der Weltkriege“ interessiert, der findet hier einen kurzweiligen Überblick über die politischen wie gesellschaftlichen Geschehnisse in Österreich, wobei der Verlauf vom Kaiserreich bis zum Dritten Reich fließend erscheint. Auch die gegeneinander stehenden Systeme von Kapitalismus, Faschismus und Sozialismus werden jeweils kritisch beleuchtet. Dazu die einfühlsamen Portraits dreier unterschiedlicher Familien, deren Wege sich immer wieder kreuzen.

Wiener Kreuzweg

Andreas Pittler, echomedia

Wiener Kreuzweg

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