Die Hafenschwester - Bd. 1: Als wir zu träumen wagten
- Diana
- Erschienen: September 2019
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Hamburg zwischen Cholera und Hafenstreik
Wer die Bücher von Melanie Metzenthin kennt, weiss, dass sie ihren Fokus auf zwei Themen legt: Medizinische Entwicklungen und wichtige historische Ereignisse, die aber oft nicht im Mittelpunkt der allgemeinen (literarischen) Aufmerksamkeit stehen. In „Im Lautlosen“, das während des Dritten Reichs spielt, widmete sie sich z.B. nicht den Gräueltaten der Nazis in den KZ, sondern der Euthanasie. Ein Thema, das man in der Unterhaltungsliteratur bisher kaum findet.
Ein spannender Bogen von der Medizin bis zur Sozialdemokratie
„Die Hafenschwester“ bildet da keine Ausnahme, sondern bringt den Lesenden eine Menge interessanter Themen nahe: Die große Choleraepidemie in Hamburg im Jahre 1892, der große Hafenarbeiterstreik im Jahre 1896/97, die medizinischen Verhältnisse, die Krankenpflegeausbildung, die erstarkende sozialdemokratische Bewegung, der Beginn der Frauenbewegung in Deutschland und die teilweise unmenschlichen Lebensbedingungen der Ärmsten. Das alles sind Themen, die in dem Roman eine Rolle spielen. Dank dem Talent der Autorin wirkt die Geschichte trotz der Vielzahl an Themen zu keinem Zeitpunkt überfrachtet oder belehrend. Alles ist stimmig und gekonnt in die Geschichte eingeflochten, dass einem beim Lesen kaum auffällt, wie viel man eigentlich lernt.
Aufgeben ist keine Option
Protagonistin ist Martha Westphal, deren Welt bis zu ihrem 14. Geburtstag noch in Ordnung ist. Zwar lebt sie im berühmt-berüchtigten Gängeviertel Hamburgs, dem Sammelbecken für die Ärmsten und sozial Benachteiligsten, doch sie hat ein stabiles, liebevolles Elternhaus und die Familie kommt finanziell gut über die Runden. Das ändert sich jedoch schlagartig, als Marthas jüngere Schwester und die Mutter an der Ruhr sterben und der Vater, völlig aus der Bahn geworfen, sich hauptsächlich dem Alkohol widmet. Plötzlich muss Martha Verantwortung übernehmen und die Familie finanziell unterstützen. Dazu nimmt sie zunächst eine Stelle als Krankenwärterin an, kann jedoch aufgrund ihres Fleißes und ihrer Wissbegier eine begehrte Stellung als Krankenpflegeschülerin ergattern und arbeitet sich zur OP-Schwester hoch. Allerdings sind damit noch lange nicht alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt und das Schicksal wird Martha noch einige Steine in den Weg legen, bis sie schließlich zur titelgebenden Hafenschwester wird und auch privat ihr Glück findet.
Äußerst gelungene Figurenzeichnung
Doch gerade durch diese Schicksalsschläge zeigt sich die Stärke der Figurenzeichnung. Denn weder Martha noch ihre Freunde, wie der junge Ingenieur Paul Studt oder ihre beste Freundin Milli, die von ihrem Stiefvater zur Prostitution gezwungen wird, ergeben sich jammernd in ihr Schicksal. Im Gegenteil, sie beißen die Zähne zusammen, rappeln sich wieder auf, machen das Beste aus dem, was sie haben, und kämpfen sich erneut nach oben. Das macht sie lebensnah und sympathisch. Dabei sind sie alle weit davon entfernt, nur strahlend gut zu sein. Ab und an greifen sie auch zu Mitteln, die zumindest zweifelhaft sind. Im Gegenzug gibt es kaum reine Bösewichte. Auch die Antagonisten zeigen im Verlauf der Geschichte durchaus interessante Facetten auf, die sie in einem anderen Licht erscheinen lassen.
Fazit:
„Die Hafenschwester - Als wir zu träumen wagten“ ist erneut ein mehr als gelungener Roman aus der Feder von Melanie Metzenthin, der die Lesenden in eine vergangene Welt eintauchen lässt und ihnen beim Lesen mühelos viel Wissenswertes und Interessantes vermittelt. Es sind auch und gerade die vielen Details, die die Geschichte so informativ und spannend machen. Ebenso wie die Begegnung mit einigen historisch verbürgten, aber nicht so bekannten Persönlichkeiten. Auch der Schreibstil kann wie gewohnt überzeugen, denn neben allem Ernsten kommt auch der Humor nicht zu kurz. Nie mit der Brechstange oder gewollt, sondern sehr passend in eingestreuten witzigen Szenen. Ein wahrer Lesegenuss.
Melanie Metzenthin, Diana
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